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Eismeister Zaugg: Langnau verliert den Goalie, aber gewinnt gegen Lugano

le gardien Stephane Charlin (SCL) and PostFinance Top Scorer Harri Pesonen (SCL), during the regular season of National League A (NLA) Swiss Championship 2024/25 between HC Lugano and SCL Tigers at th ...
Stéphane Charlin muss gegen Lugano angeschlagen vom Eis.Bild: keystone
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Langnaus Goalie-Drama und Uwe Krupps Dilemma: Loben oder Toben?

Die SCL Tigers gewinnen gegen das weichste Lugano seit Menschengedenken 3:1 und verlieren mit Stéphane Charlin den besten Goalie der Liga. Wie lange er fehlen wird, ist noch offen. Aber die Geschichte tröstet die Langnauer ein wenig.
03.02.2025, 06:1403.02.2025, 14:55
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Die Wirklichkeit übertrifft manchmal die Fiktion. Würde eine Aufzeichnung von Langnaus Sieg in Lugano als taktischer Lehrfilm im Rahmen eines Trainerlehrganges gezeigt, dann würden die Teilnehmer bald gelangweilt abwinken: Schön und gut, aber in Wirklichkeit gibt es so etwas nicht.

Die Langnauer gewinnen ein Spiel entgegen allen hockeywissenschaftlichen und statistischen Erkenntnissen. Luganos neuer Trainer Uwe Krupp, der ja wahrlich schon viel erlebt hat, blickt noch eine gute halbe Stunde nach Spielschluss ungläubig nach oben Richtung Videowürfel und sagt:

«Wir waren in allen erdenklichen Statistiken besser. Aber dort oben steht, dass wir verloren haben …»

Wo er recht hat, da hat er recht. 39:14 (15:5, 14:7, 10:2) Torschüsse. Aber 1:3. Obwohl Langnaus Titan Stéphane Charlin nach 16:11 Minuten das Eis verlassen muss. Nach einem Zusammenprall (kein Foul) mit Luganos Kanadier Michael Joly. Langnau führt zu diesem Zeitpunkt 1:0. Sportchef Pascal Müller sagt, wie schlimm die Verletzung sei, werde sich erst nach eingehenden Untersuchungen im Laufe des Montags zeigen.

Nach dem Spiel humpelt Stéphane Charlin an einer Krücke durch den Kabinengang und Pascal Müller gesteht:

«Ich habe kein gutes Gefühl.»

Sein Gefühl täuscht ihn nicht: Detaillierte Untersuchungen am Montagvormittag ergaben, dass sich Charlin eine Knieverletzung zugezogen hat. Er wird den Langnauern voraussichtlich sechs bis acht Wochen fehlen. Er verpasst die letzten Qualifikationsspiele und muss auf die Nationalmannschaftseinsätze verzichten.

Luca Boltshauser muss übernehmen. Er hat diese Saison erst ein einziges Spiel für die Langnauer gewonnen. Am 28. September auf eigenem Eis gegen Ajoie. Langnau gewann 4:1 bei 31:13 Torschüssen. Der Gegner himmelhoch überlegen, der beste Torhüter der Liga verletzt ausgefallen. Ein Sieg scheint unter diesen Umständen unmöglich.

Und die Frage ist, wie Langnau dieses kapitale Spiel trotzdem gewinnen konnte. Vier Faktoren führen zum erstaunlichsten Resultat dieser Saison.

Erstens: Der Spielverlauf. Die Langnauer kommen zu einer 2:0-Führung wie die Jungfrau zum Kind. Einen Rückstand hätten sie nicht aufholen können.

Zweitens: Die SCL Tigers haben den Vorteil der «inneren Linie»: Lugano stürmt und stürmt und läuft und läuft. Es ist wie beim Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel. Dort, wo Luganos schnelle offensive Hasen hinwollen, wartet schon einer der defensiven gegnerischen Igel. Die Langnauer haben kurze Wege, um Schüsse zu blockieren, Gegenspieler abzudrängen, die Scheibe aus der eigenen Zone zu spedieren. Sie tun dies mit der Zähigkeit, Leidenschaft, Schlauheit und Disziplin, die seit dem Amtsantritt von Thierry Paterlini im Sommer 2022 mehr und mehr zur DNA der SCL Tigers geworden ist.

