Wie viel Macht steckt in diesem kleinen Zimmer? Ein Tisch, ein Computer, ein Fussball. An der Wand ein Foto des Matterhorns. Das neue Büro von Sepp Blatter erinnert nicht im Geringsten an die prunkvollen Räume des Fifa-Glaspalastes auf dem Zürichberg. Doch was heisst das schon? Hier in seiner Wohnung, einen Steinwurf vom Fifa-Hauptsitz, erreichen Blatter noch immer Briefe von Staatsoberhäuptern aus aller Welt. Putin hat ihm geschrieben, der chinesische Präsident Xi Jinping ebenso und natürlich die Südafrikaner. Sie unterstützen den suspendierten Schweizer. Für sie ist er weiterhin der Fifa-Boss.
Der Mann aus dem Wallis füllt seit Wochen die Titelseiten der Weltpresse: Von der Fifa gesperrt, vom Hauptsitz verbannt, von der Bundesanwaltschaft ins Visier genommen. Und doch ist er noch da, hier in seinem kleinen Büro, wo die Fäden zusammenkommen. «Nein, nicht die Fäden», sagt Blatter und lächelt, «die ganze Welt.»
Die grosse und die kleine Welt: Blatter lebt derzeit in beiden. Sie spiegeln sich in seinem Auftreten. In einem Moment schweift Blatters Blick ins Leere, im anderen erzählt er Geschichten, imitiert Personen und lacht. «Ich bin ein Sonnyboy.»
Seit dem 8. Oktober ist Blatter von seinem Amt suspendiert, nach 17 Jahren als Präsident. Eigentlich will er reden, sich wehren gegen die Vorwürfe. Doch seine Anwälte raten ihm ab, über die Anschuldigungen zu sprechen. Blatter soll unerlaubt 2 Millionen Franken an Uefa-Chef Platini gezahlt haben, er soll Konten gefälscht und TV-Rechte weit unter Wert an Freunde verkauft haben. Die Verdächtigungen treffen ihn, er hält sie für bösartige Verleumdungen. «Ich werde vorverurteilt.»
Am Donnerstag folgt der nächste Angriff, zu dem Blatter aber nicht schweigen wird. Der Deutsche Fussballbund (DFB) wirft dem Walliser in einer Pressekonferenz vor, der Grund für das zerstörte Sommermärchen zu sein. Blatter soll den Kuhhandel vorgeschlagen haben, der zu einer schwarzen Kasse und dem mutmasslichen Kauf der Weltmeisterschaft 2006 geführt hat.
Der Präsident des DFB, Wolfgang Niersbach, unterrichtet die Weltpresse von einem Vier-Augen-Gespräch zwischen dem Fifa-Präsidenten und OK-Chef Franz Beckenbauer Anfang 2002. Blatter soll 10 Millionen Schweizer Franken verlangt haben. Als Voraussetzung dafür, dass die Fifa dem deutschen OK 250 Millionen Franken als Zuschuss für die WM gebe. Waren das vielleicht 10 Millionen Franken für eine schwarze Kasse? Möglich ist vieles, bewiesen ist nichts. Stimmt Niersbachs Version, hätte der Weltfussballverband wie ein Schutzgeld-Erpresser agiert.
Darauf angesprochen, hebt Blatter beide Zeigefinger, der Machtmensch kehrt zurück: «Ich habe niemals Geld von Beckenbauer verlangt. Jamais de la vie. Nie im Leben», sagt er und wirft die Zeigefinger hin und her. «Auch nicht vom DFB. Das stimmt einfach nicht.» Er habe von seinem Vater einige Grundsätze mitbekommen: «Nimm kein Geld an, das du nicht verdient hast und versuche nie, deine Ziele mit Geld zu erreichen.»
Warum die Fifa trotzdem über ein «Kulturprogramm» in die ominöse Zahlung verstrickt ist, weiss der 79-Jährige nach eigenen Angaben nicht. «Ich war nicht involviert.» Die Pressekonferenz des DFB – die mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert hat – hat Blatter dennoch verfolgt. «Da kommt mir der Schlusskommentar der ARD in den Sinn: ‹Es sollte ein Befreiungsschlag für Niersbach werden, doch wahrscheinlich war es ein Eigentor›», wiederholt Blatter die Worte. Sie klingen wie seine Worte.
Das Telefon klingelt. Blatter geht nicht ran. Kurz darauf kommt ein Freund ins Zimmer. «Der Anrufer sagt, es ist wichtig.» Blatter verschwindet, aber kommt nach wenigen Minuten zurück. «Manche Leute halten sich für James Bond», sagt er. «Sie flüstern ins Telefon und glauben, was sie sagen, sei unheimlich wichtig, dabei geht es um Belanglosigkeiten.»
Ob Blatter noch einmal auf die grosse Bühne des Weltfussballs zurückkehrt, hängt vom Entscheid der Berufungskommission ab. Wird er rehabilitiert oder gar lebenslänglich gesperrt? Triumphale Rückkehr oder leiser Abgang durch die Hintertür? Eine Entscheidung folgt wohl bis Jahresende. Hinschmeissen werde er auf keinem Fall. «Sonst hätte ich Angst, das Grab meines Vaters zu besuchen. Was glauben Sie, was passiert, wenn ich ihm sage ‹Ich gebe auf›? Da würde er doch glatt herauskommen.»
Blatters einziges, letztes Ziel bleibt der Kongress am 26. Februar. Dann wird der neue Fifa-Präsident gewählt. Blatter will seinen Nachfolger persönlich küren. Auf Ratschläge verzichtet der Walliser, hebt aber einen Punkt hervor. «Der neue Präsident muss die Entwicklungsprogramme weiterführen und darf die kleinen Verbände nicht zum Spielball der grossen Länder verkommen lassen.» Für sich selbst wünscht er sich nur eines: «Ich will nach 41 Jahren bei der Fifa einen würdigen Abgang.»
Nach 80 Minuten verabschiedet sich Blatter, er müsse zum nächsten Termin. Ein Anruf. Eine Minute vergeht, zwei, drei. Dann fährt ein schwarzer Mercedes vor. «Ich gehe jetzt Mittagessen mit dem Fifa-Generalsekretär», sagt er. Und die Suspendierung? «Ich bin von meinem Amt suspendiert, man kann mich nicht als Privatperson suspendieren. Aber keine Sorge, die Rechnung bezahlen wir fifty-fifty.» Ein Lachen. Dann ist er weg.
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