Eishockey ist ein Mannschaftspiel. Klar. Aber am Ende entscheidet oft der letzte, der einsamste Mann. Der Goalie.
Meister Bern hat seine Krise erst mit der Verpflichtung von Tomi Karhunen gestoppt. Mit dem Finnen haben die Berner zuletzt siebenmal in Serie gepunktet und nur zwei Niederlagen nach Penaltys erlitten (gegen Davos und Ambri).
Zug hat diese Serie im besten Saisonspiel beendet. Gegen einen SCB, der auch seine beste Leistung der laufenden Qualifikation zeigte. Was einiges über die hohe Qualität dieses «Gipfeltreffens» der beiden letztjährigen Finalisten aussagt: Intensität, Taktik und Tempo hatten europäisches Niveau. Für den SCB gilt zwar nach wie vor: Goalie gut, Schablone gut, alles gut. Allerdings gibt es nun einen Zusatz: aber nicht mehr gut genug gegen Zug.
Eigentlich gewinnen die Berner genau solche Partien. Sie sind die Spezialisten für knappe Entscheidungen, wenn es drauf ankommt. Das ist der Grund, warum sie in den letzten vier Jahren dreimal die Meisterschaft gewonnen haben.
Umgekehrt gilt: Eigentlich verlieren die Zuger genau solche Partien. Sie sind die Spezialisten für knappe Niederlagen, wenn es drauf ankommt. Das ist der Grund, warum sie in den letzten drei Jahren zweimal den Final verloren haben.
Aber nun haben die Berner in Zug ihren Meister gefunden. In einer Partie, die nach ihrem Drehbuch, nach der rauen, taktischen Art gelaufen ist, wie sie Hockey mögen.
Den SCB in einem solchen Spiel zu besiegen ist die wahre, die hohe Kunst. Es kann sehr wohl sein, dass wir im Rückblick diesen 23. Dezember als Wendepunkt in der neueren Geschichte des Innerschweizer Hockeykultur erkennen werden. Als den Tag, an dem die Zuger gelernt haben, die Spiele zu gewinnen, die sie bisher meistens verloren haben. Als den Tag, an dem Zug gelernt hat, SCB-Hockey zu spielen. Das Hockey der Sieger.
Der grosse Sieg hat viele Gründe. Eine sehr hohe taktische Disziplin. Eine exzellente Defensivorganisation. Gesundes Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen in den Zweikämpfen. Santeri Alatalo besteht sogar eine Prügelei gegen Berns notorischen Bösewicht Thomas Rüfenacht in der Schlussphase unbesiegt. Die Zuger lassen sich nicht mehr einschüchtern.
Trainer Dan Tangnes sprach von einem grossen Spiel. Es sei auch eine Geduldsprobe gewesen. «Wir finden jetzt Wege, solche Spiele zu gewinnen. Wir entwickeln uns in die richtige Richtung.»
Wo er recht hat, da hat er recht. Und doch hätte alles auch anders kommen können. In der 34. Minute hat Berns Topskorer Mark Arcobello freie Fahrt gegen Leonardo Genoni. Es ist das einzige Mal in dieser Partie, dass ein Stürmer der Zuger Abwehr zu entwischen vermag. Aber Zugs letzter Mann stoppt den zweitbesten Skorer der Liga. Was, wenn da der SCB 1:0 in Führung gegangen wäre? Es ist nicht passiert. Wir müssen uns mit dieser Frage nicht mehr befassen. Und so ist die Behauptung nicht übertrieben, dieser grosse Sieg hat einen Vater: Leonardo Genoni. Er hat beschlossen, wieder ein grosser Torhüter zu sein. Also war er ein grosser Goalie. Er stoppte alle 32 Abschlussversuche seines letztjährigen Arbeitgebers.
Mit einer simplen Statistik können wir aufzeigen, wie sich beide Teams über den Torhüter stabilisiert haben. Wie sie sich letztlich über ihre Schlussmänner definieren.
Am 28. September gewinnt Zug gegen Bern 5:2. Leonardo Genoni kann sich mit einer Fangquote von 92,31 Prozent begnügen. Auf der Gegenseite pariert Pascal Caminada nur 79,17 Prozent der Schüsse.
Am 2. November gewinnt Zug in Bern nach Penaltys 5:4. Niklas Schlegel (87,50 %) hat sogar die bessere Quote als Leonardo Genoni (86,21 %).
Es war September- und November-Hockey mit zwei Teams und zwei Schlussmännern, die so weit von einer Playoff-Form entfernt waren wie von einer Aufnahme in die NHL. Meisterschaften werde ja nicht entschieden, wenn es noch Blätter in den Bäumen hat.
Erst wenn alle Blätter gefallen sind, beginnt für einen Titelanwärter die Saison so richtig. Erst an diesem 23. Dezember sehen wir das wahre Zug und den wahren SCB in einer Direktbegegnung.
Nur mit einer Fangquote von 100 Prozent ihres Torhüters ist der Sieg für die Zuger möglich. Auf der Gegenseite pariert Tomi Karhunen 96,43 Prozent der gegnerischen Abschlussversuche. Noch nie hat der SCB unter Kari Jalonen bei einer so guten Goalie-Statistik ein Spiel verloren
Nach Spielschluss wird Leonardo Genoni verdientermassen zum ersten Mal in Zug zum besten Mann der Zuger gekrönt. Als es vollbracht ist, echot sein Name tausendfach durch die ausverkaufte Arena. Als hätte es nie Zweifel gegeben. Als sei er nie statistisch die schwächste Nummer eins der Liga gewesen. Als sei nie Luca Hollenstein, die Nummer 2, als Held gefeiert worden.
Im letzten Spiel des Jahres hat Leonardo Genoni mit seinem zweiten «Shutout» (nach dem 3:0 in Lausanne) den Zugern die Gewissheit gegeben, dass sie doch einen Meister zwischen den Pfosten haben. Und noch etwas stimmt zuversichtlich: die Art und Weise, wie der goldene Treffer im Powerplay in der 46. Minute erzielt worden ist. Erst nimmt Carl Klingberg dem überragenden Tomi Karhunen die Sicht, dann versenkt er den abprallenden Puck zu seinem 9. Saisontreffer. Und geschossen hatte Grégory Hofmann, neben Leonardo Genoni der spektakulärste Einkauf von Sportchef Reto Kläy.
Das vorweihnachtliche Spektakel ist also eine Blaupause für die Playoffs: Leonardo Genoni lässt sich nicht überwinden und vorne fädelt Grégory Hofmann die Entscheidung ein.
So hat es Reto Kläy geplant. Am 23. Dezember ist sein Plan zum ersten Mal umgesetzt worden.
Was den SCB beunruhigen muss: Wenn es so knapp wird, entscheiden Details. Viele dieser Details sind bei einem unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage nicht berechenbar.
Aber für ein Detail trägt die sportliche Führung die Verantwortung. Für die Rekrutierung der Ausländer.
Der SCB hat nur noch zwei erstklassige Ausländer: Torhüter Tomi Karhunen und Topskorer Mark Arcobello. Weder Andrew MacDonald noch Jan Mursak noch Andrew Ebbett genügen höchsten Anforderungen.
Der Meister braucht noch mindestens einen zweiten erstklassigen ausländischen Stürmer. Sonst ist er schon in drei Monaten nicht mehr Meister.