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Wenn in den Playoffs ein 0:5 aufgeholt wird – ein Hockeydrama mit einem Weltstar in der Hockeyprovinz

Der Weltstar Alexei Kovalev.
Der Weltstar Alexei Kovalev.Bild: AP
Langenthal – Visp

Wenn in den Playoffs ein 0:5 aufgeholt wird – ein Hockeydrama mit einem Weltstar in der Hockeyprovinz

NLB-Hockey mit historischem Resultat und einem Weltstar. Nach einer Jahrhundert-Aufholjagd vom 0:5 zum 5:5 verliert der SC Langenthal gegen Visp in der Verlängerung 5:6.
15.03.2014, 09:0115.03.2014, 11:05
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Vergessen wir alles, was wir bisher über Playoff-Dramen gehört und gelesen haben. Langenthal gegen Visp. Vom 0:5 zum 5:5 und dann zur 5:6-Niederlage nach Verlängerung. Den Siegestreffer der Langenthaler zum 6:5 annulliert der Schiedsrichter nach Videokonsultation. Und 36 Sekunden vor Schluss hat Langenthals Captain Stefan Tschannen nach einem Solodurchbruch noch das 6:5 auf dem Stock. Und am Ende in der Verlängerung doch der Blitzuntergang mit Karacho.

Der Blitzuntergang in einem Bild: Langenthals Kampf im Kampf mit Basels Hintermannschaft (beim dritten Playoff-Spiel der Viertelfinals). 
Der Blitzuntergang in einem Bild: Langenthals Kampf im Kampf mit Basels Hintermannschaft (beim dritten Playoff-Spiel der Viertelfinals). Bild: Keystone

Der gezähmte Riese Kovalev

Es war zu viel Rock ’n’ Roll. In der Verlängerung wechselt Visp- Bandengeneral Kim Collins fliegend den Kanadier James Desmarais (34) und den Russen Alexei Kovalev (41) ein und die beiden sorgen nach 43 Sekunden in der Verlängerung für das 6:5. Rock ’n’ Roll heisst: Eigenwilligkeit auf Weltklasseniveau. Noch kein Trainer hat je Alexei Kovalev gezähmt. Nicht einmal Mike Keenan in New York. Auch James Desmarais macht eigentlich offensiv, was er will. Zwei Schillerfalter, zwei alte Knaben, die einfach nach Lust und Laune spielen wollen. Verrückte Moves. Kunststücke. Pässe gespielt mit der Präzision von höherer Geometrie. Solonummern. Und eben Tore wie dieses 6:5.

Alexei Kovalev. Wer hätte gedacht, dass er einmal in Langenthal so einen Auftritt haben würde. Aber es ist halt schon so: Im Leben trifft man sich immer zweimal.

Alexei Kovalev 1997 im Dress der New York Rangers.
Alexei Kovalev 1997 im Dress der New York Rangers.Bild: AP

Vor 21 Jahren (!), bei der U-20-WM 1993 in Füssen verlieren die Schweizer mit Noël Guyaz gegen die Russen mit Alexei Kovalev 2:10. Die Russen werden Weltmeister. Ihr Topskorer ist Alexei Kovalev. Sie fegen auch Kanada mit 7:0 vom Eis. Es ist eine WM mit späteren Weltstars wie Peter Forsberg und Eric Lindros. Die Schweizer stiegen ab.

Ein Wiedersehen zweier ganz Grossen

Nicht im Traum hatte Guyaz damals daran gedacht, einmal in der gleichen Liga auf Augenhöhe gegen diesen Kovalev eine Playoff-Serie zu spielen. Doch in der Saison 2013/14 ist es so weit: Noël Guyaz ist einer der Leitwölfe beim SC Langenthal und Alexei Kovalev der Schillerfalter beim EHC Visp.

Dieses Wiedersehen nach 20 Jahren deutet auf lange, ereignisreiche Karrieren. Alexei Kovalev ist am 24. Februar 41 geworden. Er hat fast 1500 NHL-Spiele, einen Stanley-Cup und einen Olympiasieg hinter sich. Noël Guyaz feierte mit Lugano zwei helvetische Titel (2003 und 2006) und hat inzwischen in mehr als 1000 Nationalliga-Partien so viel erlebt, dass er Vorlesungen über die neuere Schweizer Hockeygeschichte halten könnte.

