Wenn Reto Ziegler der beste Super-League-Torschütze ist, dann sagt das im Wesentlichen zwei Sachen aus:
Verteidiger sind eigentlich dazu da, um Tore zu verhindern, denn für das Toreschiessen gibt es ja die Stürmer. Eigentlich. Aber eine Erkenntnis der laufenden Saison ist die, dass sich noch kein Knipser hervorgetan hat – einer, der einfach immer am richtigen Ort steht und die Tore macht.
In der Schweiz gab es zuletzt immer mindestens einen dieser Spezies, der dann auch die Spitze der Torschützenliste für sich beansprucht. Namen wie Munas Dabbur, Shani Tarashaj, Guillaume Hoarau, Shkelzen Gashi, Marco Streller oder Oscar Scarione kommen einem in jüngster Vergangenheit in den Sinn.
In dieser Saison konnte sich aber noch kein Offensivspieler wirklich profilieren, obwohl die Super League weiss Gott nicht für top-soliden Defensivfussball steht. Offensiv am ehesten hervorgetan hat sich bis jetzt Luganos Ezgjan Alioski, der wie Ziegler acht Mal getroffen hat, aber auch nicht dem Typus des klassischen Strafraumstürmers entspricht – er ist vielmehr ein blitzschneller Flügel mit ausgezeichneten technischen Fähigkeiten.
Noch am ehesten als «Knipser» geht Seydou Doumbia durch, der bis jetzt sieben Mal getroffen hat und immerhin die leicht bessere Torquote als Ziegler aufweist (0,78 Tore/Spiel versus 0,73). Der 28-jährige Ivorer muss sich aber bis jetzt den Platz im FCB-Sturm mit Mark Janko teilen, der bisher vier Mal getroffen hat.
Was die Torschützenliste weiter aussagt:
Defensivspieler, die regelmässig Tore machen, sind rar – und darum besonders wertvoll. Es kommt nicht von ungefähr, dass Verteidiger mit Offensivqualitäten für wesentlich wertvoller gehalten werden als solche, die «nur» ihren Job machen. Genau darum ist beispielsweise Roberto Carlos (101 Karriere-Tore) viel bekannter als Bixente Lizarazu (41), obwohl beide in derselben Ära auf der gleichen Position ähnlich gut verteidigt haben.
Reto Ziegler ist unterdessen 30-jährig, aber in seiner Karriere noch nie als Goalgetter aufgefallen. Weder bei GC, Tottenham, HSV, Wigan, Sampdoria, Fenerbahçe, Lok Moskau noch bei Sassuolo – und schon gar nicht bei Juve, weil er dort trotz Vertrag nie in einem Pflichtspiel eingesetzt wurde. Vor dieser Saison hat der Sion-Captain in 14 Saisons erst 12 Tore erzielt, also 4 mehr als in dieser Saison in 11 Spielen!
Dass Ziegler plötzlich Tore am Laufmeter gelingen – zuletzt zwei Doubletten in Serie – ist aber nicht auf eine Total-Wandlung in seinem Spiel zurückzuführen. Er läuft nicht plötzlich bei jedem Angriff mit nach vorne, sondern ist einfach bei Standards äusserst effizient. Zieglers Tore aufgeschlüsselt:
Das soll seine Leistung aber keineswegs schmälern, denn ein Tor ist ein Tor, egal wie es erzielt wurde. Und zudem erfüllt Reto Ziegler seinen Kern-Auftrag, das Verteidigen, ebenfalls ausgezeichnet und ist so massgeblich am aktuellen Aufschwung der Walliser beteiligt.
Wenn Ziegler so weitermacht, winkt ihm am Schluss vielleicht sogar die Torjäger-Krone – unverdient wäre es nicht. Allerdings ein Armutszeugnis für die Stürmer.