Frustriert wirkt Minky Worden nicht. Dabei könnte man das gut verstehen. Seit 2006 beschäftigt sich die US-Amerikanerin mit den negativen Folgen von Sportgrossveranstaltungen auf die Menschenrechte in den Ausrichterländern. Sie mahnt, deckt auf, prangert an. Doch Besserung ist nicht in Sicht.
Trotz umfassender Kritik werden weiter Länder, in denen die Menschenrechte grob verletzt werden, mit großen Turnieren bedacht. Und mehr noch: «Die Events verschärfen die Lage sogar», sagt Worden, Direktorin bei Human Rights Watch (HRW). Die Organisation hat am Donnerstag ihren Jahresbericht vorgestellt, und der Sport spielt eine grosse Rolle.
«2015 wird das Jahr der Wahrheit», sagt Worden. «Entweder die Funktionäre von Fifa und IOC machen Ernst mit ihren Versprechen, sich für die Menschenrechte einzusetzen. Oder Millionen Menschen werden unter den Folgen leiden.» Der erste Termin ist die Wahl des Fifa-Präsidenten Ende Mai. Trotz fünf Herausforderern sieht es ganz so aus, als könne sich der 77-jährige Joseph Blatter eine weitere Amtszeit sichern.
«Wir sind nicht zufrieden mit seiner Arbeit», sagt Wenzel Michalski, der HRW-Deutschland-Chef. Trotz massiver Kritik im Rahmen der Fussball-WM 2022 in Katar habe sich nichts verändert. Im Gegenteil: Die Vorbereitungen hätten zu «Menschenrechtsverletzungen mit immensem Ausmass» geführt.
Hunderte Gastarbeiter sind auf den WM-Baustellen schon ums Leben gekommen. Katar weigert sich bis heute, ausbeuterische Gesetze wie das Kafala-System zu ändern.
Auch auf die Lage in Aserbaidschan machen Michalski und Worden aufmerksam. Die Hauptstadt Baku richtet im Sommer die ersten Europaspiele aus. Das vollmundig proklamierte Ziel ist es, «die Olympische Idee in ganz Europa zu verbreiten». Doch die aserbaidschanische Regierung geht laut HRW hart gegen Kritiker vor, blockiert Spenden an unabhängige Organisationen, bedroht und verhaftet Journalisten und Menschenrechtler. «Das ist das Gegenteil eines geeigneten Ausrichterlands», sagt Worden.
«Wir müssen Druck machen, damit die politischen Gefangenen und Journalisten freigelassen werden.» Dafür gebe es während der Europaspiele ein kleines Zeitfenster.
Heftige Kritik übte Worden an Saudi-Arabien. In dem Königreich dürfen Frauen keine öffentlichen Sportveranstaltungen besuchen, es gibt keinen Sportunterricht für Mädchen an öffentlichen Schulen und keine Frauensportverbände. Im Klartext: Frauen wird es nicht nur verboten, sich Sport anzuschauen, sie haben auch selbst kaum die Chance, welchen zu betreiben - mit katastrophalen gesundheitlichen Folgen, wie Worden berichtet.
Sie erzählt ausserdem, dass Saudi-Arabien beim IOC angefragt habe, Olympische Spiele nur für Männer auszutragen, die Wettbewerbe der Frauen sollten in einem anderen Land stattfinden. IOC-Präsident Thomas Bach habe das aber zurückgewiesen. «Wenn sich die Lage von Frauen in Saudi-Arabien in diesem Jahr nicht verbessert, werden wir den Ausschluss des Lands von den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro fordern», sagt Worden.
Überraschend positiv äussert sich die Menschenrechtlerin über IOC-Präsident Bach. Dieser habe mit der Agenda 2020 wichtige Reformen angestossen. Zum Beispiel soll die Achtung von Menschenrechten künftig in die Ausrichterverträge geschrieben werden. Für Worden ein wichtiger Schritt vorwärts.
Zugleich warnt sie Bach aber auch: «Seine Versprechen werden in diesem Jahr auf die Probe gestellt.» Zunächst in Baku und dann Ende Juli, wenn die IOC-Mitglieder die Olympischen Winterspiele 2022 vergeben. Zur Wahl stehen nach dem Rückzug von München, Oslo und Stockholm nur noch Almaty in Kasachstan und Peking in China. Beide Länder haben laut HRW eine katastrophale Bilanz in Sachen Menschenrechte.
In Almaty etwa, warnen die Autoren, «könnte das IOC eine verheerende Neuauflage des Unrechts von Sotschi erleben». Ausser mit Bach haben die Aktivisten sich vor Kurzem auch mit DOSB-Chef Michael Vesper und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach getroffen. Keinen Kontakt gebe es dagegen zum Fifa-Chef, erzählt Michalski und fügt spöttisch an: «Wir haben ihn um ein Treffen gebeten, aber Herr Blatter hatte bisher wohl noch keine Zeit zu antworten.»