7 Uhr morgens, der Himmel wandelt sich von schwarz zu orange und wird langsam blau, es deutet sich ein schöner Tag an. Bis zu 26 Grad wurden vorausgesagt. Noch steigt die Sonne hinter den umliegenden Bergen hoch, es ist ziemlich frisch. Doch in den Strassen des Walliser Bergortes Verbier herrscht Hochbetrieb.
Aus allen Ecken strömen Paare auf die Strassen. Aus jeder Gasse kommen die Frühaufsteher. Einige mit dem Bike, andere zu Fuss. Wer zusammengehört, ist einfach durch die Trikots zu erkennen. Heute gilt es endlich richtig ernst: Die erste Etappe des Swiss Epic – des ersten Schweizer Mountainbike-Mehretappenrennens – steht auf dem Programm. Der Prolog war zwar schon am Tag zuvor. Aber wer insgesamt 400 Kilometer in sechs Tagen zurücklegen muss, der weiss: Jene 16 Kilometer waren ein Spaziergang, verglichen mit dem was noch wartet.
95 Kilometer stehen heute an, 3050 Höhenmeter. Von Verbier steigt die Strecke zu Beginn an bis auf 2185 Meter über Meer. Danach führt der Weg an den wunderschönen Walliser Suonen entlang wieder ins Tal. An Sion vorbei und zum Schluss steht der Anstieg nach Leukerbad auf dem Programm. Was ist der fieseste Teil der Strecke, Joko Vogel? «Fies ist nichts. Es ist alles schön», lacht der Mitgründer des Events. Er meint es ernst. Und tatsächlich bestätigen im Verlauf des Tages alle Teilnehmer – egal wie ausgelaugt sie sind – einstimmig: «Die Strecke ist wunderschön.»
Mittlerweile küsst die Sonne die Berggipfel und taucht sie in ein traumhaftes Licht. Es ist kurz vor 7.30 Uhr. Während die Profis um Prologsieger Nino Schurter und Florian Vogel starten, sitzen einige Amateure aus den hinteren Startblocks noch im Café und nehmen die letzte Stärkung entgegen, pumpen die Reifen nochmals, überprüfen ihr Bike und sprechen sich Mut zu.
Die Stimmung ist gelöst. Vorfreude herrscht. «Einige sind Maschinen, einige Normalos wie wir und einige wohl etwas schlechter», urteilt Edward vom Team RitaliNOs nach den Eindrücken vom Prolog. Er und sein Partner fahren – wie die meisten Teilnehmer – nicht um den Sieg, sondern des Erlebnisses wegen. Immerhin dürften die beiden mit dem Lederhosen-Trikot die inoffizielle Kleiderwertung gewinnen. Sie müssen los, haben allerdings dank der Flow-Variante den Vorteil, dass ihr Tag mit einer bequemen Gondelfahrt auf das erste Hindernis beginnt.
Keine solche Annehmlichkeiten haben die Profis an der Spitze. Trotzdem erreichen Mathias Flückiger und Lukas Buchli schon um 11.46 Uhr als Sieger das Ziel in Leukerbad. Nur 4:16 Stunden waren die beiden unterwegs. «Es war brutal hart. Die Cross-Country-Spezialisten pushen immer. Das Tempo war teilweise horrend», sagt Flückiger im Ziel. Schwierigkeiten bereiteten vor allem die Wurzelwege entlang der Suonen: «Wir fahren beide ein Hardtail-Velo. Das merkst du dann.» Und sonst? «Die Strecke ist super, aber teilweise mussten wir ziemlich knapp Wanderern oder Hunden ausweichen.»
Flückiger, Buchli und Co. können also am Mittag mit der Regeneration beginnen, der hintere Teil des Feldes hat da noch nicht einmal die zweite von drei Service Stations erreicht. Der Stimmung tut dies keinen Abbruch. Abgekämpft sehen die meisten zwar spätestens auf den letzten Steigungskilometern aus. Doch den Humor hat eigentlich keiner verloren. So auch das Team sportgeeks bei der letzten Service Station: «Es ist der erste Tag. Wenn wir jetzt schon kaputt wären, käme das nicht gut.» Die beiden schaffen es problemlos hoch bis nach Leukerbad.
Oder ein Duo aus Deutschland: «Wir hatten Horror vor der ersten Etappe wegen der Distanz. Und es ist wirklich auch brutal hart. Meine Oberschenkel brennen.» Sie rasten kurz am letzten Aufstieg. Kräfte sammeln und weiter geht's. Das erste Ziel ist nah, die Leiden werden sich bald mit dem Blick auf Leukerbad mit dem Daubenhorn und Gemmi-Pass im Hintergrund ausbezahlen. Das letzte Duo erreicht das Ziel um knapp nach 18 Uhr. Fast elf Stunden waren sie unterwegs: «Wir haben uns gesagt, wir dürfen einfach nicht stehenbleiben», so die beiden Australierinnen glücklich. Ein Lächeln huscht über die verschwitzten Gesichter. Vielleicht liegt auch für sie noch etwas Erholung in der Therme drin. Denn die 2. Etappe wird ebenfalls hart.