Kritiker schmähen den Spengler Cup oft als «Grümpelturnier». Weil es um «nichts» – also um keinen EM- oder WM-Titel – geht. Nur um einen Pokal. In dieser abwertenden Bezeichnung liegt Wahrheit und Kompliment zugleich: Was ist denn ein «Grümpelturnier»? Ein Wettbewerb, bei dem sich die Dorfgemeinschaft zum sportlichen Wettstreit versammelt und viel Spass hat.
An «Grümpelturnieren» ist landauf- und landab schon viel Dorfpolitik gemacht worden. Und für den organisierenden Verein ist ein erfolgreiches «Grümpelturnier» fürs wirtschaftliche Wohlergehen überlebenswichtig. Ein «Grümpelturnier» ist nicht einfach ein Sportanlass. Es ist eine kulturelle Veranstaltung mit hoher politischer und finanzieller Bedeutung für das jeweilige Gemeinwesen und den Frieden im Dorf.
Im Hockey-Flachland gehört es zum guten Ton, über den Spengler Cup zu schnöden und tatsächlich gibt es viele Hockey-Fans, die stolz darauf sind, nicht zum Spengler Cup zu fahren und dieses Turnier zu verachten. Weil sie dem HCD keinen Franken in die Kasse tragen wollen.
Hockeyfans sind in der Regel zu hundert Prozent loyal zu ihrem Klub (und nur ihrem Klub). Höchstens noch die Nationalmannschaft oder ein NHL-Team vermögen ihre Seele zu erwärmen. Aber nicht der Spengler Cup, das Turnier des HC Davos. Das Gleiche gilt für viele Hockeymacher, die ja von ihren Klubs bezahlt sind, um die Klubinteressen zu vertreten. Sie sehen im Spengler Cup nicht den unbezahlbaren Werbewert fürs Hockey, der ja auch ihrem Klub nützt. Sie sehen bloss die Termine in der Altjahrswoche, die sie gerne für ein Meisterschafts-Heimspiel ihres Klubs nützen möchten.
Die Hunde bellen, die Karawane zieht unbeirrt weiter. Der Spengler Cup hat die Pandemie (kein Spengler Cup 2020 und 2021) ohne sportlichen und wirtschaftlichen Schaden überstanden. Es ist, als wäre da nie eine Zwangspause gewesen. Dafür gibt es ein paar Gründe.
Erstens der richtige Termin und der richtige Austragungsort: Der Spengler Cup funktioniert nur an den auch im 21. Jahrhundert immer noch ein wenig magischen Tagen der Altjahrswoche und ist nur denkbar im Winterwunderland Davos. Ein Spengler Cup würde zu einem anderen Zeitpunkt und in Zürich oder Bern nicht funktionieren. Es wäre auch nicht möglich, das Turnier neu zu erfinden: Die Tradition (erstmals 1923 ausgetragen) ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Zweitens sind die Macher nicht der Versuchung des bezahlten Fernsehens erlegen. Es wäre möglich, mit den TV-Rechten durch den Verkauf an eine private Station kurzfristig bis zu einer Million zu verdienen. Langfristig wäre es der Anfang vom Ende.
Seit 1961 (das Jahr der ersten Direktübertragung) ist der Spengler Cup dem staatstragenden Fernsehen treu. Mag sein, dass sich die TV-Landschaft gerade tiefgreifend verändert. Aber nach wie vor vermag sich Live-Sport in diesem Markt zu behaupten. Die TV-Live-Produktion des Spengler Cups ist die Beste, auch von der Regie her, die es im Eishockey gibt. Visuell besser aufgearbeitet als im Milliarden-Geschäft NHL. Auch deshalb vermag der Spengler Cup Zuschauerinnen und Zuschauer zu unterhalten und vor den Bildschirm zu bannen, die sich eigentlich nicht so sehr für Hockey interessieren.
Die Einschaltquoten waren 2022 erneut gut: Spitzenwerte bis zu 250'000, Marktanteile mit Bestwerten von über 25 Prozent. Alles in allem hatte der Spengler Cup in allen Bereichen (Durchschnitt, Spitzenwerte, Marktanteile) bessere Werte als die Direktübertragungen auf den SRF-Kanälen aus der nationalen Fussballmeisterschaft.
Direktübertragungen der Partien um die Eishockey-Meisterschaft sind diese Saison zum ersten Mal in der TV-Geschichte von den Leutschenbach-Bildschirmen verbannt. Es kann sehr gut sein, dass diese Saison kein von den privaten Stationen übertragenes Eishockey-Spiel die TV-Reichweite einer gewöhnlichen Spengler Cup-Partie erreichen wird. Nicht einmal im Playoff-Final. Auch deshalb, weil es sich beim Spengler Cup inzwischen nicht mehr bloss um Eishockey-TV-Quoten handelt. Es sind Spengler Cup-Quoten. Sehr viele Zuschauende interessieren sich einfach für den Spengler Cup und schauen nicht des Eishockeys wegen zu. Diese TV-Präsenz ist der Sauerstoff des Geschäftes: Erst sie macht für den Spengler Cup Werbeeinnahmen von gut vier Millionen möglich. Sie machen fast die Hälfte des Umsatzes aus.
Drittens. Der Spengler Cup wird vom HC Davos vermarktet. Die Versuche, die Werbehaut durch Vermarktungs-Agenturen zu Markte zu tragen, sind wieder aufgegeben worden und die Provisionen bleiben in der Klubkasse. Inzwischen sind wieder alle Hauptsponsorenflächen verkauft, der Spengler Cup floriert und generiert Einnahmen in der Höhe von gut elf Millionen Franken.
Viertens. Die sportliche Qualität stimmt. Wir haben 2022 nicht den spektakulärsten Spengler Cup seit 1923 gesehen. Das Turnier während des NHL-Lockouts (2004) mit den NHL-Stars war besser. Aber der Spengler Cup 2022 gehört zu den Besten der Geschichte, mit intensiven, teilweise auch taktisch sehr hochstehenden Partien und einem der besten Finals der Geschichte. Die Kanadier, die das Turnier in einer schier unfassbaren Arroganz sträflich unterschätzt haben, mussten sieglos nach drei Partien vorzeitig heimreisen.
Was den Spengler Cup wie eine Klammer sportlich, wirtschaftlich und politisch zusammenhält, ist ein Faktor, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Alle, die sich um das Turnier kümmern, kommen aus dem Eishockey. Einige waren Titanen des Spiels, andere nahmen lediglich am sportlichen Katzentisch Platz oder sind auch ohne sportliche Karriere HCD- oder Hockey-Fans geworden. Die Spengler Cup-Macher stellen ihren Stand schlau auf dem Jahrmarkt des kommerziellen Hockeys auf und sind gleichzeitig die Gralshüter der Spengler Cup-Werte und bewahren die Seele des Turniers.
Je unruhiger die Zeiten, desto wilder das Sport- und Hockey-Business, desto stärker ist der Spengler Cup. Das perfekte, beste «Grümpelturnier» der Welt.
Item, guetä Rutsch!