Einmal unten, einmal oben. Am vergangenen Samstag hat Adi Hütter an der legendären Torwand des «Aktuellen Sportstudios» zwei Bälle versenkt. Das ist zwar ordentlich, aber nicht brillant und würde fünffach erfolgreichen Schützen wie Günter Netzer (1974) und Rolf Fringer (1995) nur ein müdes Lächeln entlocken.
Unter dem Strich aber hat Hütter bei seinem ersten Besuch im ZDF eine gute Figur abgegeben. Was nicht so unbedeutend ist, wenn 2,07 Millionen Menschen zusehen. Selbstbewusst und gleichwohl bescheiden hat der Österreicher den bemerkenswerten Aufschwung der Frankfurter Eintracht erklärt. Und gestrahlt übers ganze Gesicht, wie er das im Frühjahr in Bern nach dem Meistertitel seiner Young Boys auch ganz oft getan hat.
Kein Zweifel: Adi Hütter ist auch in Deutschland ein ziemlich glücklicher Fussballtrainer. Ein paar Stunden vor seinem Auftritt in der Mainzer Kultsendung hat seine Mannschaft erstmals überhaupt in Augsburg gewonnen und liegt nach dem zwölften Spieltag vier Punkte hinter Borussia Dortmund und einen Zähler hinter Borussia Mönchengladbach auf Rang drei. «Das ist nur eine Momentaufnahme. Wir müssen den Ball flach halten», sagt der 48-Jährige, «aber ich versuche jetzt nicht, die Euphorie ganz zu bremsen.»
Diese wird auch heute Abend zu sehen sein, wenn die Eintracht in der Europa League Olympique Marseille empfängt. Weil sie ihre ersten vier Spiele allesamt gewonnen und die Qualifikation für die Sechzehntelfinals schon in der Tasche hat, ist das Spiel gegen die Franzosen eine Art Schaulaufen. Wie sehr die Mannschaft in der Wirtschaftsmetropole en vogue ist, hat sich im Vorverkauf für das abschliessende Lazio-Spiel in Rom gezeigt. 17'000 Fans bewarben sich innerhalb von 24 Stunden für eines der 5800 Tickets. «Das zu sehen, macht Spass», sagt Hütter.
Auch bei den Young Boys ist er stolz auf die Fans gewesen. Und diese auf ihn. «Natürlich verfolge ich immer noch die Spiele von YB und bin sehr erfreut, wie der Weg nach mir weitergegangen ist», sagt der Erfolgstrainer gegenüber der Redaktion von CH Media. «Gerry Seoane macht einen tollen Job und hat den Sprung in die Champions League geschafft.» Die Mannschaft habe sich nicht gross verändert und spiele auch noch einen ähnlichen Stil wie unter ihm. «Sie ist in der Super League unglaublich dominant, und wenn sie so weiterspielt, wird der zweite Titel in Folge Realität werden», sagt Hütter.
Der Vorarlberger erzählt, wie er sich im Frühsommer in Zürich mit dem Frankfurter Manager Fredi Bobic getroffen und es in einer guten Atmosphäre ein tolles Gespräch gegeben habe. «Dann hat er gesagt, dass er sich in einer Woche wieder melden würde, und als er dann anrief, rechnete ich mit einer Absage. Ich war davon ausgegangen, dass sich die Eintracht für einen anderen Trainer entscheidet», berichtet Hütter. Umso grösser war seine Freude, als er erfuhr, dass die Eintracht ihn auserkoren hatte.
Der Start am neuen Arbeitsort wurde dann aber richtig schwierig. Von der Mannschaft, die unter Vorgänger Niko Kovac gegen Bayern München den Cup gewonnen hatte, waren Leistungsträger wie Lukas Hradecky, Omar Mascarell und Marius Wolf den Lockrufen anderer Vereine erlegen, und als dann auch noch der vielleicht wichtigste Spieler, Kevin-Prince Boateng, seinen Vertrag auflöste und zu Sassuolo ging, sahen viele in Frankfurt schwarz.
Sie schienen recht zu bekommen, als die Eintracht im Supercup gegen die Bayern 0:5 einging und im Pokal gegen den Viertligisten Ulm ausschied. Bei den Buchmachern stand Hütter an der Spitze jener Trainer, deren Stühle bereits zu wackeln begannen. «Die Kritik war berechtigt», sagt Hütter, «gegen Bayern waren wir ein Hühnerhaufen.»
