Die Entlassung ist am Samstagabend nach Plan und Protokoll erfolgt. Professionell. Am Donnerstag entscheidet die SCB-Führung auf Antrag von Sportchef Andrew Ebbett, den Trainer nach den beiden Partien gegen Lausanne und die ZSC Lions des Amtes zu entheben.
Unmittelbar nach dem Spiel gegen die Zürcher entlässt CEO Raeto Raffainer seinen Trainer im Trainerbüro und zeitgleich informiert Andrew Ebbett in der Kabine die Spieler. «Es war ein schwieriger Moment für mich», sagt Raeto Raffainer. «Ich habe Johan aus Schweden als Assistenten von Christian Wohlwend nach Davos geholt. Einen Trainer zu entlassen, ist schwierig. Einen Trainer zu entlassen, den man auch als Menschen sehr schätzt, ist noch schwieriger. Und diesen Trainer nach einem Sieg zu entlassen, ist noch einmal schwieriger.» Johan habe die Entlassung sehr professionell aufgenommen. «Wir haben uns dann die Hand gegeben.»
Der SCB zahlt nun Johan Lundskog noch bis Ende Saison den Lohn. Seine Assistenten (der sogenannte Staff) bleiben im Amt. Der oberste SCB-Manager sagt, in den nächsten Tagen werde entschieden, ob es eine interne oder eine externe Lösung gebe. Geoff Ward, der perfekt zum SCB gepasst hätte, wird wohl in Lausanne unterschreiben.
So ist eine Hockey-Realsatire zu Ende gegangen. Sie hat am Dienstag, dem 29. Dezember 2020, begonnen. Zu diesem Zeitpunkt ist Raeto Raffainer noch Sportdirektor in Davos und Johan Lundskog der Assistent von HCD-Trainer Christian Wohlwend. Und in Bern führt Florence Schelling die Sportabteilung.
An diesem 29. Dezember 2020 führt eine Firma für Personalberatung und Selektion im Auftrag von SCB-Sportchefin Schelling und SCB-Stabschef Rolf Bachmann eine Potenzial-Analyse, ein sogenanntes Assessment (= psychologische Diagnostik), mit Johan Lundskog durch. Der SCB hat korrekterweise von Davos die Erlaubnis eingeholt, den Schweden kontaktieren zu dürfen. Raeto Raffainer sagt allerdings heute, er habe damals nicht gewusst, dass gleich ein Assessment durchgeführt werde.
Wir zitieren daraus die interessanteste Passage. Sie hilft uns, den «Fall Lundskog» und den SCB zu verstehen:
Nach der Lektüre dieser Potenzial-Analyse hätte klar sein müssen, dass Johan Lundskog für den Job als SCB-Trainer nicht geeignet ist. ER will SEIN Ding durchziehen. Ein Trainer ohne jede Führungserfahrung auf dieser Stufe, ein Zauberlehrling, hat möglicherweise zu wenig Gehör für Inputs, Ratschläge oder Meinungen aus dem Umfeld.
Das Scheitern ist programmiert, erst recht, wenn ihm dann noch so eigenwillige Nonkonformisten wie Chris DiDomenico ins Team geholt werden.
Die ganze Analyse zeigt uns einen wahrscheinlich nicht lernfähigen Systemtrainer ohne jede Erfahrung. Und wer sich nur fünf Minuten mit ihm unterhält, merkt auch gleich: ohne Charisma und ohne natürliche Autorität. Ein fachlich hoch qualifizierter Systemtrainer, der ein System weder vermitteln noch durchsetzen kann und auch keine Sensibilität dafür hat, welches System zu einer Mannschaft passt und keine Erfahrung, wie er denn sein System durchsetzen soll.
Kein Wunder, versagt Lundskog in seiner ersten SCB-Saison (2021/22) auf der ganzen Linie und vergeigt im Schlussspurt gegen Ambri sogar die Qualifikation für die Pre-Playoffs. Spätestens im letzten Frühjahr hätte das Arbeitsverhältnis mit Lundskog aufgelöst werden müssen. Die Gründe, die Raffainer und Sportchef Andrew Ebbett für die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem Schweden vorgebracht haben, können wir in zwei Wörtern zusammenfassen: sportliche Realsatire. Kein Wunder, ist nun in dieser Saison alles aus dem Ruder gelaufen und war eine Mannschaft, die sich zeitweise selbst coachte, nie konstant dazu in der Lage, ihr enormes Potenzial umzusetzen.
