Der grundsätzliche Vorteil der Dreierkette ist die taktische Konzentration auf das Zentrum. Die Flügel werden von je einem Spieler bearbeitet, sodass sich acht Akteure auf die zentralen Räume fokussieren können. Eben diese Zone versucht Spanien mit dem typischen Ballbesitz-Fussball zu kontrollieren.
Daher haben sie mit Dreierkettensystemen schon vorher Probleme gehabt: Gegen Italien spielten sie in der EM-Vorrunde (gegen ein 3-5-2) und beim Confed-Cup (gegen ein 3-4-2-1) nur unentschieden. Im Testspiel gegen Chile (3-4-1-2) gab es ebenfalls nur ein Unentschieden.
Holland wählte eine Mischvariante aus 3-4-3, 3-4-1-2 und 3-5-2. Sneijder agierte gegen den Ball in einem engen Dreiersturm mit van Persie und Robben. Bei eigenem Ballbesitz spielte er hinter den Spitzen oder fiel noch tiefer zurück.
Besonders die defensive Ausrichtung passte gut gegen das spanische Spiel, was mit der gut gewählten Pressinghöhe zusammenhing. Der Dreiersturm attackierte nicht die spanischen Verteidiger, sondern formierte sich um Busquets und Co. im defensiven Mittelfeld. Das führte dazu, dass sich Alonso und Xavi immer wieder tief fallen lassen mussten, um Bälle zu fordern.
Die entstehenden Lücken im offensiven Mittelfeld füllten dann Iniesta und Silva von den Flügeln. Doch daraus ergaben sich keine Überzahlsituationen für Spanien, da die Elftal gut darauf vorbereitet war: Die Sechser de Jong und de Guzman rückten immer wieder sehr mutig und weit heraus, wenn sich spanische Mittelfeldspieler hinter dem Dreiersturm freiliefen.
Zuweilen ergaben sich dadurch sogar lose Fünferreihen in der ersten Pressinglinie. Die Räume zwischen dieser immensen Ballungszone und der Abwehr wurden dann situativ zugelaufen. Meist rückte der linke Halbverteidiger Martins Indi in diese Räume auf. Generell wurden die Abstände aber sehr gering gehalten, wodurch manchmal eine kuriose Art von 5-0-5-0-System entstand.
Diese Strategie war schon ziemlich riskant, vor allem wegen Spaniens Personalie im Angriff: Diego Costa bekam dadurch recht viel Raum und konnte Vlaar oder de Vrij ins Eins-gegen-eins zwingen, in dem er kaum zu stoppen ist – so entstand letztlich auch Spaniens Führung. Aber die Furia Roja wurde nicht konstant gefährlich und mit verhältnismässig wenig Laufaufwand wurde die spanische Ballzirkulation weit nach hinten gedrängt.
Auch die Holländer versuchten eine van-Gaal-typische Ballzirkulation durch das Mittelfeldzentrum aufzubauen, hatten es jedoch schwerer. Die Spanier rückten geschickt auf und kappten ballnah die Verbindungen zwischen den zentralen Aufbauspielern. Dafür musste jedoch Iniesta häufig mit ins Zentrum schieben, woraus ein entscheidendes Problem entstand.
Die einfache Flügelbesetzung der Dreierkettenformation fiel den Spaniern dadurch erneut auf die Füsse. Weil Robben und van Persie sehr aktiv in der letzten Linie pendelten, konnten auch Alba und Azpilicueta nicht herausrücken, um die vorstossenden Flügelläufer zu übernehmen.
Die acht zentralen Niederländer zogen die ganze spanische Formation ins Zentrum und öffneten damit Raum auf den Flügeln, den vor allem Daley Blind hervorragend nutzte. Er bereitete die wichtigen ersten beiden Tore mit direkten Halbfeldflanken vor und leitete den Freistoss zum 1:3 mit einem Pass entlang der Linie und gutem Gegenpressing ein.
Die Direktheit dieser Flanken war ein weiteres wichtiges Element des holländischen Spiels. Obwohl ihr Spiel generell eher durch ruhige Kombinationen geprägt ist, konnten sie vereinzelt den Rhythmus sehr plötzlich hochschrauben und über die individuellen Fähigkeiten von van Persie und Robben durchbrechen. Neben Blinds Flanken waren auch lange Bälle immer mal wieder gefährlich.
Ähnliche Überraschungsmomente erzielten sie gegen den Ball, wo sie in der entscheidenden Phase nach der Halbzeitpause immer wieder das Tempo verschärften. Besonders nach Ballverlusten setzten sie nun häufiger mit hoher Intensität nach und pressten dann kurzzeitig über das ganze Feld.
Am deutlichsten wurde dies natürlich beim 1:4-Treffer, als van Persies nachsetzendes Gegenpressing mit etwas Glück die fussballerischen Defizite von Casillas mehr als aufdeckte. Doch generell konnten sie dadurch im Laufe der zweiten Halbzeit immer wieder Phasen von Dominanz erzeugen und Spaniens Ballbesitz-Anteile schrumpften. Das verhinderte, dass die Spanier das anziehen konnten, wie sie es gerne nach einer ruhigen, kontrollierten ersten Hälfte tun.
Das glückliche 1:3 war ein weiterer Rhythmusbrecher: Spanien benötigte nun zwei Tore in einer halben Stunde und konnte sich daher nicht mehr auf die sauberen, aber Zeit raubenden Positionsangriffe verlassen, mit denen sie meist nur 1:0-Siege erzielen. Beim Übergang in ein direkteres Spiel fanden die spanischen Spieler nicht richtig zueinander. Vor allem der eingewechselte Torres versuchte zu viel und verlor Bälle zu leichtfertig.
Die Kurzpassstafetten wurden zu ungeduldig in die holländische Kompaktheit getragen, was schlecht abgesicherte Ballverluste zur Folge hatte und Konter der Elftal. Solch einer brachte dann auch das finale 1:5. Nach so einem Ergebnis hatte es in der ersten halben Stunde noch nicht ausgesehen, als die Spanier die Partie weitestgehend kontrolliert hatten.