0,4 Sekunden fehlten im WM-Viertelfinale zum Sieg gegen Kanada. Wie lang haben Sie gebraucht, um diesen bitteren Moment zu verarbeiten?
So knapp noch zu scheitern ist etwas vom Bittersten, was es im Sport gibt. Ich war erst einmal traurig und leer. Aber ich bin stolz darauf, wie die Mannschaft das weggesteckt hat. Es war ja erst der Ausgleich und wir hatten in der Verlängerung noch Chancen zum Sieg.
Haben Sie Lehren daraus gezogen?
Ja. Wenn wir unser letztes Drittel genauer betrachten, dann sehen wir, dass wir die Angriffswellen der Kanadier vor allem in den letzten zwölf Minuten nicht mehr stoppen konnten. Es ist uns nicht mehr gelungen, das Spiel zu beruhigen.
Warum?
Wir haben noch nicht genug Spieler, die auch unter starkem gegnerischen Druck clever und kaltblütig bleiben, mit einem guten Pass das Spiel beruhigen können und die Scheibe nicht einfach wegschlagen. So rollte eine Welle um die andere auf unser Tor zu und der Ausgleich hätte schon früher fallen können. Es war eine Lektion für uns. Wir müssen in solchen K.O.-Spielen mehr Ruhe bewahren um einen Vorsprung gegen einen starken Gegner über die Zeit zu bringen. Wir haben international erprobte Verteidiger wie Josi oder Diaz, die das können. Andere haben erst ihre zweite oder dritte WM gespielt und wenig Erfahrung mit solchen Situationen auf diesem Niveau.
Eine der Stärken des Nationalteams unter Ralph Krueger war gerade die Fähigkeit, Resultate über die Zeit zu bringen. Sie waren damals einer seiner Spieler – profitieren Sie von dieser Zeit?
Was Ralph Krueger geleistet hat und jetzt gerade als Coach in Buffalo wieder leistet, ist ganz einfach gewaltig. Ja, gegen gleichwertige Gegner brachten wir die Führung über die Zeit. Aber damals führten wir selten im letzten Drittel gegen die Grossen. Es war eine andere Zeit mit anderen Spielern. Wir waren noch nicht gut genug, um mitzuspielen.
Ralph Krueger ist Cheftrainer in der NHL geworden. Könnte das auch für Sie der Weg sein?
Also in den britischen Fussball werde ich sicher nicht wechseln (Krueger war auch geschäftsführender Präsident in Southampton – die Red.). Aber sein Vorbild ist eine riesige Inspiration. Wohin mein Weg einmal führen wird, weiss ich nicht. Ich bin sehr glücklich mit meiner Arbeit und bin froh, dass wir den Prozess weiterführen können, den wir begonnen haben. Wir sind inzwischen dazu in der Lage, auch mit der Offensive Spiele zu gewinnen. Diesen Weg sind wir noch nicht zu Ende gegangen. Es wäre sehr schade, wenn diese positive Entwicklung unterbrochen würde. Ich freue mich, dass nun das Verständnis für diese Entwicklung da ist.
In gewisser Weise sind Sie auch ein Kind der «Ära Krueger».
Ja, ich war in Kanada in der High School und habe dort diese Winnermentalität früh kennen gelernt. Als Ralph 1998 kam, waren wir im Vergleich zu heute noch nirgendwo. Ich erinnere mich gut, wie wir nach den zwei ersten Niederlagen bei dieser WM enttäuscht waren. Er hat uns mit der einfachen, klaren Message, dass wir nun mit einem Sieg mit drei Toren Differenz gegen Frankreich doch weiterkommen können, die Hoffnung zurückgegeben und wir sind schliesslich bis ins Halbfinale gekommen: Das war alles Kopfsache. Er war im mentalen Bereich weit voraus. Wir wurden die erste Generation, die daran glaubte, dass es möglich ist, nach Nordamerika zu gehen.
Was ist der Unterschied zwischen dem Patrick Fischer von heute und dem Patrick Fischer, der in Lugano gescheitert ist?
In Lugano sind schon viele gescheitert. Ich bin immer noch stolz darauf, dass wir mit einer Mannschaft in meine dritte Saison gingen, die zu 54 Prozent aus Spielern aus unseren eigenen Junioren bestand. Diese Identifikation mit dem Klub war unsere Vision.
Aber Sie haben sicherlich die Lehren daraus gezogen?
