Die Zuger haben zum dritten Mal hintereinander eigentlich alles richtig gemacht. Und trotzdem zum dritten Mal hintereinander verloren. Wie kann es sein, dass Hockey-Musterknaben dreimal hintereinander auf die beinahe gleiche Art und Weise verlieren? Dreimal ist der Puck bis ins Schlussdrittel hinein den Weg der Zuger gegangen. Dreimal haben sie das erste Tor erzielt. Und trotzdem haben sie dreimal verloren.
Suchen wir erst einmal eine statistische Erklärung. So trifft uns nicht der Vorwurf der Polemik. Zahlen sind nie polemisch.
Sechs der sieben Tore in diesem Final haben die ZSC Lions im Schlussdrittel erzielt. Das Torverhältnis in den letzten Dritteln: 6:0 für die ZSC Lions. Das Torschussverhältnis in den letzten Dritteln: 36:21 für die ZSC Lions.
Wie steht es mit der Kondition? Mit der Energie? Auffallend in dieser dritten Partie: Die Zuger würzen ihr präzises Tempospiel erstmals so richtig mit Härte. Deshalb dominieren sie die Partie bis ins Schlussdrittel hinein. Ja, es ist eines der besten Spiele des Meisters in dieser Saison. Aber der Ertrag (1:0) ist viel zu gering und in der Schlussphase sind die Tanks leer.
Trainer Dan Tangnes sieht kein Energie-Problem. Dieses Nachlassen sei Kopfsache. Er spürt, ja, er weiss, dass nun der entscheidende Punkt gekommen ist: Nisten sich die Dämonen des Zweifels in den Köpfen seiner Spieler ein, dann ist Zug verloren. Die nächste Niederlage ist die letzte der Saison. Sie kostet die Titelverteidigung.
Dieser Final ist taktisch und spielerisch hochstehend, intensiv, schnell und dramatisch. Klubhockey von hohem internationalem Level. Vielleicht ist es hockeytechnisch sogar der beste, ausgeglichenste Final. Und trotzdem steht es 3:0 für die ZSC Lions. Warum?
Kommen wir nun zum Kern der Sache: Eishockey war, ist und bleibt das Spiel der letzten Männer. Diesen Final können wir auf die beiden Torhüter reduzieren.
Bevor wir diese Behauptung vertiefen, ein kleiner philosophischer Diskurs. Der Torhüter ist nicht nur der wichtigste Einzelspieler. Er ist die zentrale Komponente in der Konstruktion des Spiels. Weil er gepanzert ist und mit seiner Postur eine grosse Fläche des Tores abdeckt, ist er gegenüber den Stürmern im Vorteil. Aber er ist nicht so übermächtig, dass die Trefferchance gegen null geht. Wir dürfen in jedem Spiel Tore erwarten. Aber sie sind selten genug, um höchst erregend zu sein, wenn sie denn doch fallen. Die Torhüter halten diesen Final in der Waage, und zugleich sind sie – weil jeder ihrer Fehler unmittelbar bestraft wird – das Zünglein dieser Waage.
Torhüter, so lässt sich zusammenfassen, bilden in der Familie der Eishockeyspieler eine eigene Gattung. Sie sind Mitglieder eines Teams und bleiben doch wie Einzelsportler allein verantwortlich für alles, was sie tun. Sie können so gut sein, wie sie wollen – ihr Schicksal ist es, dass sie immer wieder bezwungen werden. Nur schwer werden sie zu Helden, aber sehr leicht zu Versagern. Gerade deswegen ruht auf den Schultern der letzten Männer die Verantwortung für das Gelingen des Spiels. Mit grandiosen Taten ebenso wie mit tragischem Versagen.
Dieser langen Analyse kurzer Sinn: Die ZSC Lions haben den besseren letzten Mann. Jakub Kovar war bisher besser als Leonardo Genoni. Die statistische Differenz mag minim sein: Auf beide Goalies kamen bisher exakt gleich viele Pucks geflogen: 87. Jakub Kovar hat 83 gestoppt. Leonardo Genoni 80.
Aber die Wirkung dieser minimen Differenz ist maximal. Wenn die Zuger die fehlende Kaltblütigkeit im Abschluss beklagen, dann reden sie in Tat und Wahrheit über die Kaltblütigkeit von Jakub Kovar. Er hat den Zugern nun dreimal den Sieg gestohlen. Welch eine Ironie der Hockeygeschichte: Sein Bruder Jan ist Zugs Playoff-Topskorer (4 Tore/10 Assists). Aber gegen seinen Bruder hat er im Final noch nicht getroffen (2 Assists).
Leonardo Genoni war bis zu diesem Final der beste letzte Mann unserer Playoff-Geschichte (seit 1986). Weil in einem Final noch nie einer gleich gut oder sogar besser war als er. Deshalb hat er alle sechs Finals gewonnen, die er bestritten hat. Das ist der «Mythos Genoni».
Das 2:1 der ZSC Lions in der dritten Partie ist wie ein Stich ins Herz der Zuger. Dieser Treffer besiegelt die dritte Niederlage hintereinander und erschüttert den «Mythos Genoni» und dadurch das Selbstvertrauen der Zuger in den Grundfesten. Denn dieses 2:1 war … haltbar. Zugs Torhüter hat jetzt in allen drei Finalpartien je einen Treffer zugelassen, der – diplomatisch formuliert – für einen letzten Mann von seinem Format, für einen sechsfachen Meister und WM-Finalisten, nicht unhaltbar war. Und Zug hat dreimal mit einem Tor Differenz verloren.
In sechs Finals haben die offensiven Titanen der Liga vergeblich versucht, gegen Leonardo Genoni den Titel zu holen. Nun sind Denis Hollenstein, Sven Andrighetto und Denis Malgin drauf und dran, Geschichte zu schreiben: die Tore gegen Leonardo Genoni zu erzielen, die den ZSC Lions den Titel bringen. Sie haben vier der bisherigen sieben ZSC-Finaltore erzielt und alle vier in den letzten zwei Spielen.
Die Zuger haben bisher eigentlich alles richtig gemacht und deshalb praktisch keine Verbesserungsmöglichkeiten mehr. Ob die Meisterschaft am Montag in Zürich zu Ende geht oder ob es Zug als erstem Team der Geschichte gelingt, in einem Final ein 0:3 aufzuholen, hängt von ihrem letzten Mann ab. Von Leonardo Genoni.
Das weiss auch Trainer Dan Tangnes. Aber er sagt es natürlich nicht. Ein vorwitziger Chronist sagt zu ihm, es gebe eine Umstellung, die bei den ZSC Lions am Montag für Verwirrung und allenthalben für Gesprächsstoff sorgen würde: «Stellen Sie Luca Hollenstein statt Leonardo Genoni ins Tor.» Worauf der Norweger, freundlich und eloquent wie immer erwidert: «Ich verrate eigentlich nie die Aufstellung zum Voraus. Aber so viel darf ich verraten: Das werde ich nicht tun …»
Logisch: Leonardo Genoni ist Zugs letzte Hoffnung. Kein Trainer verzichtet freiwillig auf die letzte Hoffnung.