Weltklasse allein genügt nicht. Das Leichtathletik-Meeting im Zürcher Letzigrund konnte in den letzten Jahren stets mit exzellenten Startfeldern aufwarten – und doch wurde immer der gleiche Makel beklagt. Die Stimmung, so die Kritik, sei halt nicht mehr wie damals, als der 800-m-Läufer André Bucher das Publikum mit seinem Sieglauf von den Sitzen riss.
In der Tat konnten selbst Superstar Usain Bolt mit seinen Showeinlagen oder Stabhochspringerin Jelena Isinbajewa mit ihrem Weltrekord nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass einheimische Identifikationsfiguren fehlten. Schweizer Leichtathleten hatten im Hauptprogramm eines Weltklasse-Meetings schlicht keinen Platz.
Es ist daher nichts als logisch, dass die Zürcher Veranstalter im Vorfeld des morgigen Meetings mit Werbespots und Plakaten die Swissness-Karte spielten – jetzt, wo sich die Schweizer Leichtathletik im Aufschwung befindet. Die Aushängeschilder der neuen Generation wie Mujinga Kambundji, Kariem Hussein, Selina Büchel und Noemi Zbären kommen bei Weltklasse Zürich zu einem prominenten Auftritt. «Wir freuen uns, dass wir ganz viel Schweizer Power dabei haben», sagt Co-Meetingdirektor Andreas Hediger. «Das ist es, was unsere Veranstaltung aussergewöhnlich macht. Darauf haben wir lange hingearbeitet.»
Tatsächlich hat das Meeting einen grossen Anteil am neuen Selbstbewusstsein der hiesigen Szene. Die «Weltklasse»-Macher gehören seit Jahren zu den wichtigsten Treibern der Schweizer Leichtathletik. Die Europameisterschaften 2014 in Zürich als grosses Impuls-Projekt unter Federführung des inzwischen abgetretenen Meetingdirektors Patrick Magyar ist das Paradebeispiel. Daneben profitiert die olympische Kernsportart in der Schweiz in verschiedener Hinsicht von der Förderung durch den «Verein für Grossveranstaltungen des LCZ», der als Veranstalter von «Weltklasse» auftritt. Die entsprechenden Massnahmen reichen vom erfolgreichen Nachwuchsprojekt «UBS Kids Cup» bis zur gezielten – auch finanziellen – Unterstützung von Einzelathleten.
Trotz allem: Die Schweiz ist noch immer keine Leichtathletik-Weltmacht. Entsprechend behutsam müssen die Athleten in Szene gesetzt werden, damit sie im Vergleich mit den internationalen Topathleten vorteilhaft aussehen. Das beste Beispiel ist Mujinga Kambundji, die an den Weltmeisterschaften in Peking ihre eigenen Schweizer Rekorde sowohl über 100 als auch über 200 m deutlich verbessern konnte – und den Einzug in einen Final dennoch verpasste.
«Das Niveau ist extrem hoch», sagt Kambundji, die in Peking insbesondere nach ihrem Halbfinal-Out über 200 m im ersten Moment leicht enttäuscht war. «Inzwischen bin ich mit meinem Resultat sehr zufrieden», sagt die 23-jährige Bernerin. «Ich hatte gehofft, dass ich noch etwas schneller laufen könnte, aber das spare ich mir nun halt für nächstes Jahr auf. Ich bin überzeugt, dass ich noch Steigerungspotenzial habe.» Kambundji lässt sich nicht entmutigen durch die Erkenntnis, dass sie von den WM-Medaillengewinnerinnen noch ein Stück entfernt ist. «Das bedeutet einfach, dass ich noch schneller laufen muss», sagt sie. «Das motiviert mich enorm.»
In Zürich tritt Kambundji morgen im 100-m-Lauf an, der im Rahmen des Finals der Premium-Meeting-Serie Diamond League ausgetragen wird. Das bedeutet, dass die schnellste Schweizerin auf hochklassige Konkurrenz um Weltmeisterin Shelly-Ann Fraser-Pryce trifft. So weist Kambundji im ganzen Startfeld die höchste Bestzeit auf. Um den Sieg wird die Bernerin darum kaum mitlaufen können, doch sie hat inzwischen ein Niveau erreicht, dank dem sie nicht mehr hoffnungslos abfallen sollte. «Ich freue mich sehr auf das Rennen», sagt Kambundji, die sich trotz WM-Programm und Jetlag noch frisch fühlt.
Auch 800-m-Läuferin Selina Büchel, die in Peking im Halbfinal äusserst knapp scheiterte, kommt im Diamond-League-Final noch einmal zu einem Vergleich mit den Weltbesten. Die Hallen-Europameisterin, die im Juli den Schweizer Rekord auf 1:57,95 Minuten gesenkt hatte, trifft unter anderem auf Weltmeisterin Marina Arsamassowa (Weissrussland) und deren Vorgängerin Eunice Jepkoech Sum (Kenia).
Für Europameister Kariem Hussein haben die Veranstalter eigens ein Rennen über 400 m Hürden ins Hauptprogramm aufgenommen. Weil diese Disziplin ausserhalb der Diamond League stattfindet – der Final findet in einer Woche in Brüssel statt – hatten die Organisatoren bei der Zusammensetzung des Startfeldes einen grösseren Gestaltungsspielraum. Hussein trifft auf Konkurrenten, die in diesem Jahr schon unter der 49-Sekunden-Marke geblieben sind. Schneller als der Thurgauer, der bei den Schweizer Meisterschaften in Zug seine Bestzeit auf 48,45 senkte, war heuer jedoch keiner.
Auch WM-Finalistin Noemi Zbären findet in Zürich ideale Voraussetzungen vor, um sich im zweitletzten Rennen der Saison noch einmal positiv in Szene zu setzen. Die U23-Europameisterin, die ihre Bestzeit im Sommer auf 12,71 gesenkt hat, bekommt es im Vorprogramm mit Gegnerinnen zu tun, welche über 100 m Hürden noch nie unter 13 Sekunden gelaufen sind. «Nach der langen Reise aus Peking fühle ich mich noch etwas müde, aber im Letzigrund werde ich nochmals bereit sein.»