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Um das grosse Theater zu verstehen, das in diesen Tagen beim SC Bern gespielt wird, zunächst ein kurzer Abstecher nach Luzern und in die Geschichte.
Das Bourbaki-Panorama in Luzern ist ein riesiges, grandioses Rundgemälde: 112 Meter lang und 10 Meter hoch. Dieses Gemälde aus dem 19. Jahrhundert erzeugt beim Besucher die Illusion, an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit zu verweilen und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Dargestellt ist der Grenzübertritt der geschlagenen französischen Ostarmee unter General Charles Denis Sauter Bourbaki, daher der Name des Gemäldes.
Nun kehren wir in die Gegenwart zurück. Der SCB verliert zum dritten Mal hintereinander. Diesmal in Kloten (2:4) und er sinkt immer tiefer. Inzwischen sogar auf Strich-Tiefe. Es ist der spielerisch erbärmlichste SC Bern seit dem Wiederaufstieg von 1986 oder bald 30 Jahren.
Die spielerische Leichtigkeit ist gänzlich verschwunden. Was eigentlich ein Spiel sein sollte, ist zu einer Serie von Zweikämpfen verkommen. Eigentlich sollte beim SCB nicht der Topskorer den gelben Helm tragen. Sondern der Spieler, der es schafft, sich in die meisten Zweikämpfe verwickeln zu lassen. Vielleicht lässt sich eine Baufirma als Sponsor finden. Bauarbeiter tragen ja auch gelbe Helme.
Den Bernern ist in Kloten bei nummerischem Gleichstand nicht ein einziger Angriff über mehrere Stationen gelungen. Sie haben nie durch einen zügigen Gegenangriff eine Überzahlsituation in der gegnerischen Verteidigungszone herausgespielt, geschweige denn einmal einen Mann in freie Schussposition manövriert. Die beiden Treffer erzielten sie im Powerplay. Der SCB spielt, äh, arbeitet nun wirklich so, als hiessen alle Akteure Alain und Pascal Berger oder Flurin und Gian-Andrea Randegger.
Der neutrale Beobachter, der nur das Spiel von der Tribüne aus beobachtet, denkt: Wie kann es sein, dass das Bayern München des europäischen Hockeys, die Mannschaft eines Hockeykonzerns mit mehr als 50 Millionen Franken Umsatz, auf dieses erbärmliche spielerische Niveau herabsinkt? Wie kann es sein, dass ein Trainer, der die Spielkultur inzwischen bis auf die Grundmauern abgetragen hat, allerhöchste Wertschätzung geniesst?
Aber Trainer Guy Boucher ist der charismatischste Verkäufer seiner selbst der letzten 25 Jahre. Ein aussergewöhnlich begabter Kommunikator. Besser noch als Ralph Krueger. Da bleibt einem Chronisten, der ja auch im Kommunikations-Geschäft tätig ist, nur eine tiefe Verbeugung.
Lokaltermin Kabinengang. Das Spiel gegen Kloten ist aus. Die SCB-Kabinentüre ist noch zu. Sogar der Korrespondent des Tages-Anzeigers, der sich eigentlich nur um die Kloten Flyers kümmert, ist da. Neugierig. Wer weiss, vielleicht passiert irgendetwas. So kann es doch nicht weitergehen! Hat nicht Marc Lüthi die zwei letzten SCB-Meistertrainer Larry Huras und Antti Törmänen unmittelbar nach einem Spiel standrechtlich gefeuert? Also.
Guy Boucher tritt aus der Kabine. Schwarz glänzen die polierten Schuhe. Akkurat der Haarschnitt. Perfekt sitzt die Krawatte. Passend der Anzug. Dass Kleider Leute (und Hockeytrainer) machen, hat uns ja schon Gottfried Keller gelehrt. Exakt so pflegen die Coaches in der NHL nach einem Spiel vor die Medien zu treten. Ein Hauch von NHL im Schluefweg.
Und nun verwandelt der grosse, gescheiterte kanadische NHL-General das klägliche, erbärmliche Spiel vor den gespannten Zuhörern in ein Gemälde von der Dramatik und Eindringlichkeit des Bourbaki-Panoramas.
Ein Chronist fragt ihn keck, nun habe er beide Spiele seit der Verkündung des Rücktritts per Saisonende verloren. Ob es da wohl einen Zusammenhang gebe? Potz Donner! Wie Guy Boucher den unbotmässigen Fragesteller in den Senkel stellt! Er fixiert ihn mit den Augen, erklärt, das habe nichts, gar nichts, aber rein gar nichts mit diesem Spiel zu tun. Er lässt alle spüren, dass solch ungeheuerliche Fragen völlig fehl am Platz sind.
Und nun erklärt Boucher die gewaltigen, ja eigentlich unlösbaren Probleme, die er beim SC Bern zu meistern habe. Hätte der griechische Sagenheld Herkules vor der Erledigung seiner berühmten zwölf Arbeiten eine Medienkonferenz gegeben – er hätte genauso gesprochen wie Guy Boucher.
