«Fleigutätscher» nennen sie sich. Seit 1958 ziehen sie nicht nur durch die Visper Fasnacht. Am letzten Samstag gingen sie auf Reisen. Die «Fleigutätscher» traten bei einem der letzten Fasnachtsumzüge im Land noch einmal auf. Im bernischen Huttwil.
Sie sassen im «Bahnhof», einem stattlichen Wirtshaus, das seit mehr als 50 Jahren im Besitze des alten Visper-Geschlechtes der Kuonen steht. Bald einmal ist Hockey ein Thema. Sorgen verbinden.
Visp redet vom Aufstieg, kann aber seit bald zehn Jahren keine Playoffserie mehr gewinnen und im Oberaargau ist der SC Langenthal freiwillig abgestiegen. Diese Relegation des Meisters von 2012, 2017 und 2019 löst noch immer ungläubiges Staunen aus. Die «Fleigutätscher» erkundigen sich, ob da wirklich nichts mehr zu machen sei. Nein, es ist nichts mehr zu machen.
Visp ist wegen Sepp Blatter im Fussball und ebenso im Hockey ein magischer Name. Schweizer Meister 1962 mit Trainer Bibi Torriani. Aber über die inneren Angelegenheiten dieser doch fernen Hockeywelt hinter den hohen Schneebergen, wo der Stock angeblich «s’Chnebli» und der Puck «Chluntschi» heissen, ist recht wenig bekannt. 1972 hat sich der EHC Visp aus der höchsten Spielklasse verabschiedet und tauchte zwischendurch gar ins Amateurhockey ab.
Heute ist der EHC Visp der Krösus der Swiss League. Gespielt wird in der Lonza Arena, eröffnet im September 2019. Hier hat es Platz für 5500 Zuschauende und selbst Länderspiele sind hier schon ausgetragen worden. Ein Gedränge gab es auch diese Saison nicht. Nicht einmal während der Playoffs. Zu den drei Viertelfinalpartien gegen Thurgau kamen durchschnittlich bloss 2878 Fans.
Nicht nur die «Fleigutätscher» vermissen in der neuen Arena die Stimmung. Es sei einfach nichts mehr los. Eigentlich kein Wunder: 2014 ist die Meisterschaft der zweithöchsten Liga zum bisher letzten Mal gewonnen worden. Mehr als 4000 wollten damals in der alten Arena die Finalpartien gegen Langnau sehen. Seither war jedes Mal im Viertelfinal Schluss. Nur 2020 hätte es für den Halbfinal gereicht. Aber die Playoffs mussten wegen der Pandemie abgesagt werden. Einer höhnt, man sei auch diese Saison so schnell ausgeschieden, dass wieder nicht jeder Stadionspeaker zu einem Playoff-Spiel gekommen sei. Dem Gelächter nach muss einer der «Fleigutätscher» einer dieser Stadionspeaker sein.
Am Wirtshaustisch fern der Heimat werden die Versäumnisse von daheim lebhaft diskutiert. Seit 2005 ist Sébastien Pigo (45) der starke Mann im Klub. Heute offiziell Geschäftsführer, früher vor allem für den Sport zuständig. Er steht im Zentrum der Kritik. Er sei einfach im Laufe der Jahre zu mächtig geworden und besetze die wichtigen Posten im Klub schlau durch loyale Gefolgsleute. Fast ein wenig ein Kaspar Stockalper des Hockeys.
Durchaus respektvoll wird allerlei moniert. Beispielsweise die unglückliche Wahl der Trainer. Am längsten hat sich der notorisch erfolglose, aber mit dem damaligen Sportchef Bruno Aegerter befreundete Matti Alatalo, der Vater von Nationalverteidiger Santeri Alatalo, gehalten. Letzte Saison ist Dany Gelinas schon im Oktober gefeuert und durch den braven Marco Schüpbach ersetzt worden.
Bedauert werden die unglückliche Transferpolitik und die zu hohen Löhnen. Da sei schon mal einem Ausländer 160'000 netto bezahlt worden und man wolle gar nicht wissen, mit wie viel Geld Garry Nunn geködert worden sei. Der Kanadier wechselt auf nächste Saison von Olten nach Visp. Es wird diskutiert, ob Daniel Wobmann – er war in der Vergangenheit auch schon interimistisch Trainer – der perfekte Sportchef sei.
