Es gibt Sportler, die werden wie Götter verehrt. Solche, die von der breiten Masse geliebt und vom TV-Publikum als «Schweizer des Jahres» ausgezeichnet werden. Sieger, welche die meisten Fans sympathisch finden. Akteure, die man einfach so zur Kenntnis nimmt. Und es gibt Typen wie Peter Müller.
Der Skirennfahrer, einer der erfolgreichsten Schweizer der Geschichte, wurde nie verehrt. Nicht geliebt. Als unsympathischer Klotz bezeichnet. Von den wenigsten gemocht. Am wenigsten von den anderen Schweizer Abfahrern. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» zeigte der 62-jährige Zürcher ein weiteres Mal, wie einfach er es allen anderen macht, ihn nicht zu mögen. «Pitsch» Müller nahm in gewohnter Manier kein Blatt vor den Mund und teilte in alle Richtungen aus.
«Auf eine Züri-Schnurre hatte niemand gewartet. Im ersten Trainingslager in Zermatt sagten die Etablierten, sie wollten nicht mit mir ins Zimmer. Also sass ich allein dort, trainierte doppelt so hart, nur damit ich mit diesen Trotteln nichts zu tun haben musste. Walter Tresch leerte mir einmal ein Bier in den Nacken. Beim Fussball wurde ich hart gefoult, beim Eishockey mit dem Stock geschlagen.
Für die anderen Schweizer waren meine Siege fast wie die Todesstrafe. Da war ein Zürcher, der den Berglern um die Ohren fuhr. Das ging doch nicht, die sind ja nur dafür da, den Berglern das Geld in die Region zu bringen. Zwei, drei waren nett. Der Rest war für den Kübel. Entschuldigt hat sich nur René Berthod. Er meinte, er sei ein Sauhund gewesen.»
«1984 fuhren wir in Cortina. Vor der Weiterreise rief mich Karl Frehsner zu sich und sagte, ich müsse meine Milch bezahlen. Ich hatte gar nie Milch getrunken. Irgendeiner bestellte dauernd auf meine Rechnung. Ich wollte nicht zahlen und nannte Frehsner einen Schafseckel.
Er meinte, er würde mich nicht an die Olympischen Spielen in Sarajewo mitnehmen. Ich sagte: ‹Lass mich hier, wir schauen dann, wer eine Medaille gewinnt.› Letztlich zahlte ich, mit Frehsner sprach ich drei Wochen kein Wort. Und holte Silber.
Frehsner hat mich runtergedrückt, um die anderen hochzuheben. Er sagte: ‹Trainiert wie der Müller, dann siegt ihr auch.› Einige gewannen ein Rennen, die ohne mich nie etwas gewonnen hätten. Etwa Cathomen, Bürgler, Alpiger, Räber, Mahrer.»
«Man kann es auch machen wie Vreni Schneider: Sagen, dass die anderen alles besser können, aber selber jedes Rennen gewinnen. Understatement macht sympathisch. Ruderer Xeno Müller wurde verrissen, weil er sagte, er werde Olympia-Gold gewinnen. Ein Schnurri, ein dummer Siech sei er, hiess es. Er holte Gold, war eine Woche lang der Grösste – und musste in die USA auswandern.
Pirmin Zurbriggen bewunderte ich in gewisser Weise. Er konnte seine Madonna anbeten, den Grind zwischen den Beinen einklemmen und Vollgas geben. In Japan waren wir einmal gemeinsam im Hotelzimmer. Pirmin regte sich auf, wenn ich um 21 Uhr das Licht brennen liess, mich hat es tödlich genervt, wenn er am Morgen um 6 herumtigerte.
Gewann er, sprach ich nicht mit ihm. Gewann ich, sprach er nicht mit mir.»
«Im Konditionstraining machten die anderen ab, wer in welchem von zehn Bergläufen in Serie voll ging, nur damit ich keinen Lauf gewann. Ich wurde halt zehnmal Zweiter, arbeitete doppelt so viel wie die anderen, die sich Kaffee und Kuchen gönnten.
Die Trainingswissenschaft steckte in den Kinderschuhen. Als es mit dem Konditionstraining losging, fuhr ich mit dem Velo in zwei Stunden um den Zürichsee, Grind runter und durchknütteln. War ich zuhause, gab es zwei Einheiten am Tag. Das gab mir Sicherheit, vor allem psychisch.»
«Ich hatte mit Corinne Rey-Bellet eine Fahrerin mit riesigem Talent, aber sie hatte keine Lust aufs Konditionstraining. Es gab Unruhe, mit Jean-Daniel Mudry kam ein Militärkopf als Präsident. Er stellte den Fahrerinnen die Vertrauensfrage. Es hiess, alle seien gegen mich, ich müsse gehen.
Mudry merkte nicht, was für Spielchen gespielt worden waren. Eine Fahrerin hatte alle gegen mich aufgehetzt – das hat eine andere später zugegeben. Es gab Drohungen für den Fall, dass jemand nicht gegen mich aussagt.
Ich hätte das ganze sanfter angehen müssen, ja. Aber nach zwei Monaten Training in Magglingen waren die physischen Werte um 20 bis 40 Prozent besser als im Vorjahr. Es ist schade, kriegte ich keine Rückendeckung. Präsident Mudry hatte vom Skifahren keine Ahnung, das war eine Katastrophe.»
Einer wie keiner: Der ewige Aussenseiter Peter Müller ist der erfolgreichste Abfahrer des Landes - und die umstrittendste Person der Szene: «Für die anderen Schweizer waren meine Siege wie die Todesstrafe.» Ein starkes Stück! https://t.co/zlbrwV2IQS
— David Wiederkehr (@DavidWiederkehr) January 18, 2020
«In einer Karriere führen viele Wege zum Ziel. Aber wer nicht konsequent arbeitet und einen Flick weg hat, wird wohl nie ein Rennen gewinnen. Bei mir im Sportgeschäft arbeitet einer, der mit Feuz trainierte. Vor den Konditionseinheiten klinkte sich Feuz aus, ging in den Wald und schlief. Sein Glück war, dass seine Freundin ihm in den Hintern trat. Ohne sie hätte er kein Rennen gewonnen.
Es hat immer Genies gegeben. Aber er ist Gift für die Jungen. Es ist frustrierend, wenn einer doppelt so viel trainiert und dann eins mit dem Hammer draufkriegt. Vielleicht nehmen es darum einige zu locker in der Schweiz.»
«Es gibt noch geile Momente. Ich habe sehr intensiv gelebt und hoffe noch auf ein paar gute Jahre. Wenn ich zurückdenke, an die Zeiten als kleiner Knopf, als ich das Ziel hatte, Weltcuprennen zu fahren, muss ich sagen: Es ist doch recht gut herausgekommen.» (ram)
Wurde nicht enttäuscht. 😎