Hinweise poppen auf, blinken in verschiedenen Farben: «Für dieses Event sind weniger als ein Prozent der Tickets verfügbar», steht da. Auf einem anderen Banner die Warnung: «Fast ausverkauft! Nur noch 15 Tickets übrig.»
Wir sind auf dem Ticketportal Viagogo und suchen nach Tickets für das Champions-League-Finale. Einige Tage zuvor war klar: Um den Pokal werden Tottenham Hotspur und der FC Liverpool im Madrider Stadion Wanda Metropolitano spielen. Wieder blinkt etwas auf: «Jemand anderes hat sich dieses Ticket geschnappt.» Es sind Methoden, die man von Urlaubsportalen kennt. Die Hinweise sollen Kunden unter Druck setzen und zu einem schnellen Kauf animieren. Und das funktioniert offenbar.
Wenn man «Tickets Champions League Finale» googelt, ist Viagogo das erste Suchergebnis. Zahlreiche Kunden kaufen in den wenigen Minuten, die wir auf der Seite sind, offenbar Karten für das Spiel. Die Tickets werden dort zu horrenden Preisen zwischen 3500 und über 9000 Euro gehandelt.
Insgesamt 38'000 von insgesamt 63'500 Karten hatte die Uefa für Fans bereitgehalten. Die beiden Finalisten erhielten je 17'000 Tickets, während 4000 Eintrittskarten im März an Fans weltweit verkauft wurden. Die übrigen Eintrittskarten gehen an das lokale Organisationskomitee, Vereine, Fussballverbände, Sponsoren und Medien.
Die eigentlichen Preise der 38'000 Karten liegen nicht wie bei Viagogo im hohen vierstelligen Bereich, sondern wurden von der Uefa je nach Kategorie für Preise zwischen 70 und 600 Euro verkauft.
Diverse Tickets für das Finale wurden auf Zweitmärkten zum Kauf angeboten – unter anderem bei Viagogo. Fünf Liverpool-Fans droht ein lebenslanges Stadionverbot an der Anfield Road, nachdem sie versuchten, ihre Tickets gewinnbringend für umgerechnet bis zu 5108 Euro weiterzuverkaufen. Der FC Liverpool erklärte, dass «interne Untersuchungen» laufen. Die Spurs haben drei Dauerkarteninhaber bereits gesperrt, nachdem ihre Tickets auf einschlägigen Webseiten entdeckt worden waren. «Wir fordern alle Fans auf, eine der grössten Gelegenheiten in der Vereinsgeschichte nicht zu ruinieren, indem sie ihre Tickets weiterverkaufen und davon profitieren», hiess es in einer Erklärung des Liverpool Echo.
Auf Nachfrage von watson.de verurteilt Viagogo dieses Vorgehen gegen die Fans: «Es ist absurd, dass Clubs genau die Menschen bestrafen, die ihre grössten Unterstützer sind, und dazu beitragen sollten, ihren Betrieb mit lebenslangen Verpflichtungen gegenüber den Clubs zu finanzieren», schrieb das Unternehmen in einer Mail an die Redaktion.
Und weiter: «Es ist völlig legal, dass jemand Tickets verkauft, die er nicht benutzen kann. Die Fans von Tottenham und Liverpool sollten das Recht haben, ihr Eigentum weiterzuverkaufen, wenn sie es wünschen.» Das Vorgehen von Viagogo ist aber nicht nur beiden Clubs ein Dorn im Auge.
Was bei Viagogo als besonders dubios kritisiert wird, ist die Masche mit den Leerkäufen. Demnach bietet das Unternehmen Tickets an, die es noch gar nicht besitzt. Dazu kommen die horrenden Preise: So wird eine saftige Provision verlangt – in der Regel zehn Prozent von dem, der sein Ticket verkaufen will, und 15 Prozent vom Käufer. Dadurch sind die Preise für die Tickets um ein Vielfaches teurer als der Originalpreis.
Die Grenze ist nach oben hin offen: Für das WM-Finale 2014 in Rio verkaufte Viagogo Karten für bis zu 30'000 Euro.
Noch im Jahr 2012 arbeiteten sieben Bundesliga-Vereine mit Viagogo zusammen. Der Höhenflug dauerte nicht lange an. 2013 gab es zahlreiche Fan-Proteste gegen Viagogo. Vereine wie Schalke oder der HSV kündigten ihre Verträge mit dem Unternehmen. 2018 ging selbst die Fifa gegen die Ticketbörse vor, weil diese entgegen eines Verbots WM-Karten für das Turnier in Russland vertrieb.
