Der Schauplatz ist gut gewählt. SCB-Kommunikationsdirektor Christian Dick stellt seinen neuen Trainer nicht in einem Konferenzraum oder einem Sitzungszimmer vor. So wie es bei gewöhnlichen Klubs der Brauch ist. Er lädt die Fotografen, die Chronistinnen und Chronisten in den Tempel ein. Unten, wo sonst das Eisfeld ist, sind auf einer Hälfte die Gerätschaften aus dem Kraftraum für den täglichen Gebrauch aufgestellt. So wird der Abstand zwischen den schwitzenden SCB-Stars in Zeiten der Virus-Krise gewahrt. Auf der anderen Hälfte eine Sitzgruppe, um bequem mit dem neuen SCB-Trainer plaudern zu können.
Wahrlich, hier unten, das riesige Dach der grössten Arena ausserhalb der NHL hoch über dem Kopf, wird jedem bewusst, welche Dimensionen die «Herausforderung SCB-Trainer» hat. Gewaltig ist diese Arena, mächtig der Klub. Aber klein und unbedeutend der Einzelne. Spieler und Trainer kommen und gehen – der SCB aber bleibt bestehen. Das ist die unausgesprochene Botschaft an diesem warmen Freitagmittag.
Don Nachbaur wirkt viel jünger als 61. Federnden Schrittes eilt er an den wartenden Chronisten und Chronistinnen vorbei zum Fototermin, hält auf einmal inne, fixiert mich und fragt: «Sind Sie Klaus?» – «Ja» – «Wir müssen uns unterhalten.» – «Gerne.»
Später sitzen wir also in der Lounge, hoch über uns unter dem Dach die verewigten Rückennummern der SCB-Stars als stumme Zeugen vergangenen Ruhmes. Ich erkläre Don Nachbaur, dass ich ihn als Operetten-Trainer aus Österreich angekündigt habe. Es sei halt meine Art, «böse» und polemisch zu sein. Er sagt, so etwas kümmere ihn nicht. Dass man ihm wenig zutraue, gehöre zu seiner Karriere.
«Als Junior hat es geheissen: Es reicht nicht für den NHL-Draft. Als ich gedrafted worden bin, hat es geheissen, es reicht nicht für einen Einsatz in der NHL.» Es reichte für eine respektable zehnjährige Profikarriere in der wichtigsten Liga der Welt. Und zum Abschluss zu einem vierjährigen Gastspiel in Graz, das ihm Kultstatus und die österreichische Staatsbürgerschaft eingebracht hat.
Über die Jahre hat sich Don Nachbaur einen Namen als Coach im nordamerikanischen Juniorenhockey gemacht und zuletzt war er anderthalb Jahre Assistent in der NHL und ein Jahr Cheftrainer in der Slowakei. Eigentlich ein ewiger Juniorentrainer. Warum ist er erst so spät «Boss» auf Profiniveau geworden? «Ich hatte verschiedene Angebote. Aber ich habe immer wieder abgelehnt und bin Juniorentrainer geblieben. Weil ich meiner Familie die ständige Herumreiserei ersparen wollte. Nun sind meine Kinder flügge geworden und für mich ist die Zeit für eine neue Herausforderung gekommen.» Die Herausforderung Männerhockey. Die Herausforderung SCB. Eine der grössten Herausforderungen, die es für einen Coach ausserhalb der NHL gibt.
Die Gefahr, in zu grossen Schuhen zu stehen, ist erheblich. Solche Bedenken kümmern den Kanadier nicht. Schnell wird klar, dass der neue SCB-Cheftrainer ein grossartiger Kommunikator ist. Kein anderer Sport hat eine so reiche Kultur des «Storytelling». Gerade Nordamerikaner pflegen diese Kultur. Da ist Don Nachbaur keine Ausnahme. Er sagt, dass ihn im Hockey keine Herausforderung mehr bangen machen könne. Das Wort «Druck» kennt und mag er nicht. Und erklärt seine Furchtlosigkeit an einem Beispiel. «Wenn du Bob Probert gegenüberstehst, die Handschuhe fallen und 20'000 Fans in der Arena in Erwartungen eines Fights toben – dann kann dich im Hockey nichts mehr erschüttern.»
