Die NHL hat ein funktionierendes «Sozialsystem» aufgebaut. Jedes der 30 NHL-Unternehmen beschäftigt 10 bis 15 Talentsucher. So sind über 300 Arbeitsplätze entstanden. Die Jobs bekommen vor allem ehemalige Spieler, die es in der NHL oder in den Farmteams später nicht zum Cheftrainer oder Manager oder Bürogeneral bringen. Oder mit einem Job in der Administration versorgt werden können.
Die Scouts (Talentsucher) drehen auf der Suche nach brauchbaren Spielern jeden Stein um. Sie beobachten Spiele der Junioren-WM-Turniere (U18 und U20), der nordamerikanischen Universitätsmeisterschaften und Juniorenligen, der Ligen in Europa, der NHL und der Farmteams. Auch bei der WM tauchen immer ein paar Scouts auf. Ein Spieler ohne NHL-Vertrag kann mit guten Leistungen an einer WM durchaus das Interesse der NHL-Macher wecken.
Die Scouts erstellen nach vorgefertigten Formularen Reports über die einzelnen Spieler und liefern dem General Manager die Entscheidungsgrundlagen für den Draft, für Tauschgeschäfte und Vertragsverhandlungen.
Scouts haben in der Regel einen ganz besonderen Sinn für Humor und pflegen die vor allem in Nordamerika so reiche Kultur des Storytellings: Sie haben einen unerschöpflichen Fundus an Geschichten aus der Hockeywelt. Weil sie das Stadion meistens rechtzeitig verlassen um nicht in den Verkehrsstau zu geraten, gilt der Grundsatz: Ein echter Scout hat die Durchsage noch nie gehört, es verbleibe noch eine Minute zu spielen.
Der ehemalige NHL-Verteidiger und Nationalliga-Trainer (SC Bern und Lausanne) John van Boxmeer hat inzwischen auch einen Job als Scout, ist zufrieden damit und denkt nicht mehr daran, noch einmal Trainer zu werden. Er wohnt in Südkalifornien (Anaheim) und beobachtet für Buffalo vorwiegend Spiele im Westen Kanadas und im Südwesten der USA und hin und wieder wird er auch auf eine grössere Reise geschickt. Er ist am Sonntag hier in Minsk eingetroffen.
Unter anderem hatte er den Auftrag, hier in Minsk Sven Bärtschi (21) zu beobachten. Aber der Langenthaler hat im ersten Spiel gegen Russland einen Rippenbruch erlitten und ist bereits nach Hause geflogen.
Dass sich John van Boxmeer für Sven Bärtschi interessierte, hat schon seinen Grund. Für den Erstrundendraft gibt es in Calgary unter Trainer Bob Hartley kaum mehr eine Zukunft. Wenn ein Spieler mit dem Trainer nicht mehr auskommt, dann heisst es in Nordamerika, er sei im «Doghouse» des Trainers gelandet. John van Boxmeer geht davon aus, dass Sven Bärtschi so leicht nicht mehr aus Bob Hartleys Doghouse herauskommen wird.
Es kann also durchaus sein, dass Calgary den Schweizer auf dem Transfermarkt zum Tausch anbieten wird bevor der Vertrag Ende der nächsten Saison ausläuft. Dann ist es auch für die Bürogeneräle in Buffalo nützlich zu wissen, wie gut Sven Bärschi tatsächlich ist bzw. welches Potenzial er hat.
Warum ist es Sven Bärtschi nicht gelungen, sich diese Saison in der NHL durchzusetzen? Als Junior durfte er im März 2012 schon mal eine «Schnupperlehre» in der NHL machen und buchte in den fünf Partien drei Tore. Aber seither ist er weit hinter den Erwartungen geblieben.
John van Boxmeer hat sich mit dieser Frage befasst. Er hat Sven Bärtschi mehrmals im Farmteam beobachtet und bezeichnet dessen Leistungen schlichtweg als «brutal schlecht». Er sagt, Bärtschi sei in der AHL gar nicht aufgefallen und habe mit seinen Leistungen nie einen Grund für die Rückkehr in die NHL geliefert.
«Er ist so talentiert und so smart. Aber gegenüber seiner Juniorenzeit nicht mehr wiederzuerkennen. Er spekuliert viel auf verlorene Pucks und hat noch nicht gelernt, richtig zu kämpfen und wie ein Mann zu spielen. Er ist immer noch ein Junior.» John van Boxmeer sieht für Sven Bärtschi nur noch eine Möglichkeit: «Er muss im Sommer trainieren wie verrückt und im Trainingscamp dann einer der Besten sein. Nur so schafft er es in Calgary zurück in die NHL.»