Als ich in Lugano Trainer wurde, hatte ich keine Erfahrung. In den vier Jahren als Nationaltrainer habe ich schon sehr viel gelernt. Einerseits durch den Einblick ins Eishockey anderer Länder und andererseits kann ich bei den Coaches in der Liga vorbeischauen. Durch diese Erfahrung bin ich taktisch viel besser geworden.
Und in der Art und Weise wie Sie die Spieler führen?
Ich wollte schon immer eine gute Stimmung in der Mannschaft. Damit sich alle wohlfühlen und sich keiner verkrampft. Darauf lege ich sehr grossen Wert. Inzwischen bin ich am Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr an Bestrafung und an laute Worte glaube. Wenn einer nicht gut spielt, dann weiss er es selbst am besten. Es ist mein Job, herauszufinden, warum er nicht gut drauf ist. Habe ich ihn falsch eingesetzt, überfordert oder unterfordert? Hat er private Sorgen? Ich bin sein Coach und ich versuche ihm zu helfen, wieder in die Bahn zu kommen. Wir hatten bei den letzten drei Weltmeisterschaften keinen einzigen Spieler mehr, der abgefallen ist. Es ist wichtig, dass die jungen Spieler, die zu uns kommen, locker bleiben und sich nicht verkrampfen.
Besteht die Gefahr, dass Sie zu nachgiebig, zu «weich» sind?
Nein. Ich kann hart und konsequent sein. Ich bin authentisch und sage, was ich will und was ich denke. Aber auch die Wertschätzung der Spieler ist sehr wichtig. Es spielt keine Rolle, wie einer heisst. Es geht um die Leistung, ohne Rücksicht auf Namen und Verdienste. In meiner Anfangszeit als Coach habe ich zu oft die Konfrontation mit den Spielern gesucht.
Sie passen also Ihren Führungsstil der neuen Generation an?
Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich laut werde. Wenn einer etwas nicht gut macht, dann spreche ich ihn darauf an, und dann diskutieren wir das aus. Das war bei Ralph Krueger sehr ähnlich. Es geht darum, Klarheit zu schaffen indem jeder weiss, was wir von ihm erwarten und welche Rolle er spielt. Die jungen Spieler wollen wissen, woran sie sind. Sie wissen sehr viel und sie haben auch eine sehr hohe Leistungs- und Verzichtbereitschaft. Die sind sehr weit, weiter als wir damals waren, sie sind fit und sie sind reif. Ich muss heute keinem mehr sagen, wann es Zeit ist, schlafen zu gehen.
Also kein Zapfenstreich bei der Nationalmannschaft wie zu den Zeiten, als Sie noch gespielt haben?
Nein. Ich habe noch nie gesagt, wann jeder im Zimmer zu sein hat. Die Captains stellen die Regeln auf und daran halten sich alle.
Wie ist Ihre Einstellung zu den sozialen Medien?
Wir informieren vor den Zusammenzügen über gewisse Gefahren und beispielsweise darauf zuachten, keine unbedachten Kommentare ins Netz zu stellen. In der Garderobe und am Esstisch dulde ich keine Smartphones. Sonst schaut jeder auf sein Gerät und wir reden nicht mehr miteinander.
Nach vier WM-Turnieren im Ausland steht nun die Heim-WM an. Ralph Krueger hat 2009 für viel Aufregung gesorgt, als er vom «Heim-Nachteil» sprach. Ändern Sie nun etwas bei der Vorbereitung?
Die Saison läuft nach dem gleichen Plan. Beim November-Zusammenzug erhalten junge Spieler wie bisher die Chance, sich zu empfehlen. Beim Heimturnier im Dezember treten wir erneut mit der bestmöglichen Mannschaft an und im Februar geben wir wie gewohnt jungen Spielern eine Chance auf internationale Erfahrungen. Aber eine WM im eigenen Land ist etwas anderes.
Was ist der Unterschied?
Es gibt viel mehr Ablenkung. Alle haben ihre Familien, Freunde, Freundinnen sozusagen gleich um die Ecke. Es ist nicht so, dass die Spieler ihre Familien während der WM nie sehen. Aber eben nur zu einer ganz bestimmten Zeit. Wir leben sehr stark vom Teamgeist und deshalb braucht es eine klare Abgrenzung. Bei einer WM im Ausland sind wir unter uns. Wir haben im Spielerhotel einen Gemeinschaftsraum, den wir unsere SAC-Hütte nennen. Dort sind immer gut ein Dutzend Spieler, jassen oder gamen zusammen.
Sozusagen wie in einer Stammbeiz.
