Im Wimbledon-Halbfinal kommt es heute (ca. 17 Uhr) zum Duell, auf das die ganze Tennis-Welt gewartet hat: 4023 Tage nach ihrem epischen Final von 2008 begegnen sich Roger Federer und Rafael Nadal wieder auf dem «heiligen Rasen» im Süden Londons. Es ist das 40. Duell zwischen den beiden lebenden Tennis-Legenden – im Head-to-Head führt Nadal mit 24:15 Siegen.
Geheimnisse gibt es keine mehr zwischen den beiden, das weiss auch Federer. «Wir haben viele Informationen über Rafa und er auch über uns», sagt der achtfache Wimbledonsieger. Ich kann mich jetzt entweder intensiv mit der Taktik auseinandersetzen oder einfach sagen: ‹Hey, es ist Rasentennis›, rausgehen und offensiv spielen. Wenn er dagegenhalten kann, okay. Wenn nicht, ist es gut für mich.»
Zuletzt hatte Federer im Halbfinal des French Open keine Chance und verlor bei stürmischen Verhältnissen klar in drei Sätzen. Doch auf Rasen sind die Vorzeichen ganz andere: Zwar hat auch Nadal in den ersten eineinhalb Wochen einen bärenstarken Eindruck hinterlassen, Federer aber legte einen noch beeindruckenderen Steigerungslauf hin. Gegen Kei Nishkori spielte er nach verlorenem Startplatz teilweise Rasentennis wie von einem anderen Stern. Für SRF-Experte Heinz Günthardt ist deshalb klar:
Doch Nadal ist noch immer Nadal – für Federer der wohl härteste Widersacher, dem er sich je stellen musste. Folgende vier – eigentlich – simplen Punkte müssen beim bald 38-Jährigen stimmen, damit er seinen ewigen Rivalen besiegen kann.
Ganz klar der wichtigste Punkt: Vor der deutlichen Niederlage im French-Open-Final hatte Federer Nadal fünfmal in Serie auf schnellen Unterlagen besiegen können – viermal in seinem Comeback-Jahr 2017. Das hatte der Schweizer vor allem seiner Rückhand zu verdanken.
Während Federer früher selbst die zweiten Aufschläge Nadals stets mit Slice zurückspielte, konnte er beim Return dank grösserem Schlägerkopf plötzlich voll durchziehen und den Ball flach und hart zurückbringen. Nadal kriegte so nicht so sofort die Oberhand in den folgenden Duellen von der Grundlinie, ihm fehlte plötzlich der Rhythmus.
Nun in Wimbledon hatte Federer zunächst Mühe, das Timing bei seiner einstigen Achillesferse zu finden. Im Viertelfinal gegen Nishikori funktionierte die Rückhand aber erstmals, wie sich Federer das vorstellt. Immer wieder konnte der «Maestro» seinen Kontrahenten mit der durchgezogenen Rückhand überraschen und unter Druck setzen. Das muss auch das Rezept gegen Nadal sein.
Poetry in motion...@rogerfederer made the extraordinary look ordinary as he sealed his spot in the semi-finals#Wimbledon pic.twitter.com/kIoBD9iBzy
— Wimbledon (@Wimbledon) 10. Juli 2019
Ist der Ball erstmal im Spiel, wird es für Federer auch auf Rasen schwierig aus Nadals Spin-Mühle zu kommen – durchgezogenen Rückhand hin oder her. Deshalb und weil Nadal zu den besten Returnspielern der Welt gehört, braucht der Schweizer eine hohe Quote erster Aufschläge im Feld. Im bisherigen Turnierverlauf landete Federers erster Service zu 65 Prozent im Feld, damit machte er zu 82,4 Prozent auch den Punkt. Eine starke Quote. Dabei beschwerte sich Federer zu Turnierbeginn noch, dass die Plätze im Vergleich zu früher deutlich langsamer und der Aufschlag damit weniger effektiv sei.
Zwar hat der achtfache Wimbledon-Champion bislang auch in zwei Dritteln aller Fälle den Punkt geholt, wenn der erste Aufschlag nicht im Feld war, allerdings gegen deutlich schwächere Returnspieler als Nadal. Gegen den starken Retournierer Nishikori fiel die Quote gewonnener Punkte nach zweitem Aufschlag auf 58 Prozent.
Gegen Nadal kam Federer in dieser Sparte selbst bei Siegen nur selten über 50 Prozent hinaus. Das kann sich der «Maestro» gegen einen Nadal in dieser Form wohl nicht erlauben. Federer wäre also gut beraten, die Anzahl zweiter Aufschläge möglichst tief zu halten. So kann er sich auch besser auf die Return-Games konzentrieren.
100 #Wimbledon wins.
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Das Verwerten von Breakbällen in wichtigen Spielen gehört seit jeher zu den grossen Schwächen von Federer. Unvergessen der US-Open-Final 2015 gegen Novak Djokovic, als der 20-fache Grand-Slam-Sieger 19 seiner 23 Breakchancen ausliess.
Im Viertelfinal gegen Nishikori war es phasenweise auch wieder zum Verzweifeln: Am Ende war die tiefe Quote von 29 Prozent genutzter Breakbälle (4/14) der Grund, warum das Matchs trotz Federers klarer Überlegenheit lange spannend blieb.
Nadal hat im bisherigen Turnier 71,4 Prozent seiner Breakbälle abgewehrt, was trotz klar verbessertem und vor allem effektiven Service keine überragende Quote darstellt. Der Spanier, der im Turnierverlauf schon 47 Asse und damit zwei mehr als Federer geschlagen hat, kann sich in dieser Sparte in den entscheidenden Momenten aber für gewöhnlich deutlich steigern.
Zwischen 2008 und 2012, als Federer gleich reihenweise gegen Nadal verlor, hatte man oft das Gefühl, dass er gar nicht mehr so richtig an einen Sieg gegen seinen Erzrivalen glaubte. Das hat sich seit seiner Siegesserie von 2017 komplett geändert. Der Schweizer weiss, wie er Nadal auf schnellen Belägen weh tun kann.
Die deutliche Niederlage beim French Open hat Federer abgehakt: «Ich glaube nicht, dass jenes Spiel vom French Open eine Auswirkung auf dieses Duell hat. Es war so windig, es war einfach verrückt. Das wird sich sicher nicht wiederholen», so der «Maestro».
Federer fühlt sich nach kleinen Startschwierigkeiten pudelwohl auf dem «heiligen Rasen». Auch durch kleine Rückschläge wie den Satzverlust gegen Nishikori lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. So muss er auch gegen Nadal auftreten: Nicht verzweifeln, wenn nicht gleich alles nach Plan läuft.