Roman Josi schreitet nur im ersten Powerplay wie Jesus übers gefrorene Wasser. Beim Ausgleich zum 1:1 kann er sich den 11. Skorerpunkt gutschreiben lassen und ist nur deshalb nicht mehr Turnier-Topskorer, weil drei Amerikaner dank «Gratispunkten» beim 10:1 gegen Kasachstan an ihm vorbeigezogen sind.
Beim Stande von 1:1 glückt Roman Josi noch eine göttliche Defensivaktion: Er wischt im allerletzten Moment den Puck von der Linie weg und verhindert das 1:2. Dann löst sich die Magie, die sein Spiel (und das der Schweizer) bisher durchs Turnier und zu fünf Siege getragen hatte, auf wie ein Morgennebel nach Sonnenaufgang.
Waren die Kanadier besser? Nein. Waren die Kanadier glücklicher? Nein. Waren die Kanadier robuster. Nein, aber robuster als die bisherigen fünf Gegner. Es gelang ihnen, dem Spiel der Schweizer mit Härte die Magie zu nehmen. Sie waren dazu in der Lage, Roman Josi Raum und Zeit zu nehmen, um sein Spiel in voller Pracht zu entfalten. Bereits nach 19 Sekunden erwischt ihn Brandon Tanev mit einem harten Check. Und nach der ersten Pause rumpelt ihn Jack McBain schon nach 8 Sekunden ordentlich durch.
Im ersten Powerplay blitzt diese Magie zum letzten Mal auf. Ein Kunstwerk, das Kevin Fiala zum 1:1 vollendet (12. Min.). Aber nun stören die Kanadier die Kreise der Schweizer Lichtgestalt erfolgreich. Er wird nach dem Spiel sagen:
Und: «Beide Mannschaften spielten sehr kompakt.» Auch die Schweizer. Sie kassierten alle drei Treffer in Unterzahl. Bei fünf gegen fünf haben sie zum vierten Mal hintereinander keinen Treffer zugelassen. Sie haben die Härte und die Intensität der Kanadier gut verkraftet. Am Ende lautet das Torschussverhältnis 22:23.
Aber ohne Magie gelingt es ab «Halbzeit» nicht mehr, zwingende Torchancen herauszuspielen. Die intensive, hochstehende Partie wird in der 27. Minute entschieden. Kevin Fiala muss nach einem Kniecheck gegen Dylan Cozens in die Kabine. Den Fünf-Minuten-Ausschluss nützen die Kanadier, um aus dem 1:2 ein 3:2 zu machen.
Dieser Restausschluss wird erst nach einer Video-Konsultation gegeben. Und die zeigt die verlorene Magie der Schweizer: Der erste Aufprall auf den Gegenspieler («first impact») erfolgt mit dem Knie und erst Sekundenbruchteile später mit der Hüfte. Knapp, ganz, ganz knapp.
Ist Kevin Fiala für diese Aktion zu tadeln? Nein. Es ist ein Zusammenprall in den Emotionen eines enorm intensiven Spiels und zeigt den Mut, der es diesem Zauberer erlaubt, in der härtesten Liga der Welt einer der Besten zu sein. Mit Kevin Fiala fehlt den Schweizern der offensive Magier (und damit eben die Magie), um die Differenz zu machen. Vor allem im Powerplay.
Und zur verlorenen Magie passt, dass Sven Andrighetto in der 30. Minute in Unterzahl mit einem von Calvin Thürkauf herausgeholten Penalty beim Stand von 2:2 scheitert. Es ist die letzte grosse Chance.
Und wenn wir schon bei der Magie sind: Leonardo Genoni war ein sehr, sehr guter, aber kein magischer Goalie. Mit der silbernen Magie von 2018 hätte er den zweiten Gegentreffer wahrscheinlich verhindert. Die Niederlage kommt zum richtigen Zeitpunkt. Im zweitletzten und nicht erst im letzten Gruppenspiel wie vor einem Jahr gegen Lettland (3:4 n. V.).
Am Dienstagabend bleibt gegen Finnland (20.20 Uhr, live SRF) eine letzte Partie zur Justierung des Spiels. Zur Auffrischung des Selbstvertrauens. Die Finnen sind dafür ein idealer Gegner. Sie brauchen mindestens einen Punkt, um den Viertelfinal in jedem Fall zu erreichen. Die Schweizer werden am Donnerstag taktisch und spielerisch frisch gebürstet und gekämmt zum Viertelfinal antreten.
Keiner der möglichen Viertelfinal-Gegner vermag die Härte und Intensität der Kanadier zu entwickeln. Obwohl es – anders als 2022 und 2023 – nicht mehr für Platz 1 reicht: Auf «Angstgegner» Schweden werden wir in keinem Fall treffen.
Die Chancen stehen sehr gut, dass Roman Josi im Viertelfinal wieder wie Jesus übers gefrorene Wasser schreiten wird und das magische offensive Dreieck Roman-Josi-Nico-Hischier-Kevin-Fiala, das bisher 12 der 26 Tore beigesteuert hat, die Produktion wieder aufnehmen kann.
Der nächste Halbfinal ist so nah wie noch nie seit 2019. Damals schafften die Kanadier den Ausgleich erst in der letzten Sekunde und siegten in der Verlängerung.
PS: Also auf einen Sieg der Schweizer wetten? Nein. Weil wir noch nicht wissen, wer am Donnerstag im Tor stehen wird und ob der auserwählte Goalie (Leonardo Genoni oder Akira Schmid) ein magischer sein wird.
Das wissen wir ziemlich genau - widerspreche ich.
Wie wir Fischi kennen, wäre gestern Abend bei der Rochade nun Akira Schmid zum Zuge gekommen - dieser hätte sich mit einem Spiel gegen Kanada (auch für einen neuen Vertrag) im Kanadischen Scheinwerferlicht präsentieren können.
Weil er sich dieses Jahr jedoch nicht auf Experimente wie letztes Jahr mit Mayer als Goalie einlässt, wird er Leo vom Viertelfinal an bringen. Diesem gegen Finnland eine Pause gewähren.
„Leo - the Wall“ ist neben der NHL Linie der Schlüssel zur WM-Medaille
Jetzt passt es. Wir spielten auf Augenhöhe. Der einzige Unterschied. Ein klitzekleiner Fehler wird postwendend mit Toren quittiert. Da müssen wir noch eine Schippe drauflegen.
Sehr gut gespielt, gepaart mit einer Niederlage. Das Menü ist angerichtet.
Ich habe nichts zu nörgeln.
🇨🇭