Aber er blieb ruhig. «Von aussen gesehen, stand ich auf der Kippe, aber intern habe ich grosses Vertrauen gespürt», schildert Hütter die Zeit, als in der Bundesliga nach fünf Spielen nur vier Punkte auf dem Konto lagen. Wo andere Trainer in Panik den Betonmischer angeworfen hätten, blieb Hütter seiner Philosophie treu und liess weiter Offensivfussball spielen. Zuerst mit einer Spitze, dann mit zwei Stürmern und seit dem Stuttgart-Spiel gar mit dreien.
Von da an mischt das Trio Luka Jovic, Sébastien Haller und Ante Rebic die Liga auf. 23 von 29 Toren gehen auf sein Konto. In Hessen werden längst Erinnerungen an den legendären Dreizack der 1990er-Jahre mit Andy Möller, Uwe Bein und Anthony Yeboah wach.
Frankfurt hat in der Bundesliga am zweitmeisten Tore geschossen, aber auch am drittwenigsten kassiert. «Es passt, wir sind in der Balance. Auch defensiv klappt es gut», sagt Hütter.
Daran hat der Schweizer Gelson Fernandes grossen Anteil. Der 32-Jährige ist neben Hütter, Captain David Abraham (früher FCB) und Athletik-Trainer Werner Leuthard (FCB) einer von vier Frankfurtern mit Schweizer Vergangenheit. Er ist im defensiven Mittelfeld unverzichtbar und unter Hütter gesetzt.
«Gelson ist ein Spieler, der mir als Trainer das Gefühl gibt, er handle auf dem Platz wie ein Spielertrainer. Weil er sich in den Dienst der Mannschaft stellt, weil er ein Führungsspieler ist, weil er mehrere Sprachen spricht und die Jungs auf dem Platz super einteilt», schwärmt Hütter.
Damit aber nicht genug: «Gelson ist ein Vorbild, was Einsatz, Lauf- und Kampfbereitschaft betrifft. Er ist ein immer positiver Typ. Auch wenn er mal nicht spielt, hat er einen positiven Einfluss auf die Mannschaft. Er ist ein zu 100 Prozent ehrlicher Spieler und ich bin froh, dass er bei Eintracht Frankfurt ist», sagt Hütter.
«Auch ich bin froh, hier zu sein», sagt Gelson Fernandes. In seiner ersten Saison am Main ist er im vergangenen Mai in Berlin mit Frankfurt Cupsieger geworden und hat danach in Frankfurt mit gefühlt 100'000 Fans eine unvergessliche Party gefeiert. «Es war berührend, zu spüren, wie stolz die Leute sind», sagt Fernandes.
Unter Kovac noch ein Wackelkandidat, liefert der 32-Jährige eine intelligente Analyse, weshalb er in dieser Saison so wertvoll geworden ist. Er habe einst im Nachwuchs des FC Sion einen Trainer gehabt, der ihm einen sehr klugen Rat gegeben habe, erzählt Fernandes. Er, Gelson, müsse immer darauf achten, bei einem Klub zu spielen, der einen starken Angriff habe. Dann würden seine Abräumerqualitäten im Mittelfeld voll zur Geltung kommen. «Somit passe ich doch haargenau zur Eintracht», sagt Fernandes. «Hier haben wir drei grossartige Stürmer, die Tore schiessen. Ich andererseits laufe viel, hole die Bälle und halte die Mannschaft zusammen.»
Klingt logisch … was aber ist daran so besonders klug? «Wenn ich in einem Team spiele, dessen Stürmer keine Tore schiessen, dann erwarten alle Leute, dass die Gefahr aus dem Mittelfeld kommt. Das aber ist nicht mein Ding, dann sehe ich alt aus. Wie 2013, als ich für eine halbe Saison zum FC Sion zurückgekommen bin.»
Fernandes weiss, was er kann, und nach Engagements bei zehn Profivereinen, wie der Hase läuft. «Wenn es unseren Jungs da vorne zu wohl wird, dann bin ich da, um sie wieder auf den Boden zu holen.» Als hätte er sich mit Hütter abgesprochen, sagt er: «Wir müssen den Ball flach halten. Es sind in der Bundesliga erst zwölf Runden gespielt. Um über den Titel zu reden, ist es viel zu früh.»
Fernandes lobt Hütter für dessen Sozialkompetenz und sagt: «Adi hat hart gekämpft, um hier zu sein. Er hat mit YB Grosses geleistet und es verdient, in der Bundesliga Trainer zu sein.»