Dass der SCB so lange – sieben Monate zu lang – am Schweden festgehalten hat, offenbart eine gefährliche Schwäche der sportlichen Führung: Sie hat den Boden unter den Füssen verloren. Die Führung. Das Büro. Nicht die Spieler. Nicht die Kabine.
Die wichtigste Qualität der sportlichen SCB-Führung war schon immer die gute Erdung. Hemdsärmeliges Management. Das Gespür, welche Trainer und Spieler zum SCB passen. Das Gespür auch, was beim Publikum ankommt. Aber eben auch die Sensibilität, um rechtzeitig zu erkennen, dass die Dinge aus dem Ruder laufen. Entscheidungen sind nicht aufgrund von seitenlangen «Potenzial-Analysen» und Statistiken gemacht worden. Sondern auf der Grundlage persönlicher Eindrücke und guter Menschenkenntnis.
Dieser ein wenig hemdsärmelige Führungsstil, über Jahre geprägt von Marc Lüthi, bedeutet aber auch, Verantwortung für einen Entscheid übernehmen. Jeder hat das Recht, sich zu irren und es fällt kein Zacken aus der Krone beim Eingestehen eines Irrtums. Erst recht in einem Geschäft, das im Kern ein unberechenbares Spiel auf rutschiger Unterlage ist. Marc Lüthi hat über die Jahre Fehleinschätzungen zügig, aber ohne Hast korrigiert und war selbstsicher genug, die Kritik einzustecken. Seit der Pandemie ist Marc Lüthi weise und ein wenig altersmilde geworden und hat sich auf die Position des Präsidenten zurückgezogen, zu weit vom Tagesgeschäft.
Die sportliche SCB-Führung ist auf eine gewisse Weise arrogant geworden. Arrogant im Sinne, alles besser zu wissen und sicher keine Fehler zu machen. Das ist ihre gefährlichste Schwäche. Inzwischen hat das SCB-Management im sportlichen Bereich Züge von Realsatire angenommen. Die Fehlbesetzungen Florence Schelling und Don Nachbaur mögen noch den besonderen Umständen der Pandemie geschuldet sein. Der Fall Lundskog ist hingegen das Produkt von Eitelkeit und Ignoranz: Ein Trainer wird im Amt behalten, nur weil man einen Irrtum partout nicht eingestehen will.
Dazu passt, dass für die Anstellung des Trainers eine Problemanalyse erstellt worden ist. So ist es möglich, intern die Hände in Unschuld zu waschen: Seht her, da ist ein ausführliches Papier, wir haben alles professionell gemacht. Dass dabei die kluge Warnung dieser Problemanalyse auch noch ignoriert worden ist, passt zum Thema Realsatire.
Was den Fall Lundskog vollends zur Opera buffa macht: Der SCB hätte im Frühjahr 2021 Sam Hallam (43) als Trainer haben können. Der Schwede gehört zu den besten Trainern ausserhalb der NHL, gewann 2015, 2018 und 2021 die schwedische Meisterschaft und arbeitet seit dieser Saison als schwedischer Nationaltrainer. Der SCB aber wollte lieber und partout Johan Lundskog.
Ein grosses Hockey-Unternehmen wie der SCB braucht eine grosse, charismatische Trainerpersönlichkeit. Das war schon immer so und bleibt so. Das Experiment mit einem völlig unerfahrenen Zauberlehrling wie Johan Lundskog trotzdem zu wagen, ist noch nicht zu kritisieren. Es war ein Versuch. Aber nach einem vollständigen Scheitern und offensichtlicher Überforderung auf der ganzen Linie wider besseres Wissen nach der letzten Saison daran festzuhalten, hingegen schon. Die Entlassung ist sieben Monate zu spät erfolgt.
Wenn das sportliche Führungspersonal nun wieder mehr nach Gespür, gesundem Menschenverstand und Menschenkenntnis rekrutiert wird, dann ist der SCB mit dieser Mannschaft bereits in dieser Saison wieder Titelkandidat.
Die bange, alles entscheidende Frage aber ist: Hat der eloquente Raeto Raffainer dieses Gespür, diesen gesunden Menschenverstand und diese Menschenkenntnis? Oder ist er zu sehr ein Hockey-Politiker und -Karrierist?