Guyaz (Zweiter von links) feiert mit seinen Kollegen Luganos Meistertitel 2003.
Guyaz (Zweiter von links) feiert mit seinen Kollegen Luganos Meistertitel 2003.Bild: Keystone

Guyaz ist am 10. Mai 41 Jahre alt geworden. Von seinen U-20-WM-Kollegen von 1993 ist längst keiner mehr aktiv. Aber einige sind im Hockeybusiness geblieben: Christian Hofstetter als Jurist beim Internationalen Eishockeyverband IIHF, Marc Weber managt die SCB-Nachwuchsabteilung, Gaëtan Voisard ist Spieleragent, Sacha Ochsner Hockeyartikelhändler, Martin Steinegger Sportchef in Biel und Gerd Zenhäusern Assistent von Biels Trainer Kevin Schläpfer.

Am Freitagabend das historische Treffen der beiden 41-Jährigen. Beide hatten zuvor wegen Knieverletzungen in dieser Serie nicht gespielt. Beide sind für diese Partie aufs Eis zurückgekehrt. Alexei Kovalev steht beim 6:5-Siegestreffer auf dem Eis. Noël Guyaz auf der Gegenseite. Es war auch für ihn zu viel Rock ’n’ Roll. Denn was James Desmarais, diese Saison in Ajoie wegen Eskapaden fristlos gefeuert, und der Weltstar Alexei Kovalev auf dem Eis aufführen, ist in lichten Momenten noch immer Weltklasse. Der Russe hatte den finalen Angriff lanciert, der Kanadier kurvte schliesslich ums Tor herum und vollendete mit dem «Buebetrickli».

Ein Weltstar in den Katakomben von Langenthal

Nach dem Spiel stellen sich die beiden bereitwillig den lokalen Reportern für Interviews und sogar für ein Fotoshooting zur Verfügung. Beide können sich nicht an ein ähnliches Spiel erinnern. Alexei Kovalev so im Kabinengang des Schoren-Stadions zu erleben, ist wahrlich ein historisches Ereignis. Ich habe ihn im Madison Square Garden und in Montréal in der Kabine gesehen – und jetzt ist er da, in der tiefsten Provinz, und keine Spur von Arroganz. Eher ein in die Jahre gekommener Bub, der sich über ein gelungenes Spiel freut.

Auf dem Eis hält Kovalev noch immer 20 Minuten Eiszeit pro Partie aus. Wenn er will, fährt er eine Minute herum und keiner nimmt ihm die Scheibe. Aus dem Handgelenk heraus passt und schiesst er nach wie vor wie kein anderer Spieler der ganzen Nationalliga. Natürlich läuft er nicht mehr wie der Wind. Aber noch immer ist er dort, wo die Scheibe hinkommt, und findet inzwischen mit seinen Pässen die Mitspieler.

Kovalev (vorne) ist auch im Dress von Visp schwer zu stoppen.
Kovalev (vorne) ist auch im Dress von Visp schwer zu stoppen.Bild: Keystone

«Er brauchte Zeit, um sich in der NLB zurechtzufinden und seine Mitspieler brauchten Zeit, um ihn zu verstehen» sagt Visp-Manager Sébastien Pico. Kovalev spielt in Visp, weil er immer noch Lust auf Hockey hat und in Leukerbad eine Hockeyschule betreibt. «Er hat keinerlei Allüren und keine Sonderwünsche» erzählt Pico. «Nach dem Spiel unterhält er sich mit den Fans in der Beiz wie jeder andere Spieler auch.»

Die Chancen stehen gut, dass das russische Wundertier eine weitere Saison in der NLB stürmt. Visp hat eine Verlängerungsoption, die Pico einzulösen gedenkt. Und vielleicht bekommt ja auch James Desmarais doch noch einen Vertrag für nächste Saison. Nur für Noël Guyaz ist nach dieser Saison Schluss: Er leidet an Kniearthrose, die letzte Knieoperation hatte er vor vier Wochen. Er wird Sportchef beim SC Langenthal.

Zurück zum Spiel

Bleibt nun noch die Frage: Wie war es möglich, dass aus einem 0:5 ein 5:5 und schliesslich eine 5:6-Niederlage für Langenthal wurde? Nun, Langenthals Marc Eichmann ist für einmal ein Lottergoalie. Deshalb steht es auf einmal 0:5 statt bloss 0:2. Aber Trainer Oliver Horak forciert nun seine erste Linie mit den beiden Kanadiern Jeff Campbell und Brent Kelly sowie Leitwolf Stefan Tschannen. Das Trio zelebriert zusammen mit Noël Guyaz vier der fünf Treffer – und diese Helden sind, wie es sich für ein echtes Drama gehört, auch dabei beim Untergang. Sie stehen beim 5:6 mit leeren Energietanks auf dem Eis.

Visp führt jetzt in dieser Halbfinalserie mit 2:1-Siegen.

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