Keine Medaille. Die WM 2019 endete nach einer Bahnfahrt nach Kosice mit dem Viertelfinal gegen Kanada (2:3 n.V). Mit der dramatischsten WM-Niederlage unserer Hockeygeschichte. Fürs zweite Halbfinale hintereinander fehlten 0,4 Sekunden. Kanada hat dieses Viertelfinal-Drama gewonnen, ohne während einer Spieldauer von 65 Minuten und 7 Sekunden auch nur eine einzige Sekunde in Führung zu liegen.
Die Schweizer kehren also als unglückliche WM-Helden heim. Aber Nationaltrainer Patrick Fischer (43) ist trotzdem der grosse WM-Sieger. Er ist definitiv der neue Ralph Krueger.
Patrick Fischer versteht es meisterhaft, die Nationalmannschaft zum Schmelztiegel der Hockeykulturen zu machen: er begeistert unsere NHL-Profis und Dollarmillionäre für eine Frühjahrsreise an die WM und holt ein Maximum aus dem helvetischen Personal unserer heimischen Liga heraus. Das Resultat ist ein WM-Team, das über die am Eishockey interessierten Kreise hinaus begeistert. Und für die hohe Qualität unserer Liga steht.
Nie mehr seit den Zeiten von Bibi Torriani und den Gebrüdern Poltera in den 1920er, 1930er, 1940er und 1950er Jahren war die Eishockeynationalmannschaft so populär wie heute. Und das ist zu einem ganz grossen Teil auch Patrick Fischers Verdienst.
Eigentlich wollten wir noch nicht nachhause... trotzdem: die Schweizer #Nati landet morgen Freitag um 16.20h in Zürich (Flug LX2255 aus Budapest). #hoppschwiz 🇨🇭
— Swiss Ice Hockey (@SwissIceHockey) 23. Mai 2019
Ein Blick zurück zeigt uns, wie wichtig er geworden ist. Am Anfang seiner Amtszeit war im Herbst 2015 das Chaos. Fast wie am Anfang der Schöpfung, von dem es im Buch der Bücher heisst: «Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe». So ungefähr war die Stimmung in den Verbandsbüros, als im Herbst 2015 der völlig überforderte Nationaltrainer Glen Hanlon den Rücktritt eingereicht hatte.
Vier Jahre später ist unser Eishockey international so erfolgreich wie nie zuvor in seiner Geschichte. Nationaltrainer Patrick Fischer und Verbands-Sportdirektor Raëto Raffainer haben bei vier WM-Turnieren zweimal das Viertelfinale (2017, 2019) und einmal das Finale (2018) erreicht. Beide stehen als Beispiele dafür, wie es möglich ist, im Amt zu wachsen.
Raëto Raffainer war in Bratislava und Kosice zum letzten Mal dabei. Nun zügelt er nach Davos und übernimmt dort das Amt eines Sportchefs. Sein Nachfolger wird Lars Weibel. Patrick Fischers Vertrag läuft nach der WM 2020 aus. Aber das Pokerspiel um seinen Vertrag hat mit dem Ende der WM 2019 begonnen.
Bratislava, 22. Mai. Small Talk in der VIP-Loge der Hockey-Arena. Feines Essen. Guter Wein. Gedämpftes Licht. Eine Mischung aus Nachtklub, Jahresversammlung der Freimaurer und Mustermesse. Noch ist die Schweiz im Turnier. Das Viertelfinalspiel gegen Kanada, das wir so dramatisch verlieren werden, steht erst am nächsten Tag auf dem Programm.
Das Thema ist die Zukunft. Ein der zahlreichen anwesenden helvetischen Hockeygeneräle macht sich Sorgen. Verbandspräsident Michael Rindlisbacher wolle unbedingt noch vor der neuen Saison mit Patrick Fischer vorzeitig verlängern. Man befürchte, er werde «dreinschiessen». Also übereilt und viel zu teuer verlängern. Die Personalie Nationaltrainer ist Sache des Verbandspräsidenten.
Der Hintergrund ist klar: die Liga will aus dem grossen Topf der TV-Gelder, der jedes Jahr mit etwas mehr als 30 Millionen gefüllt wird, mehr Geld. Das bedeutet, dass der Verband, wenn er den Klubs mehr Geld gibt, das diese subito in die Löhne investieren, weniger Mittel für die Nationalmannschaftsprogramme hat.
Auf Druck der Klubs ist inzwischen ein Sparprogramm angelaufen, mit dem eine halbe Million Verbandausgaben (Administration, Nationalteams) eingespart werden soll. Und bereits laufen Planspiele für eine weitere halbe Million Einsparungen. Da passt eine Lohnaufbesserung für den Nationaltrainer schlecht in die finanzielle Architektur.
