Bei der U20-WM treten jedes Jahr die besten Junioren-Spieler der Welt an. In der Regel sind auch die besten Kanadier und Amerikaner dabei – abgesehen von ein paar Ausnahmen, die es zu diesem Zeitpunkt bereits in die NHL geschafft und keine Freigabe bekommen haben. Die U20-WM eignet sich also vorzüglich dazu, internationale Vergleiche anzustellen.
Nur Fakten, keine Polemik. Der Beginn der neuen, grossen Zeit unseres Hockeys können wir gut in die Saison 1997/98 verlegen. Bei der U20-WM in Helsinki und Hämeenlinna holten die Schweizer unter Cheftrainer Bill Gilligan und Assistent Alfred Bohren die Bronzemedaille. Im Viertelfinal gewannen die Schweizer gegen Schweden mit 2:1 und im Bronze-Spiel besiegten sie Tschechien mit 4:3.
Wäre unsere Mannschaft im Halbfinal gegen Gastgeber Finnland nicht von den Schiedsrichtern betrogen worden (1:2), hätte es gar für den Final gereicht. Das mit dem Schiedsrichterbetrug muss einfach noch einmal erwähnt werden, ich war dabei und ärgere mich heute noch. Finnland holte den Titel mit einem 2:1 gegen die Russen, gegen die wir in der Vorrunde ein 3:3 erreicht hatten.
Was war die Besonderheit dieser Bronze-Helden? Bereits 13 von ihnen – also mehr als die Hälfte – hatten einen Stammplatz in unserer höchsten Spielklasse. In einer Qualifikation, die über 40 Runden ging, kamen Michel Riesen (Davos), Björn Christen (SCB), Lauren Müller (SCB), Adrian Wichser (Kloten), René Stüssi (Kloten), Julien Vauclair (Lugano), Sandro Rizzi (Davos), Mario Schocher (Davos), Michel Mouther (SCB), Marc Reichert (SCB), Sven Lindemann (Kloten), Marc Werlen (Gottéron) und Jan von Arx (Davos) zu 29 und mehr Partien.
Sie waren nicht nur «Alibi-Junioren» auf dem Matchblatt. Torhüter David Aebischer war der einzige, der in Nordamerika spielte – er kam allerdings meistens in der drittklassigen Farmteamliga ECHL zum Einsatz. Er kam ins All-Star-Team und wurde zum besten Torhüter dieser U20-WM gekürt. In der Meisterschaft der NLA waren zu dieser Zeit nur zwei Ausländer pro Mannschaft zugelassen.
Jetzt machen wir einen Zeitsprung in die Gegenwart. Die Saison ist noch jung. Die U20-WM-Helden mussten bereits Anfang Dezember mit Quarantäne ins Camp einrücken. Wir machen deshalb folgenden Vergleich: wie viele Spiele in der höchsten Liga haben die Schweizer, die Schweden und die Finnen, die jetzt bei der U20-WM im Einsatz sind, diese Saison hinter sich? Der Vergleich eignet sich gut, weil wir uns sportlich durchaus mit diesen beiden europäischen Topligen vergleichen können. In Schweden sind etwas mehr Runden gespielt als bei uns, was aber den Vergleich nicht verzerrt. Und wenn ich mich um ein paar Partien verzählt haben sollte, so ändert sich doch nichts an der Aussage.
Oder anders gesagt: bei den Finnen kommen 20 Spieler des U20 WM-Teams in der höchsten Liga zu Einsätzen, bei den Schweden 15. Die einzigen zwei Schweizer, die in unserer höchsten Liga diese Saison bisher eine Rolle gespielt haben, sind Ambris Verteidiger Rocco Pezzullo und HCD-Stürmer Simon Knak. Diese simplen Zahlen zeigen uns, warum die Löhne in Schweden und Finnland tiefer sind als in der Schweiz: die Nachwuchsspieler ersetzen die teuren Mitläufer. Und diese Zahlen zeigen auch, warum Finnland mit den U20-WM-Titeln von 2014, 2016 und 2019 so erfolgreich ist.
Nun können wir sagen: Halt, die Junioren in diesen Ländern sind eben viel, viel besser. Doch das kann nicht sein. 2018/19 erreichten die Schweizer bei der U20-WM in Vancouver unter Cheftrainer Christian Wohlwend nach einem 2:0 gegen Schweden den Halbfinal und verloren das Bronze-Spiel gegen Russland 2:5. Und bei der letzten U20-WM hatten die Schweizer in den Gruppenspielen den späteren Finalisten Finnland 5:2 und die Slowakei 7:2 besiegt.