Langnaus Trainer, der in Extremsituationen ein wenig an eine umgängliche Version von Heinz Ehlers mahnt, achtet darauf, emotional ausgleichend zu wirken: Nicht überborden, wenn es gut läuft, wohlwissend, wie schnell der Wind drehen kann. Aber auch nicht zu Tode betrübt, wenn es mal nicht läuft. Also ist er tiefenentspannt, zufrieden und – selten genug – sogar in einer so ernsthaften Angelegenheit wie Hockey zu einem Scherz aufgelegt:

«Sehen Sie, wir können auch mit Luca Boltshauser gewinnen …»

In der ersten Pause sei er in der Kabine trotz des Ausfalles von Stéphane Charlin ruhig geblieben. Seine Zuversicht hat sich auf die Mannschaft übertragen.

Am meisten Emotionen zeigte Kult-Radioreporter Peter Minder. So ab Spielmitte kommentierte er stehend für das Emmentaler Kultradio Neo1. Das Drama hat ihn oben auf der Medientribüne in der Resega sozusagen vom Stuhl gerissen.

peter minder
Peter Minder kommentiert ab Spielmitte stehend.Bild: watson/klaus zaugg

Drittens: Luca Boltshauser nützt seine Chance. Noch am Mittwoch liegt er mit Grippe im Bett. Vielleicht spielt er nun endlich zum ersten Mal in dieser Saison sein bestes Hockey, weil er nicht wusste, dass er zum Einsatz kommen wird und so keine Zeit hatte, nervös oder verkrampft zu sein. Er lässt keine Scheibe abprallen und spielt so cool, mit einer so dominanten Körpersprache, dass jemand, der Langnau nur ab und zu sieht, gar nicht bemerkt, dass nicht mehr Stéphane Charlin im Tor steht.

From left, Jiri Sekac (HCL) and le gardien Luca Boltshauser (SCL), during the regular season of National League A (NLA) Swiss Championship 2024/25 between HC Lugano and SCL Tigers at the ice stadium C ...
Luca Boltshauser ist gegen Lugano eine Wand.Bild: keystone

Langnau hat in seiner Geschichte erst zweimal in der höchsten Liga die Playoffs erreicht. Und beide Male geben Torhüter-Dramen zu reden. 2011 spielt Benjamin Conz das beste Hockey seiner Karriere und ist drauf und dran, die Langnauer in die Playoffs zu hexen. Aber im Dezember wird er für die U 20-WM aufgeboten. Wo er ins All-Star-Team kommt und die Schweiz sensationell in den Halbfinal hext. Die SCL Tigers müssen in einer vorentscheidenden Phase gleich für vier Spiele auf ihn verzichten. Eine brauchbare Nummer 2 haben sie nicht.

Playoffs ade? Nein. Aus Olten kommt Urban Leimbacher. Er war noch nie ganz oben die Nummer 1. Er gewinnt sensationell mit einer Fangquote von über 93 Prozent die vier Partien gegen Biel, den SCB, Ambri und Davos und ebnet den Weg in die Playoffs.

Im Dezember 2018 beendet ein Zusammenprall mit Luganos Alessandro Chiesa die Saison von Ivars Punnenovs. Die restlichen 30 Partien muss Damiano Ciaccio mangels einer tauglichen Nummer 2 alle bestreiten. Playoffs? Unter diesen Umständen unmöglich! Aber Damiano Ciaccio spielt das beste Hockey seiner Karriere und Langnau schafft die Playoffs.

Nun also das Drama um Stéphane Charlin. Der Blick zurück auf 2011 und 2019 bietet ein wenig Trost.