Patrick Fischers Agent Daniel Giger sagt, der Vertrag laufe ohne Wenn und Aber nach der WM 2020 aus. Eigentlich kein Grund zur Eile. Aber die WM 2020 findet in Zürich und Lausanne statt (8. bis 24 Mai 2020). Nationaltrainer Patrick Fischer wird während der ganzen nächsten Saison und erst recht vor und während der WM ein Medienthema und eine der bekanntesten Schweizer Persönlichkeiten der Zeitgeschichte sein.
Ständige Spekulationen um seine Zukunft würden rund um die Nationalmannschaft für permanente Unruhe sorgen. Also ist es durchaus klug, vorzeitig bis zum Ende der olympischen Saison 2021/22 zu verlängern.
Noch steht ja den Verbandsgenerälen das unglückselige Ende der «Ära Simpson» (2010 bis 2014) in den Knochen. Sean Simpson, der Silberschmied von 2013 hat im Sommer 2014 den Posten des Nationaltrainers mit viel Groll und ständigem Hin und Her um seinen Vertrag Richtung KHL verlassen. Das war ein Grund, warum die Silber-WM von 2013 – ganz im Gegensatz zur Silber-WM 2018 – noch wenig nachhaltige Wirkung hatte.
Diesen Fehler gilt es zu vermeiden. Patrick Fischer, der Silberschmied von 2018 soll bleiben. Aber zu welchem Preis? Ein hochrangiger Hockeygeneral, der auch hier in Bratislava weilte, sagt: «Die absolut oberste Schmerzgrenze ist eine halbe Million – Erfolgsprämien eingerechnet. Mehr liegt nicht drin.»
Patrick Fischer verdient seit der Verlängerung im Dezember 2017 inklusive Prämien und Zusatzleistungen knapp 300'000 Franken. Das ist viel, wenn wir bedenken, dass er im Herbst 2015 als arbeitsloser Jungtrainer – er war soeben in Lugano gefeuert worden – froh war, überhaupt Arbeit zu finden. Das ist immer noch ein bäumiges Salär, wenn wir bedenken, dass er im Dezember 2017 noch ohne grossen Leistungsausweis (2016 Viertelfinals verpasst, 2017 Viertelfinal verloren) den Ende Saison auslaufenden Vertrag vorzeitig bis 2020 verlängern durfte.
Aber inzwischen ist Patrick Fischer der wichtigste Mann des Verbandes. Der telegene, charismatische Kommunikator ist für das Schweizer Eishockey von fast unbezahlbarem Wert wie einst Ralph Krueger. Nach der grandiosen WM 2000 in St.Petersburg (mit dem Sieg über Russland, der uns ins Viertelfinale brachte) verlängerte Ralph Krueger im Sommer 2000 vorzeitig um sechs Jahre. Sein Vertrag kostete den Verband im Jahr ziemlich genau eine Million. Da sollte man bei Patrick Fischer nun 19 Jahre später nicht zu knausrig sein.
Der Nationaltrainer ist ja nicht nur der Trainer und Coach der Nationalmannschaft. Ebenso wichtig: er ist der Verkäufer, der erste Botschafter unseres Eishockeys mit Ausstrahlung weit übers Eishockey hinaus.
Patrick Fischer ist inzwischen der perfekte Nationaltrainer. Er repräsentiert den neuen, kommunikativen Trainertyp für die Generation Smartphone. Wie Jürgen Klopp im Fussball. Er ist trotz des Scheiterns im Viertelfinale der grosse Sieger dieser WM – und das wird für den Verband zum Problem. Sein Marktwert beträgt nämlich inzwischen mindestens 600'000 Franken plus Prämien und Extraleistungen. Weil es auch ausländische Klubs gibt, die an ihm interessiert sind.
Verlängert der Nationaltrainer vielleicht trotzdem für weniger als 600'000 Franken? Das ist die grosse, bange Frage für Verbandspräsident Michael Rindlisbacher.
Lieber Michael – er wird nicht. Und er hat recht.
Oder auch die unsäglichen, meisterschaftsverfälschenden Zusatzrunden in unserer Liga.
Vertragsverhandlungen mit Spielern aus anderen Teams, kaum hat die Saison begonnen.
Wir brauchen einen starken Verband, ohne Seilschaften zu den Klubbossen, der Angstfrei und unabhängig Entscheidungen treffen kann. Zum Wohle unseres Eishockeys!
Aber muss ein Wechsel zwangsweise für Unruhe sorgen? Ist die Personalie - egal ob Abgang oder Weterbeschäftigung - mal bereinigt, herrscht Ruhe. Einzig die Ungewissheit kann für Unruhe sorgen. Das heisst: Die Zukunft von Patrick Fischer muss geklärt sein, bevor 2020 die WM in unserem Land beginnt.
Und noch was: Ob der Verband nun spart oder nicht, ist einerlei. Das Geld wird sowieso in irgendwelche Löhne fliessen.