Wir dürfen also sagen, dass die Schweizer nach wie vor mit den Besten der Welt auf Augenhöhe sind. Es gibt allerdings bei uns stärkere Leistungsschwankungen als bei den Grossen. 2007/08 sind wir relegiert worden, anschliessend folgte der sofortige Wiederaufstieg. Diese Schwankungen haben einen einfachen Grund: bei uns ist die Basis viel schmäler. Wir haben 18'839 registrierte Nachwuchsspieler. In Schweden sind es 49'948 und in Finnland 37'161. Bei uns gibt es immer wieder mal einen schwächeren Jahrgang, der sich auf die U20-Nationalmannschaft und den NHL-Draft auswirkt.
Diese Halbfinal-Mannschaft von 2018/19 zeigt uns, dass unsere Junioren-Ausbildung nach wie vor sehr gut ist, dass wir in erstaunlicher Art und Weise aus einem Minimum ein Maximum herausholen, und dass die Junioren von den Klubs – die ja diese Junioren ausbilden! – verschmäht werden: nur Davyd Barandun (Davos, 35 Spiele), Tim Berni (ZSC, 41 Spiele), Sven Leuenberger (33 Spiele/Zug) und Janis Moser (Biel, 43 Spiele) hatten im Halbfinal-WM-Team in der Saison 2018/19 einen Stammplatz in der höchsten Liga.
Wir erkennen auch einen Trend, der immer ausgeprägter wird: Weil sie in unserer höchsten Liga ignoriert werden und keine Chance bekommen, wechseln die Besten, um gefordert und gefördert zu werden, in die nordamerikanischen oder skandinavischen Juniorenligen: beim WM-Halbfinal-Team waren es neun, die in ausländischen Junioren-Ligen spielten. In der aktuellen WM-Mannschaft sind es ebenfalls neun. Nur weil die meisten nordamerikanischen Junioren- und Universitätsligen ihren Spielbetrieb in dieser Saison noch nicht aufgenommen haben, stürmt Simon Knak in Davos – und hat einen Stammplatz.
Wie wir es auch drehen und wenden: unsere besten Junioren wären bei weitem gut genug, um in der höchsten Liga eine Rolle zu übernehmen. Zumal wir ja eine Lauf- und Tempoliga haben und nicht Rumpelhockey spielen. Es braucht eben ein bisschen Geduld und auch Mut, einen Junior richtig einzusetzen. Schliesslich wird ja auch bei einem Ausländer jeweils eine Angewöhnungszeit an unser Hockey von mehr als 10 Spielen reklamiert.
Wenn also unsere Sportchefs bei Lohnverhandlungen Druck auf die Mitläufer machen wollen, dann könnten sie auch sagen: wenn Du so viel Geld willst, dann nehmen wir halt einen Junior. Nun sind aber unsere Liga-Generäle in ihrer unergründlichen Weisheit auf die absurde Idee gekommen, mit der Zulassung von zusätzlichen Ausländern (10 pro Team!) die Löhne zu drücken. Es ist wahrlich so: Die verschmähten Junioren kosten unsere Klubs Millionen. Und künftig, bei 10 Ausländern, sind es noch mehr Millionen. Denn bei 10 Ausländern pro Team werden die Chancen für Nachwuchsspieler noch kleiner.
Die Weigerung, dem eigenen Nachwuchs nach dem skandinavischen Vorbild eine Chance zu geben, hat noch eine absurde Auswirkung. Im Rahmen der angezettelten «Reformen» wird die höchste Juniorenliga von U20 auf U22, also um zwei weitere Jahrgänge erweitert. Die offizielle Begründung: man wolle das Niveau heben und die Abwanderung der Besten in die nordamerikanischen und skandinavischen Ligen bremsen.
Der tatsächliche Hintergrund dieser hockeyweltweit einzigartigen und absurden Massnahme: So wird der Druck, doch dem eigenen Nachwuchs eine Chance zu geben, für die Sportchefs noch kleiner. Die Junioren können ja zwei weitere Jahre noch ein wenig bei den Junioren spielen. Die fatale praktische Auswirkung: Bis jetzt ist es möglich und üblich, die Besten aus der U17-Klasse bereits bei den Elitejunioren (U20) einzusetzen. Das wird nun, bei der Erweiterung der höchsten Junioren-Liga um zwei weitere Jahrgänge zu einem gesundheitlichen Risiko.
Wahrlich, wir leben in einer helvetischen Hockey-Welt, die noch immer zu den weltweit erstaunlichsten und erfolgreichsten gehört, aber nun den Verstand verloren hat. Es scheint, dass die ruhmreichen letzten Jahre nicht allen gutgetan haben. Die ZSC Lions sind die letzten, die sich noch gegen all diese Veränderungen auflehnen.