Was ist Magie im Mannschaftsport? Wenn alles funktioniert und wenn die Hockey-Götter gnädig gestimmt sind. Wenn die Münze auf die richtige Seite fällt.
Die Magie ist zurück. Gegen Tschechien hat erstmals bei diesem Turnier alles funktioniert: Das Powerplay (die zwei ersten Ausschlüsse sind zum 1:1 und zum 3:1 genutzt worden), das Defensivspiel (war im letzten Drittel sogar perfekt), die Effizienz im Abschluss (in 13 Sekunden vom 0:1 zum 2:1) und die Torhüterleistung: Leonardo Genoni strahlte die Ruhe und Sicherheit aus, die ihn schon immer in grossen Spielen ausgezeichnet hat.
Auch das Glück ist zurück: Die Schweizer hatten zuvor in den Gruppenspielen so viel Pech gehabt (je ein Eigentor beim 0:1 gegen Russland und beim 1:2 nach Penaltys gegen Tschechien), dass allein schon die Rückkehr zu normalen Verhältnissen (kein Eigentor) als Glück bezeichnet werden kann.
Drei Spiele haben die Schweizer benötigt, um ihr Spiel zu justieren. Um die Balance zwischen Offensive und Defensive zu finden. Um sich an das kleinere Eisfeld zu gewöhnen. Patrick Fischer sagt, Hockey sei so komplex, dass man diese Zeit brauche.
Was auffällt: Niemand war nach den drei Niederlagen in den Gruppenspielen in Panik geraten. Leonardo Genoni sagt: «Wir mussten ja damit rechnen, dass wir das Achtelfinale bestreiten müssen und nicht direkt in den Viertelfinal kommen.»
Ob eine, zwei oder drei Niederlagen in den Gruppenspielen war so gesehen eigentlich egal. Aber eben nur dann, wenn nach drei Niederlagen keine Panik ausbricht, nicht alles in Frage und auf den Kopf gestellt wird.
Die Schmach gegen Dänemark (3:5) im dritten und letzten Gruppenspiel war tatsächlich das Beste, was der Mannschaft passieren konnte. Nationaltrainer Patrick Fischer und seine Spieler sind einerseits cool geblieben. Und andererseits brachte diese erste Pleite gegen Dänemark bei einem Titelturnier eben doch das Ende aller Ausreden und verletzte den Stolz: Im Falle einer Niederlage gegen Tschechien hätte die Bilanz der olympischen Turniere von 2018 und 2022 gelautet: Acht Spiele, sieben Niederlagen und bloss ein einziger Sieg gegen Südkorea.
Nationaltrainer Patrick Fischer wäre zwar im Amt geblieben (Mandat bis 2024). Aber seine Autorität als Lichtgestalt unseres Hockeys wäre erschüttert worden. Es gibt Spiele, die eine Karriere knicken können. Dieser Achtelfinal gegen Tschechien war so ein Spiel. Patrick Fischer stand am Ende aller Ausreden. Es ist ein grosser Sieg für ihn und gerade deshalb ein grosser Sieg für unser Hockey.
Die Chancen gegen Finnland stehen nun im Viertelfinale mindestens 50:50. Die Schweizer haben das letzte «K.O.-Spiel» gegen die Finnen am 17. Mai 2018 im Rahmen der WM 2018 gewonnen (3:2).
Auch damals war es der Viertelfinal. Auch damals stand Leonardo Genoni im Tor. Die drei Treffer erzielten Enzo Corvi, Joël Vermin und Grégory Hofmann. Alle drei sind auch hier dabei.
Die Schweizer waren den Tschechen in jeder Beziehung ebenbürtig und in einigen Bereichen sogar überlegen. Leonardo Genoni war der bessere Torhüter, unsere Chancenauswertung, unser Boxplay und unser Powerplay waren besser. Und noch erstaunlicher: Wir waren taktisch gegen eine der taktisch besten Nationalmannschaften schlauer. Wer besser, schlauer ist als die Tschechen hat gegen jeden anderen Gegner in diesem Turnier mindestens eine Chance von 50:50.
Kommt dazu, dass die zwei besten Vollstrecker – Grégory Hofmann und Sven Andrighetto – noch kein Tor erzielt haben. Das offensive Potenzial ist also noch nicht ausgeschöpft worden. Und nun ist Dario Simion aus der Quarantäne zurück und wird gegen Finnland seine erste Partie bestreiten. Er würzt das Spiel auf den Aussenbahnen mit Wucht, Wasserverdrängung und Schusskraft. Seine Wirkung ist auf dem kleinen Eisfeld noch grösser.
Der Optimist fragt: Schweizer, wie hoch wollt ihr in Peking noch hinaus? Und sagt kühn: Wir sind gegen Finnland sogar Favorit.
Der Pessimist mahnt: Zu grosser Optimismus kommt vor dem Fall. Die Finnen sind besser als die Tschechen.
Der Realist stellt fest: Was auch kommen mag: Mit dem Sieg gegen Tschechien haben die Schweizer bereits die Ehre gerettet und kehren nicht als Maulhelden (als Ziel ist ja der Halbfinal verkündet worden) zurück.
Aber diese Mannschaft ist so gut, dass mehr möglich ist, als bloss die Ehre mit einer Viertelfinal-Qualifikation zu retten. Der Sieg gegen Tschechien hat die Türe zur ersten olympischen Medaille seit 1948 in St.Moritz (Bronze) geöffnet.
Jetzt müssen die Schweizer nur noch durch diese Türe gehen. Ein olympisches Eishockeymärchen ist möglich.