«Bei aller Liebe zum Land, aber irgendwann tue ich mir das mit der Nationalmannschaft nicht mehr an. So hat das einfach keinen Sinn.» Als wir Heinz Barmettler am anderen Ende der Welt mitten in der Nacht endlich ans Telefon bekommen, hört man ihm die Niedergeschlagenheit deutlich an.
Der 27-jährige Innenverteidiger weilt gerade in Australien. Nach zwei Meistertiteln mit dem FCZ in den Jahren 2007 und 2009 hat ihn seine Karriere via Baku, Vaduz und Real Valladolid dorthin geführt. Derzeit ist der schweiz-dominikanische Doppelbürger ohne Vertrag und auf der Suche nach einem neuen Klub.
Für seine persönliche Karriereplanung bleibt Barmettler in diesen Tagen aber ohnehin nur wenig Zeit. Nachdem er 2009 unter Ottmar Hitzfeld gegen Norwegen ein A-Länderspiel für die Schweiz absolvierte, hat er sich vor drei Jahren für einen Nationenwechsel entschieden. Seither ist er Captain der dominikanischen Nati – und dort brennt der Baum gerade lichterloh.
Der Auslöser sind die anstehenden Wahlen im dominikanischen Fussballverband. Am Sonntag will sich Präsident Osiris Guzman eine fünfte Amtszeit sichern – seit 16 Jahren klebt der Profi-Funktionär im Karibikparadies bereits auf dem Fussballthron.
Zu lange, wenn es nach den Nationaspielern geht. Denn obwohl der Verband pro Jahr 400'000 Dollar von der FIFA und einen weiteren sechsstelligen Betrag vom olympischen Komitee erhält, versickert das Geld beim 91. der Weltrangliste unter Guzmans Führung derart rapide, dass für die Mannschaft nichts mehr übrig bleibt.
Zudem enthüllt Barmettler gegenüber watson, dass beim dominikanischen Verband auch bei der Vergabe der Stimmen zum «Ballon d'Or» gemauschelt wird: «Als Captain dürfte ich meine Stimme für den Weltfussballer abgeben. Doch das hat in den vergangenen drei Jahren nie geklappt. Immer gab es Ausreden, man hätte mich nicht erreichen können.» Im vergangenen Jahr stimmte mit Kelvin Rodriguez vom Moca FC anstelle von Barmettler ein einheimischer Spieler unter dem Einfluss des Präsidenten ab. Er vergab die maximale Punktanzahl an Franck Ribéry und sah Lionel Messi nicht einmal in den Top 3. Diese Ungereimtheiten lassen zumindest die Frage offen, ob sich Osiris Guzman die dominikanischen Stimmen vergolden lässt.
Denn der Präsident ist kein unbeschriebenes Blatt. 2011 wird er von der Ethikkommission der FIFA in einem Korruptionsverfahren für schuldig befunden. Seine Strafe hält sich in erstaunlichen Grenzen: Vier Wochen Sperre und 300 Franken Busse. Auch wenn es um die Verlängerung seiner Amtszeit geht, ist der umtriebige Funktionär ausgesprochen kreativ. Als er die letzte Wahl vor vier Jahren zu verlieren droht, gründet er kurzerhand einen neuen Wahldistrikt und entscheidet die Zitterpartie mit diesen Stimmen für sich.
Die Wiederholung dieses Szenarios möchten elf Nationalspieler um Heinz Barmettler dieses Mal verhindern. Dafür prangern sie in der Woche vor der Wahl mit einem offenen Brief die prekären Verhältnisse an, unter denen sie für ihr Land um Ehre kämpfen. Wie dramatisch die Lage wirklich ist, wird erst im Gespräch mit dem Captain klar: «Es fehlt aufgrund der nicht vorhandenen Finanzen an absolut elementaren Dingen. Das kann man sich als Schweizer gar nicht vorstellen. Auch ich war am Anfang regelrecht schockiert.»
