Eine Szene offenbart die ganze Wahrheit für dieses Spiel: Die Berner erwarten passiv und grundlos ein Icing. Calvin Thürkauf kann sich im leeren Raum die Scheibe erlaufen und Michael Joly vollendet eine Kombination über Daniel Carr zum 0:1.
Wohl niemand ist in den letzten zehn Jahren in Bern bei fünf gegen fünf Feldspieler bequemer zu einem Torerfolg gekommen. Der SCB wird sich von diesem 0:1 nicht mehr erholen. Beim 0:2 läuft Michael Joly den Bernern, die das Tor von Niklas Schlegel belagern, aus der eigenen Zone heraus einfach auf und davon.
Die Wahrheit: Erstens ist Adam Reideborn – der im Verlauf der Saison schon einige Siege für den SCB «gestohlen» hat – gegen Lugano ein Lottergoalie. Er verschuldet durch seine Passivität das 0:1, das 1:3 ist haltbar und am Ende steht eine miserable Fangquote von 85,00 Prozent (Niklas Schlegel: 94,44 Prozent). Zweitens haben wir gegen Lugano den gefühlt langsamsten SCB der Geschichte gesehen.
Ein langsames Team kann mit einem Lottergoalie nicht gewinnen. Kann Philip Wüthrich vielleicht Adam Reideborn doch herausfordern? Er ist nach einer Verletzungspause zurück im Team und braucht Spielpraxis (die er vorerst mit einem Spiel bei Basel bekommt). Aber was wird aus dem SCB, wenn Wüthrich gleich gut oder besser als der ausländische Torhüter sein wird? Der SCB kann sich kein Goalie-Problem leisten.
Der SCB hatte seit dem Wiederaufstieg von 1986 noch nie ein Lauf- und Tempoteam. Alle erfolgreichen Mannschaften der Berner – und auch der SCB in diesem Herbst und Winter – verdanken ihre Erfolge überdurchschnittlichen Goalies (Fangquote 92 Prozent und besser), guter Organisation, Disziplin, Härte, Geradlinigkeit und einer Prise Schlauheit, Kaltblütigkeit und Kreativität im Abschluss. Aber nie läuferischer Überlegenheit.
Die Nordamerikaner sagen zwar «speed kills». Das ist richtig und doch nur ein Teil der Wahrheit. Wie im Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel gewinnen nicht automatisch die schnelleren Beine. Sondern der schnellere Verstand.
Auf dem Matchprogramm fürs Spiel gegen Lugano prangt ausgerechnet Dominik Kahun auf dem Titelblatt. Was für eine Ironie! Er wird der einzige schnelle, kreative, torgefährliche Berner in diesem Spiel sein. Er ist der einzige wirklich schnelle Berner.
Kam Lugano schon einmal gefühlt so einfach zu einem Sieg in Bern? Wahrscheinlich nicht. Abgesehen von den Schlussminuten laufen die Tessiner den Bernern in viel zu vielen Situationen einfach davon. Und weil es den Bernern fast nie gelingt, ihre Gegenspieler abzuschütteln und freien Raum zu gewinnen, fehlt die Geradlinigkeit in der Offensive und die Gefährlichkeit im Abschluss. In 9 von 10 Fällen drehen die in die gegnerische Zone eindringenden Angreifer nach aussen ab. Der SCB drischt in der gegnerischen Zone draussen in den Ecken oder mit Abschlüssen aus ungünstigen Positionen leeres Stroh und macht Luganos Torhüter Niklas Schlegel froh.
Bei fünf gegen fünf Feldspieler ist der SCB nahezu chancenlos. Tore und Druckphasen gelingen nur bei nummerischer Überlegenheit. Rückkehrer Patrick Nemeth, seine Verteidigerkollegen Marco Maurer, Claude-Curdin Paschoud und Simon Kindschi, die Stürmer Corban Knight und Captain Simon Moser haben gegen Lugano hölzerne Füsse. Dazu passt: Corban Knight gelingt der Anschlusstreffer zum 1:2 aus dem Stand.
Drei klägliche Niederlagen: 1:4 in Lausanne, 1:5 gegen Gottéron und nun 2:3 gegen Lugano. Zum ersten Mal in dieser Saison dreimal hintereinander keine Punkte. Trotzdem steht der SCB nach wie vor auf Rang 5. Mit besten Chancen auf eine direkte Playoff-Qualifikation.
Die Berner stehen so gut da wie seit der letzten Meistersaison 2018/19 nicht mehr. Das bedeutet: Jussi Tapola hat bisher sehr vieles, ja nahezu alles richtig gemacht. Aber eine stetige Entwicklung, an deren Ende eigentlich einmal ein Titel stehen müsste, ist nun im wahrsten Sinne des Wortes zum Stillstand gekommen.
Die Frage an SCB-Trainer Jussi Tapola kann nach dem 2:3 gegen Lugano nicht ausbleiben: Haben Sie je ein so langsames Team gecoacht? Er widerspricht: «Wir haben ein schnelles Team.» Wirklich? «Ja, aber es geht nicht nur um die Schnelligkeit im Laufen. Entscheidend ist die Schnelligkeit im Denken, im rechtzeitigen Erkennen der Situation.»
Das war offensichtlich das Problem. Oder könnte es sein, dass die Spieler noch zu oft überlegen, wie sie sich im neuen System zu verhalten haben? Schwierigkeiten mit dem Umsetzen des Systems? «Nein, inzwischen sitzt das System.» Aber die DNA des Spiels sei die Defensive und das könne eine gewisse Blockade erklären. Nun ja: Wer zu viel defensiv denkt, tanzt nicht in der Offensive.
Zu viel Taktik? Zu wenig künstlerische Freiheit? Sind die Berner deshalb gegen Lugano gefühlt so langsam wie noch nie? Ein Team zu führen ist für einen Trainer ähnlich schwierig, wie einen Vogel in der Hand zu halten: Drückt er zu stark, knicken die Flügel. Lockert er den Griff zu sehr, flattert der Vogel davon.
In den letzten drei Partien wirkten die Berner flügellahm. Jussi Tapola muss den «Druckpunkt» wieder finden. Dazu hat er schon heute in Lugano Gelegenheit.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Es fehlt an zu vielen wichtigen Elementen, an erster Stelle sackschwache Ausländer, Knight ist der langsamste, faulste Ausländer. Er mag meinetwegen am Bully stark sein, hie und da ein schlauer Pass spielen. Tore macht er aus Standardsituationen, aber er hilft dem Team viel zu wenig und ist ein typischer Schönwetterspieler.