Zuletzt ging Zweitliga-Aufsteiger Karlsruher SC vor einem Spiel mit einer einstweiligen Verfügung gegen das Schweizer Unternehmen vor. Regelmässig hätten Fans sich dem KSC gegenüber beschwert, bei der Plattform Viagogo Tickets zu einem deutlich überteuerten Preis erworben zu haben. Doch nicht nur im Fussball finden sich überteuerte Tickets des Portals, auch die Hamburger Elbphilharmonie warnte schon vor Schwarzmarkt-Tickets über Leerverkäufe und kritisierte explizit Viagogo dafür.
Die Firma mit Hauptsitz in Genf wehrt die Kritik seit Jahren ab. Auf Nachfrage von watson.de teilte das Unternehmen mit, dass man lediglich eine Plattform für Drittanbieter sei. «Viagogo ist ein Marktplatz – und kauft oder verkauft keine Tickets», heisst es per Mail. Das Unternehmen geht aber noch weiter. Der Tenor: Viagogo ist mehr Segen als Fluch. «Wir listen Tickets auf, sobald sie verfügbar sind, weil wir uns dafür einsetzen, dass jeder Zugang zu Tickets hat», heisst es. «Über den Primärmarkt werden viele Tickets zunächst Unternehmenssponsoren, Werbetreibenden, VIP-Sitzplatzinhabern und anderen gut vernetzten Personen zugewiesen, bevor sie an der Abendkasse der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.»
Das Unternehmen sehe sich als «sichere Plattform für den Kauf und Verkauf» und die grosse Zahl der wiederkehrenden Käufer und Verkäufer auf der Plattform spreche für ihre wichtige Rolle, um den Menschen die Teilnahme an der Veranstaltung ihrer Wahl zu ermöglichen. «Durch den Zugang zum Kauf und Verkauf von Tickets auf einer sicheren Online-Plattform hat Viagogo den Ticketbetrug, der früher ausserhalb von Veranstaltungsorten oder auf dem Schwarzmarkt existierte, deutlich reduziert.»
Viagogo ist also der Robin Hood des internationalen Ticketmarktes? Die Verbraucherzentrale Bayern sieht das anders. Gemäss dieser täuscht das Portal nämlich seine Kunden, da es wie eine offizielle Verkaufsstelle wirkt. «Im gesamten Buchungsprozess wird nicht transparent dargestellt, dass eigentlich andere Verkäufer ihre Tickets anbieten», erklärt Tatjana Halm von der Verbraucherzentrale Bayern auf Nachfrage von watson. Gegen diese Täuschung von Viagogo klagten die Marktwächter der Verbraucherzentrale im April vor dem Landgericht München. «Wir gehen auch davon aus, dass der Verkäufer angezeigt werden sollte», sagt Halm. «Ausserdem sind wir der Meinung, dass das Garantieversprechen von Viagogo nicht wirksam ist.» Das Urteil steht noch aus.
Die Beschwerdeliste ist lang, erklärt Halm: «Wir erhalten ausserdem viele Beschwerden zu Viagogo, so dass wir Verbraucher auf die Risiken hinweisen müssen, die man eingeht, wenn man auf dieser Ticketbörse kauft.» In einigen Fällen konnten die Käufer trotz überteuerter Preise nicht mal das Event besuchen. «Wir haben Beschwerden darüber, dass falsche Tickets kommen oder gar keine», erklärt Halm. «Immer häufiger wird den Fans der Einlass verwehrt, weil die Tickets personalisiert sind, also andere Namen auf den Karten vermerkt sind.»
Die Preise seien nicht nur teurer als auf dem Erstmarkt, sondern oft auch gar nicht so rar, wie es Viagogo den Kunden vorgaukelt. «Man sollte sich von vermeintlich geringen Angeboten nicht beirren lassen und dann doch nochmal andere Anbieter sichten», erklärt Halm. «Daher sollten auch unbedingt Preise verglichen werden. Oft gibt es Karten auch noch zu Originalpreisen zu kaufen.»
Das Verfahren gegen Viagogo läuft noch, die Verbraucherzentrale Bayern erwartet ein Urteil nach dem Champions-League-Finale. Für die Fans, die sich für dieses Spiel die Tickets für mehrere tausend Euro gekauft haben, ist das zu spät.
Top!!! Super Aktion auf beiden Seiten gegen diese Profitgier!