Sean Simpson hat seine letzte helvetische Expedition unaufgeregt begonnen. Der Kanadier weiss ja bereits jetzt: Nach der WM ist seine Mission erfüllt. Er kann nicht gefeuert werden. Und wenn er so erzählt wie es war, seine Zeit als Nationaltrainer und vor allem das monatelange Ringens um eine Vertragsverlängerung, dann wirkt er wie jemand, der noch gar nicht so richtig realisiert hat, dass die Party vorbei ist.
Sean Simpson sagt, er sei immer davon ausgegangen, dass es nach vier Jahren zu einer Vertragsverlängerung kommt. Es sei ja nicht einmal um Geld gegangen. Auch nicht um unerfüllbare andere Forderungen. Was war es dann? «Es ging einfach darum, dass ich gewisse Dinge so und so haben wollte. So wie jeder Trainer.» Er sei kein schwieriger Typ. Das zeige ja auch die Tatsache, dass er in 17 Jahren als Cheftrainer erst vier Arbeitgeber gehabt habe. Zug, die ZSC Lions, die amerikanische Anschutz-Gruppe (München, Hamburg) und eben unseren Eishockeyverband.
Mit allen hat er historische Erfolge gefeiert: Mit Zug den ersten und bisher einzigen Titel der Klubgeschichte. Mit der Anschutz-Gruppe die DEL-Meisterschaft mit München. Mit den ZSC Lions die Triumphe in der Champions League und im Victorias Cup und mit unserer Nationalmannschaft den Marsch bis ins WM-Finale von 2013.
Ins Detail mag Sean Simpson nicht mehr gehen. Er blicke nicht zurück im Zorn. Aber ein Blick zurück mit Wehmut und, ja, doch irgendwie ein bisschen Zorn ist es doch. Es ist so, als möchte er sagen: «Warum nur musste es zu Ende gehen?» Und es doch nicht sagen darf.
In den Gesprächen mit Verbandspräsident Marc Furrer (er hatte die Verhandlungen zur Chefsache erklärt) hat es keine Einigung gegeben. Deshalb verlässt Sean Simpson die Schweiz nach der WM in Minsk. Nächste Saison wird er mit seinem Kumpel Colin Muller das KHL-Team in Jaroslawl coachen. Es ist für unser Eishockey ein durch und durch unnötiger Abschied von einem aussergewöhnlichen Erfolgstrainer.
Wird der Nationaltrainer nun, da jeder weiss, dass er sowieso geht, bloss noch eine eine lahme Ente sein? Nein. Sean Simpson hat seine letzte WM mit noch einmal mit der ihm eigenen Akribie und Energie, ja Besessenheit vorbereitet. Es ist «seine» WM. Die Gefahr, dass ihm diese letzte Expedition egal sein könnte, gibt es nicht. Er sieht er seine Arbeit als seine ganz persönliche Mission. Das ist vielleicht sein wichtigstes Erfolgsgeheimnis.
Auf den ersten Blick scheint Sean Simpson zwar ein «politischer» Trainer zu sein. Einer, der bei seinen Entscheidungen auf alles Mögliche Rücksicht nimmt. Um es ja mit der Obrigkeit, den Medien und den Stars nicht zu verderben. Aber wenn es ums «Eingemachte» geht, um die Entscheidungen, die direkt den sportlichen Erfolg beeinflussen, nimmt er keine Rücksichten und macht keine Gefangenen. Dann ist Sean Simpson immer authentisch und nie politisch.
Die schauspielerischen Fähigkeiten und das Charisma seines Vorgängers Ralph Krueger hat er eben nicht. Wenn er sich ärgert, so versucht er nicht, ein gute Laune-Bär zu sein. Wenn er einen Spieler ausmustert, dann sagt er warum und redet nicht um den heissen Brei herum. Seine Ehrlichkeit ist mitunter schmerzhaft. Aber wer Sean Simpson nicht aushält, ist sowieso zu weich fürs Hockeygeschäft. Deshalb mögen ihn so viele Spieler. Deshalb hat er so aussergewöhnliche Erfolge erzielt.
