Seit 1983 ist Gary Bettman der erste und bislang einzige Commissioner der NHL. In dieser Funktion vertritt er die Liga in den Verhandlungen um die Gesamtarbeitsverträge mit der Spielergewerkschaft. Er kümmert sich um die öffentlichen Auftritte bei NHL-Veranstaltungen und soll die Integrität des Sports schützen.
In den letzten 38 Jahren war der Commissioner bei den Fans zwar unbeliebt, sass trotzdem fest im Sattel. Doch nun wackelt Bettmans Stuhl erstmals. Auch er wird vom Missbrauchsskandal rund um die Chicago Blackhawks eingeholt.
Dabei geht es nicht direkt um den Missbrauch, den Kyle Beach vor rund elf Jahren durch die Hand des damaligen Blackhawks-Videocoachs Brad Aldrich durchmachen musste. Es geht nicht einmal unbedingt darum, wie die Chicago Blackhawks diesen Missbrauch jahrelang unter den Teppich gekehrt hatten, ehe dieses Jahr doch alles ans Licht kam. Sondern es geht darum, wie Bettman und die NHL seither mit diesen Enthüllungen umgingen.
Das fing mit einer verhältnismässig milden Strafe für die Blackhawks an. Dass Chicago nur zwei Millionen US-Dollar Strafe bezahlen musste, während New Jersey vor einigen Jahren eine Busse von drei Millionen erhielt, weil es gegen den Salary Cap verstossen hatte, beweise, dass für Bettman der Salary Cap wichtiger sei als Verhinderung von sexuellem Missbrauch, schrieben NHL-Experten.
Bei bei einer Pressekonferenz vor rund einer Woche ging es dann weiter. Als Bettman und sein Stellvertreter Bill Daly Fragen zum Fall beantworten, liessen sie einerseits Empathie mit Kyle Beach und den anderen Opfern vermissen. Andererseits ignorierten sie TSN-Journalist Rick Westhead, der den Skandal an die Öffentlichkeit gebracht hatte, komplett. Erst nach über 40 Minuten Pressekonferenz und auf Drängen von Pierre LeBrun, dem Chef der NHL-Journalistengewerkschaft, durfte auch Westhead noch eine Frage stellen.
Westhead bezog sich in seiner Frage an Gary Bettman auf «John Doe 2». Dieser junge Mann wurde als 16-Jähriger von Brad Aldrich missbraucht, als dieser nicht mehr Teil der Blackhawks-Organisation war. Das Verschweigen der NHL-Franchise von Aldrichs Taten ermöglichte gemäss dem jüngst veröffentlichten Untersuchungsbericht diesen nächsten Missbrauchsfall erst.
Der preisgekrönte Journalist wollte von Bettman wissen, ob man John Doe 2 auch Unterstützung und psychologische Hilfe anbiete. Der NHL-Commissioner wand sich in seiner Antwort um klare Worte, und sagte, man müsse mehr über diesen Fall wissen, um dies zu tun. Die Details des Falls von John Doe 2 standen ebenfalls im Bericht, der an dieser Pressekonferenz diskutiert wurde.
Gestern Abend sprach nun die Mutter des Betroffenen erstmals öffentlich über den Fall. Im Interview mit Rick Westhead erklärte sie nicht nur, wie Brad Aldrichs Vergehen ihren Sohn und ihre Familie getroffen habe, sondern auch, wie sehr sie Gary Bettmans Worte erzürnten: «Ich glaube, Bettman braucht einen neuen Job. Er muss zurücktreten. Er hat keinerlei Empathie für Kinder oder junge Erwachsene. Wenn er mehr Informationen will, haben wir sonst ganze Ordner voller Gerichtsdokumente.»
Die Mutter von John Doe 2 ist nicht alleine mit Rücktrittsforderungen in Richtung Bettman. Allan Walsh, einer der einflussreichsten Spieleragenten, der unter anderem Marc-André Fleury, Max Pacioretti und Jonathan Huberdeau vertritt, forderte unlängst wieder Bettmans Rücktritt: «Es ist kein Geheimnis, dass ich kein Fan von Gary bin. Er hat nun wiederholt alle im Stich gelassen. Es ist empörend.»
I’m hearing this morning that several NHL owners are “very concerned and unhappy” with Gary Bettman’s leadership. I think even the owners realize it’s time for a change in the NHL and culture only changes from the top down. It is time to FIRE BETTMAN. 1/
— Allan Walsh (@walsha) November 2, 2021
Und gemäss Walsh stimmt es tatsächlich, dass Bettman nicht mehr unangefochten ist. Diverse NHL-Teambesitzer sollen sehr besorgt und unzufrieden mit dem Führungsstil des Commissioners sein. Der Druck steigt, auch weil sich nun auch Sponsoren zu Wort melden. Wie Rick Westhead schreibt, seien diese unzufrieden darüber, wie die NHL auf den Skandal reagiert habe. Die Marke NHL hätte einiges an Ansehen verloren.
Spoke today to sports marketing exec who told me multiple sponsors have "put the NHL on notice" to improve response to Blackhawks abuse scandal.
— Rick Westhead (@rwesthead) November 6, 2021
NHL brand significantly tarnished over past week, exec says, adding some sponsors unhappy with league's crisis management.
Ob da tatsächlich etwas dran ist, wird sich in den nächsten Wochen weisen. Anfang Dezember treffen sich die Teambesitzer der NHL zum jährlichen Meeting. Dann dürfte auch die Zukunft von Gary Bettman diskutiert werden.