Und Herkules musste immerhin den Nemeischen Löwen erlegen, die neunköpfige Hydra töten, die menschenfressenden Rosse des Diomedes zähmen, die Rüstung der Amazonenkönigin Hippolyte herbeischaffen, die Rinderherde des Riesen Geryon rauben, die goldenen Äpfel der Hespenden stehlen, den kretischen Stier bei den Hörnern packen, den Wachhund der Unterwelt in die Oberwelt bringen, die kerynitische Hirschkuh und das erymanthische Wildschwein einfangen, die stymphalischen Vögel vertreiben und die Rinderställe des Augias ausmisten.
Wir können erst nach diesem Exkurs in die griechische Mythologie ermessen, wie schwierig, gewaltig die Aufgabe des SCB-Trainer ist. Welche Leistungen er zu erbringen hat.
Guy Boucher erzählt, er sei in seiner gut 20-jährigen Karriere noch nie in seiner so schwierigen Lage gewesen wie jetzt in Bern. Die vielen blessierten Spieler! Und jetzt fehlen sieben (oder hat er acht gesagt?) und nur noch drei von sechs Ausländern sind einsatzfähig.
Es ist also angesichts der dramatischen Umstände geradezu eine heroische Leistung, dass es trotzdem gelungen ist, gegen Kloten (das allerdings auch nur mit drei Ausländern spielte) überhaupt mithalten zu können. Grossartig habe man gekämpft. Er sagt wörtlich etwa fünf oder sechsmal hintereinander «gekämpft». Ja, ja, ein heroischer SCB. Nie den Mut verloren. Immer alles gegeben.
Dazu wird gerühmt, wie toll sich die Jungen integrieren. Der Luca (20) und der Nico Hischier (16). Der Nico sei ein ganz «bsungerbar» guter, smarter Spieler. Und Torhüter Janick Schwendener (er sagt «Schwendi») werde jetzt viel Einsatzzeit bekommen. Marco Bührer falle für unbestimmte Zeit aus. Noch sei offen, ob eine Operation notwendig sei oder nicht.
Nur eine Ausrede, die Guy Boucher einst bei jeder Gelegenheit zelebrierte, fehlt jetzt. Letzte Saison pflegte er immer zu sagen, man müsse eben sehen, woher diese Mannschaft komme. Sie kam aus der Abstiegsrunde. Dorthin hatte er sie allerdings selber versenkt.
Innerlich verneigen sich jetzt alle. Beinahe hätte ich mich für jedes kritische Wort, ja, für jeden kritischen Gedanken entschuldigt. Dieser grosse Trainer, der diesen heroischen, mutigen SCB geschaffen hat! Ja, der SCB hat gar noch Chancen, die Playoffs zu erreichen! Es ist bisher gar gelungen, so übermächtige Mannschaften wie Ambri, Biel und Langnau zu distanzieren. Gegen eigentlich unbesiegbare Titanen wie Kloten, Lausanne und Servette war es zuletzt gar möglich, auf Augenhöhe zu spielen und nur knapp zu verlieren! Welch ein Frevler, der diese Mannschaft, diese grossartige Mannschaft, diesen Trainer, diesen grossartigen Trainer und überhaupt irgendetwas kritisiert.
Kein Wunder, schafft es Guy Boucher, selbst Marc Lüthi (und Sportchef Sven Leuenberger sowieso) von seiner Arbeit, ja, seiner sportlichen Wundertätigkeit zu überzeugen. So blind wie die SCB-Würdenträger ihrem kanadischen Trainer sind nicht einmal die Kinder von Hameln dem fröhlich pfeifenden Rattenfänger gefolgt. Wahrlich, grosser Guy Boucher!
Tja, wie geht es weiter? Marc Lüthi, der Mann, der bei allen Trainerfragen das letzte Wort hat, hält sich bedeckt und wirkt entspannt. Er ist nicht nur tief von seinem Trainer beeindruckt. Er kann auch rechnen. Mit jedem Tag mit Guy Boucher im Amt spart er Geld. Wozu für den Rest der Saison einen neuen Trainer holen und bezahlen, wenn ja schon klar ist, dass für nächste Saison ein neuer kommt? Das rechnet sich nicht. Und mit ein bisschen Glück wird es wohl auch mit Guy Boucher für die Playoffs reichen – und dann ist sowieso alles möglich.
Möglicherweise kommt es nun zu einer «Volksabstimmung». Wenn die Zuschauer weiterhin ins Stadion kommen, wird Marc Lüthi den Trainer behalten. Wenn die Zuschauerzahlen allerdings zurückgehen oder wenn es nun negative Reaktionen der Sponsoren gibt, dann helfen Guy Boucher alle Ausreden nichts mehr.
Der neutrale, objektive Beobachter verlässt das Stadion in Kloten, tritt an die frische Luft hinaus, bekommt wieder klaren Kopf und denkt sich: Welch absurdes SCB-Theater! Welch köstliche Unterhaltung!
Bei einem Dorfclub aus einer der strukturschwachsten Regionen der Schweiz ist dies ja irgendwie normal, ja das muss so sein.
Aber dass der wirtschaftlich erfolgreichste Club mit der grössten Kulisse Europas nicht mehr aus seinen Möglichkeiten macht, muss schon zu denken geben. Liegt es vielleicht doch am Duo Leuenberger/Lüthi?
Bern und Ambri sind in jedem Fall Playout-Kandidaten