33 Jahre sind kein Alter und doch wird Marco Streller in den nächsten Wochen von Altersmilde profitieren. Grosse Fussballer, so unbeliebt sie stets waren, erleben kurz vor ihrem Rücktritt einen Popularitätsschub. Und Marco Streller ist für Schweizer Verhältnisse ein grosser Fussballer.
Plötzlich merken die Fans, was sie bald nicht mehr haben. Tore zum Beispiel; daran denken die Anhänger des FC Basel. Oder eine Reizfigur, die man auspfeifen kann; daran denken die Fans aller anderen Klubs.
Wer nicht dem FCB zugewandt ist, der kann es sich sehr leicht machen mit Marco Streller. Für den ist der Stürmer ganz einfach dieser gstabige Basler, der eigentlich gar nicht Fussball spielen kann, der in jedem Interview grosskotzig von seiner wunderbaren Basler Welt erzählt und natürlich der grösste Penalty-Versager aller Zeiten ist.
Wenn die Welt doch nur so einfach wäre! Wer mit Streller spricht, wer seine Interviews liest, wer sich ausführlich mit dem Fussballsport beschäftigt, der erhält ein anderes Bild. Der beginnt, Marco Streller zu mögen, selbst wenn er das eigentlich nicht will.
Denn Streller ist «en flotte Cheib». Man kann sich mit ihm unterhalten, er hat auch ein Leben neben dem Fussballplatz. In solchen Momenten wirkt er gar nicht wie der arrogante Captain des stolzen Serienmeisters, sondern wie der Typ von Nebenan.
Streller war in seinem Leben schlau genug zu erkennen, wo sein Platz ist. Nicht in der Bundesliga, wo er zwar mit Stuttgart Meister wurde, aber doch nie richtig Fuss fasste (auch wenn er selber es anders sieht). Streller wechselte zurück nach FC Basel, wo er zum Leader wurde, auf und neben dem Rasen. Er schoss Tore am Fliessband und war gleichzeitig «Fussball-Papi» für die vielen jungen Talente, für Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka, für Valentin Stocker und Breel Embolo. Das alles verschaffte ihm Respekt und Anerkennung. Das wird beim FCB mehr fehlen als seine Tore. Knipser kann man kaufen – Stürmer mit Nähe zum Klub nicht.
Und doch bleibt immer dieser eine, verdammte Penalty im Hinterkopf. Als die Schweizer Fussball-Nati im WM-Achtelfinal 2006 mit der Ukraine ums Weiterkommen kämpft, schreitet Streller als erster Schweizer zum Elfmeterpunkt. Pascal Zuberbühler hat den Schuss von Andrei Schewtchenko gehalten, Streller kann die Schweiz nun in Führung bringen.
«Da bin ich über meine grosse Klappe gestolpert», resümierte Streller vor eineinhalb Jahren im Magazin «Zwölf». Er habe Verantwortung übernehmen wollen. «Schliesslich habe ich aber so gezittert, dass der Ball kaum bis zum Tor gekommen ist.» Nach ihm verschiessen auch Tranquillo Barnetta und Ricardo Cabanas. Doch in Erinnerung bleiben nur das Versagen von Marco Streller und sein unsägliches Zungenspiel.
Der Stürmer sagte einst selber, dass ihn dieser Fehlschuss sein Leben lang begleiten werde. «Das ist halt so, damit muss ich leben.» Streller hat sich damit längst arrangiert, sagt gar, die blöden Sprüche habe es wohl gebraucht, um aus ihm das zu machen, was er heute sei.
Man tut Marco Streller unrecht, wenn man ihn bloss als Penalty-Pfeife in Erinnerung behält. Schliesslich war er es, der die WM-Teilnahme überhaupt erst möglich gemacht hat. Bei der 2:4-Niederlage im Barrage-Rückspiel in der Türkei, jenem in jeder Hinsicht denkwürdigen Länderspiel, schoss Streller den Anschlusstreffer zum 2:3. Nach zehn endlos langen Minuten, nach Hoffen und Bangen, nach viel Angst bei jedem Ball, der auf Goalie Pascal Zuberbühler zuflog, war es geschafft: Die Schweiz hatte sich für die WM in Deutschland qualifiziert.
Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Streller in Istanbul das entscheidende Tor geschossen hat – nur damit er dann am Turnier selber vom Helden zum Depp werden konnte, der mit seinem Fehlschuss die WM beendete.
Streller hat gelernt, gut damit zu leben. Denn seit er Vater geworden ist, habe er sich als Mensch und auch als Fussballer verändert, betont er. Darauf, viel mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können, freut er sich am meisten. Streller will durch die USA reisen, will in Kanada Heliskiing machen, auf den Malediven tauchen und in der Toskana durch Rebberge spazieren. «Und endlich mal wieder eine gute Flasche Wein trinken, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben!», blickte er in einem Interview einst auf die Zeit nach dem Fussball voraus.