Eine Revolution, ein Aufstand gegen Sébastien Pico sei allerdings kaum zu machen. Er werde von Präsident Stefan Volken durch alle Böden hindurch verteidigt und gestützt. Er habe halt beste Beziehungen zu den Geldgebern und sorge für die Kohle. Das mache ihn unantastbar. Es ist halt, wie es ist: Gute Beziehungen schaden auch im Oberwallis nur jenen, die keine haben.
Der Chronist fragt, ob denn der grosse Pius-David Kuonen, Hotelier, Beizer, lange Jahre erfolgreich für den Klub als Spieler und Funktionär tätig und später hochdekorierter Verbandsgeneral, nicht eingreife?
Uuhhhh, das sei dorfpolitisch ganz, ganz heikel. Nein, nein, der Pius-David sei für eine Revolution nicht zu gewinnen. Es sei viel mehr am Präsidenten, jetzt zu zeigen, dass er Führungsqualitäten habe. Die Ausführungen lassen den Schluss zu, dass Pius-David Kuonen ein kluger Mann ist, der sich nicht in hochheikle lokalpolitische Angelegenheiten hineinziehen lässt. Visp ist ja mit nicht einmal 10'000 Bewohnenden eigentlich ein Dorf.
Der Chronist hört den Erzählungen aus einer höchst lebendigen Hockeykultur mit grösstem Vergnügen zu. Als die «Fleigutätscher» dann das Wirtshaus verlassen und sich in ihren dunklen Gewändern einreihen in den Fasnachtsumzug, ruft er Sébastien Pico an und erkundigt sich, was denn in Visp los sei. Und bekommt erstaunlich ehrliche Antworten. «Ja, ja, salopp dürfen Sie schon sagen, dass wir ein wenig das Lugano der Swiss League sind.» Bei guter Finanzlage und schönem Budget sei halt die Versuchung gross, auch mal Namen einzukaufen. Da sei nicht immer alles glücklich gelaufen. «Ich bin halt schon so lange dabei, da ist es logisch, dass ich kritisiert werde.» Damit könne er leben. Im Sport rede er eigentlich sonst nicht drein. Aber diese Saison sei es nötig gewesen.
Einen Trainer für die nächste Saison habe man noch nicht. Der Marco Schüpbach werde nicht weitermachen. Nein, Gary Sheehan sei kein Kandidat. Ja, ja, Gary habe bei Ajoie bewiesen, dass er Aufstieg könne. Aber seine Muttersprache sei Französisch. «Das funktioniert im Oberwallis nicht.» Und über Schläpfers Kevin müsse man nicht diskutieren. «Der ist ja jetzt Sportchef bei Basel.» Dabei könnte Kevin Schläpfer mit seiner Basler Fasnachtserfahrung auch eine Bereicherung für die «Fleigutätscher» sein. Ein wenig ist Hockey ja manchmal nicht nur in Visp wie Fasnacht, wenn starke, verkleidete Männer – manche sind maskiert – auf rutschigem Eis vor gutgelauntem Publikum paradieren.
An grossen Plänen auf den Kartentischen der Bürogeneräle und kühnen Visionen fehlt es in Visp nicht. Das Aufstiegsgesuch wird jedes Jahr fristgerecht eingereicht. Bei der formidablen Infrastruktur und komfortablen Finanzlage ist die Bewilligung bloss Formsache. Visp setzt im Jahr rund sechs Millionen um. Am meisten von allen Klubs der zweitobersten Liga. Sogar mehr als Olten. Visp, der von der «Ausserschweiz» beinahe vergessene Aufstiegskandidat.
Wer weiss, vielleicht geht es ja bald aufwärts. Sébastien Pico sagt: „Wir haben für die neue Saison erst zehn Spieler unter Vertrag. Fünf Stürmer und fünf Verteidiger. Wir haben viel Gestaltungsspielraum.“ 25 Spieler braucht es schon für eine konkurrenzfähige Mannschaft. Neuer Trainer, neue Spieler, neue Saison, neues Glück?
Bei so viel offenen Stellen und Möglichkeiten zur Veränderung trifft es sich gut, dass die «Fleigutätscher» eine Revolution anmahnen. Und sollte Visp tatsächlich einmal aufsteigen, werden die «Fleigutätscher» sicher rühmen, nun habe Sébastien Pico wie das tapfere Schneiderlein sieben Fliegen auf einen Streich erwischt.
Dummbatz Immerklug
Sitzplätzler