Als Beispiel nennt Barmettler ein Spiel gegen Costa Rica im vergangenen Jahr. Für die sportliche Leistung bei der 0:4-Niederlage gegen den späteren WM-Teilnehmer müssen sich die Dominikaner nicht verstecken – peinlicher ist da schon ihr optischer Auftritt. Barmettler erinnert sich: «Uns stand nicht einmal ein komplettes Dress-Set zur Verfügung. Die TV-Kommentatoren aus Costa Rica haben uns ausgelacht, weil wir mit unterschiedlich grossen Rückennummern und Stulpen verschiedener Marken aufgelaufen sind. Die FIFA hat das Spiel später sogar annulliert, weil unser Tenue den Vorschriften für offizielle Länderspiele nicht genügte. Es kam auch schon vor, das wir drei Spiele hintereinander in ungewaschenen Dresses spielten.»
Auch Samuel Lustenberger, der Cousin von Luzern-Captain Claudio Lustenberger, hat bereits haarsträubende Anekdoten erlebt. Der 29-jährige Mittelfeldspieler vom FC Küssnacht am Rigi aus der 2. Liga inter ist einer von vier weiteren Schweizern im dominikanischen Kader und erinnert sich an eines seiner fünf Länderspiele: «Einmal gab es für die Mannschaft am Matchtag nur eine Portion Maniok, Salami und Wasser. Für mehr reichte das Geld nicht. Wir mussten selbst losziehen, um uns vor dem Anpfiff noch auf eigene Kosten anständig zu verpflegen.»
Die Unterkünfte, in denen die dominikanische Nati bei ihren Zusammenzügen haust, würden in der Schweiz wohl nicht einmal Fünftliga-Kicker freiwillig besuchen. Lustenberger schaudert es beim Gedanken daran: «Es hatte schon Ratten und Kakerlaken in den Zimmern. Das Dach war kaputt und meistens gab es keinen Strom. Das alles tun wir für eine Pauschale von 15 Dollar pro Tag. Und wenn wir uns dabei verletzen, dann sind wir angeschmiert – es gibt für die Nationalspieler nämlich keine Versicherung.»
Beide, Barmettler und Lustenberger, sind auch schon auf eigene Kosten zu Auswärtsspielen geflogen und wurden dort von den Funktionären einfach versetzt. Letztmals war das bei Barmettler vor zwei Monaten in Trinidad und Tobago der Fall: «Ich bin nach 30 Stunden Reise gelandet – und stand dann alleine am Flughafen. Ich habe mich auf eigene Faust zum Hotel durchgeschlagen. Aber auch dort war niemand mehr, denn die Verantwortlichen hatten mittlerweile umgebucht.»
Doch wie kann es zu solchen Zuständen kommen, wenn die dominikanische Nati dank der Zuwendungen durch die FIFA und dem olympischen Komitee doch jährlich über ein Budget von rund einer halben Million Dollar verfügt? Für Heinz Barmettler ist die Sache klar: «Man hört viele Geschichten über den Präsidenten. Seine Kinder besuchen teure Privatschulen und auch seine Spesen sind hoch. Offiziell werden 70 Prozent des gesamten Budgets für Benzin ausgegeben.»
«Guzman hat keine Ahnung von Fussball, aber ist ein begnadeter Politiker. Er kann gut reden und überzeugt die Leute auch mal mit einem schönen Ausflug oder einem Geschenk», erklärt Barmettler.
Für ihn und seine Nati-Kollegen wird die Präsidentschaftswahl am 14. Dezember nach den Vorwürfen zur Zitterpartie: «Solange es keinen Wechsel gibt, werden wir nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen. Ich weiss nicht, wie gut unsere Chancen stehen, denn der Präsident ist extrem gut vernetzt. Aber wir müssen etwas provozieren. Es geht nicht nur um uns – momentan ist der ganze dominikanische Fussball dem Untergang geweiht.»
Felicito a Osiris Guzmán reelecto en la FEDOFÚTBOL. pic.twitter.com/ZQY5cMW9g1
— Ramón González (@prgonzalez23) 14. Dezember 2014
Osiris Guzman bleibt trotz der Anschuldigungen aus dem Kreis der Nationalmannschaft für vier weitere Jahre Präsident des dominikanischen Fussballverbands. Am 14. Dezember entscheidet er das Rennen gegen seinen Herausforderer Adalberto Rodríguez mit 20 zu 10 Stimmen für sich.