Nun, wo er recht hat, da hat er recht. Der viel zu früh im Alter von 45 Jahren an einem Herzversagen verstorbene Bob Probert war einer der härtesten Jungs der Hockeyweltgeschichte. Der «Schwergewichtsweltmeister» der NHL hat offiziell 232 statistisch erfasste Faustkämpfe auf dem Eis ausgetragen. Was ihm in 1018 Partien immerhin 3574 Strafminuten eingetragen hat. Don Nachbaur in 234-NHL-Partien immerhin 43 Fights bestritten und seinen Mann nicht nur gegen Bob Probert, sondern auch gegen Titanen wie Tiger Williams oder Bobby Schmautz gestanden. Sozusagen als «Operetten-Probert». Was als Kompliment gemeint ist.
Ja, wer keine Angst vor Bob Probert & Co. hatte, dem wird auch vor dem Job in Bern bange. Aber wir sind ein bisschen vom Thema abgekommen. So die Hockeygötter wollen, wird ja später noch viel Zeit sein, um Geschichten zu erzählen. Was mich für den Moment interessiert: Welches Hockey wird der SCB unter Don Nachbaur spielen? Die Antwort ist vielversprechend. Endlich einer, der nicht über Spielsysteme, nicht über Taktik doziert. Sondern über uriges, echtes Hockey. Fast vier Jahre lang hat der SCB unter der Leitung von Kari Jalonen höchst erfolgreich taktische Sinfonien gespielt und ist erst im letzten Jahr in taktischen Schablonen erstarrt. Nun dürfen wir uns auf den wahrscheinlich extremsten Stilwechsel in der SCB-Historie freuen.
Harte Arbeit ist für Don Nachbaur die Grundvoraussetzung. Darüber brauchen wir keine weiteren Worte zu verlieren und die Arbeitseinstellung war in Bern sowieso schon immer tadellos. Es geht um den Stilwechsel auf dem Eis. Um es stark vereinfacht zu sagen: Don Nachbaur mag Vollgashockey. Er will Spieler, die schnell denken, schnell laufen, schnell spielen. Er mag Tempo und Intensität. Keine Frage: Es wird «räblen» im Tempel – zum Auftakt der Saison gleich gegen die ZSC Lions und anschliessend folgt das Gastspiel in Langnau. Eishockey mit Unterhaltungsgarantie.
Nicht ganz vier Jahre lang hat mit Kari Jalonen ein taktischer Herbert von Karajan das SCB-Orchester mit der Autorität eines Bandengenerals dirigiert und zwei Meisterschaften gewonnen. Nun kommt ein Bandleader für wilde Melodien. Mehr alternder Rockstar als Bandengeneral. Don Nachbaur ist in einer mehr und mehr «durchgetakteten» und «durchorganisierten» Hockeywelt auf höchst erfreuliche Art und Weise ein Exote. Einer, der Hockey als raues Spiel harter Männer und nicht als Planspiel auf den taktischen Kartentischen versteht. Einer der letzten seiner Art. Ein bisschen Arno Del Curto, ein wenig Larry Huras, eine Prise Kent Ruhnke und obendrauf noch ein Körnchen Scott Beattie und Ralph Krueger.
Kann das funktionieren? Das ist eine der ganz grossen Fragen vor der neuen Saison. Die Leitwölfe sind ergraut, die Mannschaft gehört nicht mehr zu den schnellsten der Liga. Mit Karacho in Konter laufen? Es sind die Jungen, die Don Nachbaur «retten», sein Hockey prägen müssen. Seine immense Erfahrung als Juniorentrainer wird ihm helfen.
Don Nachbaur kennt üse Chlöisu. Das ist die Hauptsache. Ende der Polemik.
Auf jeden Fall braucht es beim SCB eine Verjüngung. Ist das der Startschuss?