Viertens: Luganos Weichheit. Trainer Uwe Krupp sagt zwar richtigerweise, dass jeder gekämpft habe, dass die Einsatzbereitschaft tadellos war und dass er keinem Spieler einen Vorwurf machen könne. Aber es ist eine Ironie der Hockeygeschichte, dass ein von Uwe Krupp gecoachtes Team im rumpelfreien läuferischen Leerlauf untergeht. Er ist einst in der NHL als «King Kong Krupp» verehrt worden. Ein Titan, fast zwei Meter gross und über 100 Kilo schwer. Hätte er gespielt – wofür er mit 59 zu alt ist – dann wären die Langnauer durcheinandergewirbelt worden wie Kegel.

Er wehrt ab:

«Das war eine ganz andere Zeit. Heute funktioniert das nicht mehr.»

Wohl wahr. Und doch: Seine Jungs wählen viel zu selten den direkten Weg und kreisen lieber ums Tor herum wie die Indianer um eine Wagenburg. Zu klaren Chancen kommen sie selten. 80 Prozent der Abschlussversuche sind vorhersehbar. «Telefoniert». Das einfache Rezept – die Scheibe tief in die gegnerische Zone schiessen, resolut nachsetzen, Druck aufbauen, krachen, nicht kreieren, verbal und auch sonst ein wenig provozieren – wenden sie nie an.

Head coach Uwe Krupp (HCL) during the regular season National League game between HC Lugano and Geneve Servette HC at the ice stadium Corner Arena in Lugano, Switzerland, Thursday, January 23, 2025. ( ...
Uwe Krupp hat noch Arbeit vor sich.Bild: keystone

Diese raue, simple Spielweise entspricht halt schon lange nicht mehr Luganos DNA. Dafür sind die Spieler zu talentiert und zu brav. Es ist das weichste Lugano seit dem Wiederaufstieg von 1982. Vier der ersten fünf Partien unter Uwe Krupp hat Lugano gewonnen. Inzwischen ist die Mannschaft, weichgespült, wieder im alten Fahrwasser. Drei Niederlagen hintereinander. Weich auf dem Eis und mental zerbrechlich wie billiges chinesisches Plastikspielzeug: Fast zwei Jahre lang war Lugano unter dem freundlichen Spielerversteher Luca Gianinazzi so etwas wie eine antiautoritär geführte Hockey-Selbsterfahrungsgruppe. Eine tief verwurzelte Mentalität kann auch einer wie Uwe Krupp in zwei Wochen nicht nachhaltig verändern.

Was kann Uwe Krupp tun? Toben oder freundlich sein? Ein Dilemma. Heute Abend folgt noch die Heim-Partie gegen die ZSC Lions. Luganos neuer Trainer hat sich dazu entschieden, vorerst freundlich zu sein und nicht zu toben. Funktioniert die weiche Tour nicht, dann hat er während der Nationalmannschaftspause ja genug Zeit, sich eine neue Strategie zurechtzulegen.

  • Stürmer
  • Verteidiger
  • Torhüter
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Aktuelle
Note

info
  • 7

    Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.

  • 6-7

    Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.

  • 5-6

    Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.

  • 4-5

    Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.

  • 3-4

    Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.

  • Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.

Punkte

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Spiele

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  • Er kann

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23 Kommentare
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Chnebeler
03.02.2025 06:56registriert Dezember 2016
Boltshauser wurde auch lange zu unrecht schlecht geschrieben. Er ist nach wie vor einer der talentiertesten und meist unterschätzten schweizer Goalies. Wenn es ihm läuft ist er wie seinerzeit Ciaccio eine Wand die keiner durchdringt. Und wenn die Tigers seit zwanzig Jahren eines gezeigt haben, dann dass sie jeden Torhüter dazu bringen können das beste Hockey seines Lebens zu spielen. Ich wünsche Luca nach der bisher etwas unglücklichen Saison nichts anderes. Denn er ist auch einer der sympathischtan Goalies der Liga. Also weiter so Tigers und auf einen spannenden Abschluss der Quali.
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