Weil Sean Simpson sich vorbehaltlos engagiert, nimmt er alles persönlich. Einige WM-Absagen – etwa von Martin Plüss – haben ihn ganz persönlich getroffen. Obwohl er ja von allem Anfang an wusste, dass es in einem olympischen Jahr solche Absagen geben wird. Aber die WM-Mannschaft 2014 ist «sein» Team. Wer seinem Aufgebot nicht Folge leistet, sagt «Nein» zu Sean Simpson. Nicht einfach «Nein» zur Nationalmannschaft.
Immerhin kann Sean Simpson bei seiner letzten WM für die Schweiz nur gewinnen. Und nicht verlieren. Schafft er wieder das Halbfinale oder gar das Endspiel, dann wird er als Held in die höchsten Hockey-Himmel gehoben und als Mann mit Charakter gefeiert, der trotz feststehender Trennung der Sache zuliebe noch einmal sein Bestes gegeben hat. Ein Clint Eastwood des Hockeys. Kritik gibt es in diesem Falle nur für den Verband – weil es nicht gelungen ist, den Vertrag mit diesem Erfolgstrainer zu verlängern. Sean Simpson kann dann nach der WM, umtost von medialen Fanfarenklängen, die helvetische Bühne stolz erhobenen Hauptes verlassen.
Es wird für den Silberschmied von Stockholm aber auch kein Problem sein, wenn er in Minsk nicht einmal die Viertelfinals erreicht. Nicht Sean Simpson, sondern der Verband wird in diesem Falle in die Kritik geraten: Es sei ja klar, dass die Spieler, wenn sie wissen, dass der Chef so oder so geht, nicht mehr recht bei der Sache waren. Es sei nachgerade unverantwortlich, dass man den scheidenden Nationaltrainer nach längst feststehender Trennung noch mit der Leitung der WM-Expedition beauftragt habe.
Man hätte nach dem Scheitern der Verhandlungen die Zusammenarbeit sofort beenden und mit einem Nottrainer zur WM fahren müssen. Sean Simpson wirst in diesem Falle als Opfer der Führungsschwäche des des Verbandes portraitiert und man wird ihm hoch anrechnen, dass er trotz dieser widrigen Umstände versucht hat, die Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Die Unterhaltung wird also bei Sean Simpsons letzter WM gross sein. So oder so. Auf und vielleicht auch neben dem Eis.
Der Abschied fällt dem Kanadier auch schwer, weil es ihm erst mit dem WM-Final von 2013 gelungen ist, endlich, endlich aus dem langen Schatten seines langjährigen Vorgängers Ralph Krueger (WM 1998 bis Olympia 2010) herauszutreten. «Viele hatten mir geraten, den Job nicht anzunehmen und erst abzuwarten, bis Ralphs Nachfolger gescheitert sei und dann einzusteigen.» Das habe ihn nicht beeindruckt. «Ich bekam diese Chance und packte sie.» Nach und nach hat Sean Simpson seine Vorstellungen, seine Philosophie durchgesetzt. Und jetzt, da es endlich «seine» Nationalmannschaft ist, das taktische und spielerische Wesen und Wirken seine Handschrift trägt, geht alles schon wieder zu Ende.
Wer nicht zusammen passt, tut am besten, sich zu lösen. So gesehen hat es durchaus seine Logik, dass dieser eigenwillige, kompromisslos erfolgsorientierte und doch sensible Coach mit der neuen Mentalität bei «Swiss Ice Hockey», unserem Bundesamt für Eishockey, immer mehr Schwierigkeiten bekommen hat.
Aber Sean Simpson sagt nicht einmal andeutungsweise ein schlechtes Wort über seine vier Jahre als Nationaltrainer. Es wäre ja Unsinn, Türen zuzuschlagen, wenn man sie angelehnt lassen kann. Er sagt: «Eine Rückkehr an die Bande der Nationalmannschaft? Warum nicht?» Ja, warum eigentlich nicht? Sein Vertrag in Jaroslawl läuft zwei Jahre.