So ungefähr. Das ist für unser Zusammengehörigkeitsgefühl sehr wichtig. Auch wenn die Spieler mal frei haben, sind sie meist in einer Gruppe unterwegs.
Die Mannschaft lebt also während der WM wie in einer Blase?
Ja, zwei Wochen lang sind wir zusammen: in der Garderobe und im Hotel und selbst in der freien Zeit. Je mehr Ablenkung wir haben, desto eher verlieren wir den Fokus. Diese Erfahrung haben wir bereits beim Olympischen Turnier in Südkorea machen müssen. Je weniger Ablenkung, desto besser. Das ist uns allen bewusst.
Wie erklären Sie eigentlich einem Laien den Unterschied zwischen nationalem und internationalem Hockey?
Es ist sehr erfreulich, wie sich unsere Liga entwickelt. Die vermeintlich kleinen Teams sind noch besser geworden. Sie spielen schnell, intensiv und gut strukturiert. Wir haben sehr gute Coaches, die unsere Liga besser machen. Die Russen sagen, gutes Eishockey beginne mit einem Pass und ende mit einem Schuss, bei den Kanadiern fange alles gleich mit einem Schuss an. Dieses wilde nordamerikanische Hockey können wir eigentlich schon lange. Nun bringen sehr gute Coaches aus Finnland und Schweden das gepflegtere Hockey mit einer besseren Auslösung und besseren Pässen.
Aber es gibt einen Niveau-Unterschied zwischen der Liga und einer WM?
Ja. Der Hauptunterschied zwischen der Liga und dem internationalen Hockey ist die Zweikampfstärke ums Tor herum, im «Million Dollar Spot». Wer ist der grösste Gegner, wenn wir über die blaue Linie kommen? Der Torhüter. Er macht uns am meisten Schwierigkeiten. Also müssen wir ihn aus dem Konzept bringen. Einer muss ihn einfach konsequent stören und so beschäftigen wir auch noch einen Verteidiger. Denn wenn einer vor dem Torhüter steht, muss dort auch ein Verteidiger sein. In der Liga wird zu wenig konsequent der Weg vors gegnerische Tor gesucht. In der NHL ist dies inzwischen ein zentraler Faktor. Bei der WM sind wir in diesem Bereich besser geworden.
Sie dürften ja Ihr WM-Team im Kopf haben. Welche Positionen machen Ihnen Sorgen? Die Torhüter?
Nein. Sie denken das wohl, weil Leo Genoni in Zug noch nicht sein bestes Hockey spielt und Reto Berra mit Gottéron weit hinten klassiert ist. Aber Leo hat auf Schwierigkeiten noch immer die richtige Antwort gefunden und Gottérons Probleme haben nichts mit Reto zu tun. Beide sind auch auf internationalem Niveau sehr gute Goalies. Worüber ich mir vor allem Gedanken mache: Wir sind auf der Center-Position dünn besetzt.
Es wird also wichtig sein, dass Nico Hischier und Gaëtan Haas bei der WM dabei sind.
Ja, mindestens einer der beiden. Ich wünsche mir mehr starke Center. Sie nehmen eine sehr wichtige Position ein und ich kann verstehen, dass viele Klubs die erste und zweite Center-Position mit einem ausländischen Spieler besetzen.
Haben Sie eigentlich eine Ausstiegsklausel für die NHL in Ihrem Vierjahresvertrag?
Nein, ich wollte keine solche Klausel. Meine Vertragsverlängerung ist ein Bekenntnis zur Nationalmannschaft ohne «wenn» und «aber». Ich verlange dieses Bekenntnis ja auch von meinen Spielern.
Und wenn Ihnen im nächsten Sommer die New York Rangers den Cheftrainerposten anbieten?
Dann sage ich nein.
dass wir diesen Patrick Fischer haben. Er ist locker, geht aber konsequent seinen Weg. Er hat eine Vision, wo er die Mannschaft hinbringen will. Mir gefällt auch sein Führungsstil. Und er bleibt bis 2024. Hockeyherz, was willst du mehr.
Zuerst las ich den Artikel über einen schlaffen, visionslosen Bundesrat, der auch heute noch nicht angekommen ist im Amt.. 👉Akuter Launeabfall.
Dann lese ich Fischers Interview und Laune steigt sogleich wieder..
Lieber Herr Fischer. Sie sollten Kurse für Manager geben. Denen täte Ihre Einstellung und Ihr Führungsstil seeehr gut...