Sechs Tore, Emotionen pur, ein an Dramatik kaum zu überbietender Spielverlauf: Das Spitzenspiel der Challenge League zwischen Winterthur und Aarau am Freitagabend vor 7600 Zuschauern im Stadion Schützenwiese bot auf allen Ebenen beste Unterhaltung – mit der glücklicheren Mannschaft, dem FC Winterthur, als Sieger.
Und damit zurück zur Tagesordnung? Mitnichten: Noch am Samstag legte der FC Aarau Protest gegen die Spielwertung ein. Grund ist die blutende Wunde von Linienrichter Pascal Hirzel.
Der Reihe nach: Nach dem Treffer von Thibault Corbaz zum 3:2 in der 88. Minute brachen im Stadion alle Dämme. Die riesige Freude über die späte Siegsicherung ist zwar verständlich, im Überschwang warfen die Heimfans aber auch hunderte Hartplastik-Becher in Richtung Spielfeld. Und weil – warum auch immer – in der Schützenweise kein Netz zwischen Zuschauerrängen und Spielfeld gespannt ist, traf einer dieser Becher Linienrichter Pascal Hirzel seitlich am Kopf.
Mit blutender Wunde oberhalb der Schläfe entfernte sich Hirzel von der Gegentribüne und wurde von Schiedsrichter Luca Cibelli auf die andere Spielfeldseite begleitet. Die Aufregung rund um die Ersatzbänke der beiden Mannschaften war riesig – in der Hitze des Gefechts fiel auch der Begriff «Spielabbruch». Hirzel wurde verarztet und konnte einige Minuten später für den Rest der Partie weitermachen. Als sich die Gemüter einigermassen beruhigt hatten, kam es zu sieben Minuten Nachspielzeit, in welcher «Winti» auch noch das 4:2 erzielte.
Nach Spielschluss musste der immer noch benommene Linienrichter Hirzel in den Katakomben von einem Arzt behandelt werden – seine Wunde wurde mit speziellen Klebestreifen verschlossen. Währenddessen legen die Aarauer in Form eines Formulars Protest gegen die Spielwertung ein. Das Formular wurde, unterschrieben vom FC Aarau und vom FC Winterthur, dem Schiedsrichter übergeben.
Welche Chancen hat der Protest? Nun, der entsprechende Abschnitt im Wettspielreglement des Schweizerischen Fussballverbands (SFV) lässt eigentlich kaum Spielraum für Interpretationen zu. Artikel 64 besagt:
Dieser Fall tritt ein, wenn unter anderem folgender Tatbestand erfüllt ist:
Wie geht es nun weiter? Der FC Aarau muss innerhalb von 72 Stunden nach Eingabe des Protests diesen bestätigen – was heute Montag nach Rücksprache mit Klubanwalt Michael Hunziker auch geschehen wird. Danach wird sich zeigen, ob die Disziplinarbehörden auf den Protest eingehen und damit die Chancen steigen, dass der FC Aarau das Spitzenspiel im Nachgang am grünen Tisch gewinnt.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Obwohl die Angelegenheit gemäss Reglement ziemlich eindeutig erscheint, ist alles andere als sicher, dass Aarau die drei Punkte gutgesprochen werden. Im Juli 2009 ereignete sich im Heimspiel des FC Luzern gegen GC (2:1) ein ähnlicher Vorfall: GC-Verteidiger Enzo Ruiz wurde während einer Behandlung von einem Wasserbecher am Kopf getroffen und konnte danach nicht mehr weiterspielen. GC beendete die Partie unter Protest und bestätigte diesen anschliessend. Die drei Punkte blieben aber trotzdem in Luzern, weil die Disziplinarkammer der Swiss Football League in ihrem Urteil festhielt, dass Spiele grundsätzlich auf dem Rasen und nicht am grünen Tisch entschieden werden sollen. Der FC Luzern erhielt lediglich eine Busse in Höhe von 15'000 Franken.
Im Spannungsfeld zwischen «Reglement» und «Unantastbarkeit des Spiels» wird die Behörde auch im aktuellen Fall entscheiden müssen. Problem ist hier das Reglement: Dieses öffnet – in diesem Fall dem FC Aarau – die Türe, wegen eines Vorfalls, der keinen Einfluss auf das sportliche Geschehen hat, das Resultat anzufechten.
Klar ist, es soll bestraft werden, da der Wurf grundsätzlich zu verurteilen ist. Dass dabei der bedauernswerte Linienrichter zu Schaden gekommen ist ist schon sehr unglücklich. Als unterlegene Mannschaft aus der Verletzung des Linienrichters profitieren zu wollen halte ich allerdings unlauter.