Andres Ambühl weiss gar nicht mehr genau, an wie vielen Weltmeisterschaften er schon teilgenommen hat. Ein Blick ins Archiv zeigt: Falls er es auch in diesem Jahr in den endgültigen Kader für die WM in Tschechien schafft, wird er seine 19. WM-Endrunde bestreiten. Kein anderer Spieler war so oft dabei wie der Bündner.
Im Training mit der Nationalmannschaft in der Eishalle am Schluefweg in Kloten sieht man dem Captain des HC Davos nicht an, dass er doppelt so alt ist wie einige seiner Mitspieler. Dass er sich auch 40-jährig noch ganz zuoberst behaupten kann, verdankt Ambühl nicht nur seiner ungebrochenen Liebe zum Eishockey, sondern auch seiner Gesundheit: «Man muss Freude am Spielen haben. Und auch die Gesundheit ist ein grosser Faktor. Wenn man viel verletzt ist und sich immer wieder zurückkämpfen muss, ist es schwieriger, sich zu motivieren.»
Ganz spurlos ging seine lange Karriere aber auch an Andres Ambühl nicht vorbei: «Es tut einem sicher mehr weh als mit 20, weil man den Körper halt auch schon mehr gebraucht hat. Aber ich habe das Glück, dass alles einigermassen funktioniert.»
Dass «Büehli», wie er sich beim Interview vorstellt, noch immer für das Eishockey brennt, zeigt auch die Art und Weise, wie er über das Nationalteam spricht: «Ich fing mit dem Hockey an, weil ich gerne auf dem Eis war, gerne mit dem Puck spielte – und ich mache es noch immer gerne. Die Zeit mit der Nati verlängert die Saison ein bisschen, das ist ein Vorteil.»
Ambühl weiss noch nicht, ob ihn Nati-Trainer Patrick Fischer für die WM in Tschechien berücksichtigen wird oder nicht. Aber er ist noch immer hungrig, wohl wissend, dass selbst für ihn die Zeit in der Nati ein Ablaufdatum hat: «Besonders in meinem Alter ist es natürlich nicht toll, wenn es dann nicht klappt. Deshalb gebe ich alles dafür, um an die WM zu fahren.» Doch auch falls es nicht klappen sollte mit der 19. WM-Teilnahme, könnte der zweifache Familienvater der Situation etwas Positives abgewinnen: «Dann hätte ich dafür mehr Zeit mit der Familie», meint Ambühl.
Seine Familie ist auch der Grund, warum Ambühl die Abreise vor den Turnieren schwerer fällt als auch schon: «Bevor ich eine Familie hatte, war es einfacher zu gehen, jetzt ist das oft ein bisschen schwierig. Aber sobald ich hier bin, packt mich wieder die Freude am Spielen. Die Teamkameraden wiederzusehen und gemeinsam ein Ziel zu verfolgen, macht Spass.»
Andres Ambühl hat mit der Schweizer Nationalmannschaft definitiv schon erfolgreichere Zeiten erlebt. Vor den beiden Siegen gegen Frankreich hat das Team um Patrick Fischer 13 Niederlagen aneinandergereiht. Ein Umstand, dem der Davoser nicht zu viel Gewicht geben möchte: «Im Rahmen der Euro Hockey Tour trafen wir mit Schweden, Finnland und Tschechien auf absolute Topmannschaften. Von solchen Spielen können wir extrem profitieren, aber es ist natürlich auch schwieriger zu gewinnen als gegen Mannschaften, die auf dem Papier schwächer sind.»
Und da ist er, der nächste Rekord von Büehli 🎉👏 143 point for the Swiss National Team - #10 Andres Ambühl
— Swiss Ice Hockey (@SwissIceHockey) May 21, 2023
Andres Ambühl überholt Jörg Eberle und ist nun alleiniger Rekordhalter mit den meisten Punkten für die Nationalmannschaft. pic.twitter.com/BKiQ4Nv6Sl
Aber einer wie Ambühl, der schon einige erfolgreiche Endrunden erlebt hat, hat natürlich «immer den Anspruch, Spiele zu gewinnen». Mit dem Nationalteam holte er 2013 an der WM in Schweden und Finnland die Silbermedaille. Auch 2018 schaffte es das Team bis in den Final – jedoch ohne «Büehli», der sich damals von einer Verletzung erholte.
Schafft es die Nati bis zum Start der WM am 10. Mai, die Verunsicherung, die sich bei einem Dutzend Niederlagen in Serie wohl zwangsläufig anstaut, abzuschütteln? Ambühl, ganz der Sportsmann, zeigt sich zuversichtlich: «Die Resultate sind ein Ansporn. Wir wollen uns weiterentwickeln, deshalb lassen wir nach einer Niederlage auch nicht den Kopf hängen, vor allem, weil es vielfach auch eng war und es auch auf die andere Seite hätte kippen können. Und genau in diesen engen Situationen müssen wir besser werden.»
Eine konkrete Prognose im Hinblick auf die WM lässt sich der 40-Jährige nicht entlocken: «Wir gehen Schritt für Schritt und wollen unser Potential vollständig ausschöpfen. Zunächst setzen wir alles daran, in den Viertelfinal zu kommen, und dann schauen wir weiter.» Vieles stimme bereits in der Mannschaft, meint Ambühl: «Die Stimmung ist gut, ich denke, es kommt gut.»
In einem Interview aus dem Jahr 2023 verglich Pascal Müller, Sportchef der SCL Tigers und Weggefährte von Ambühl, die Persönlichkeit des Bündners mit derjenigen des Schweizer Nashville-Verteidigers Roman Josi. Ein Vergleich, den Ambühl so nicht ziehen würde: «Josi ist mit Abstand der beste Schweizer, den wir in den letzten fünfzig Jahren hatten, mit ihm will ich mich nicht vergleichen. Das sollen andere Leute machen. Aber es ist schön, dass er das sagt.»
Ob der Vergleich nun passt oder nicht, sei dahingestellt. Tatsache ist aber, dass Ambühl immer wieder als Vorbild bezeichnet wird, an dem sich junge Spieler orientieren. Der Bündner ist sich dieser Rolle bewusst: «Ich versuche immer, mein Bestes zu geben. Es gelingt mir, wie allen Menschen, natürlich nicht immer. Aber ich will auch in schwierigen Momenten nicht aufgeben. Das will ich auch weitergeben.»
Wird uns Andres Ambühl als Vorbild für junge Eishockeyspielerinnen und -spieler auch nach seiner Zeit als aktiver Profi erhalten bleiben? «Es ist schon mein Ziel, auch nach meiner Karriere im Eishockey tätig zu sein», meint der Davoser, in welcher Funktion weiss er aber noch nicht: «Logisch macht man sich Gedanken, aber ich habe jetzt mehr als 20 Jahre gespielt und muss noch rausspüren, was mir denn gefallen würde und was es für Optionen gibt.»
Die Silbermedaille der WM 2013 hat Andres Ambühl «irgendwo» zu Hause. «Wenn ich dann mal Zeit habe, will ich das alles ein bisschen ordnen und die Medaille an einen hübschen Ort hängen», sagt er. Im Moment steht für den 40-Jährigen aber die WM-Vorbereitung im Zentrum: «Wenn du eine lange Vorbereitung hast, ist der schönste Moment eigentlich immer dann, wenn das Turnier endlich losgeht. Das ist das, was am meisten Freude macht.»
Und sollte es dann mal vorbei sein, wird er sicher auch seinen Platz finden. Mit seinem enormen Wissen kann ich mir bei ihm einen ähnlichen Weg wie Beat Feuz vorstellen.