Belinda Bencic war einmal die Zukunft des Frauentennis. Mit 16 ist sie die beste Juniorin der Welt, gewinnt die French Open und in Wimbledon. Mit 17 steht sie bei den US Open in den Viertelfinals. Mit 18 ist sie die Nummer 7 der Welt. Es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihr erstes Grand-Slam-Turnier gewinnen würde. «Alles ging sehr schnell in meiner Karriere und die Leute haben erwartet, dass es immer so weitergeht. Auch ich habe das gedacht», sagt Bencic.
Doch es kam anders. Hinter der nun 22-Jährigen liegen turbulente Jahre, in denen ihre Karriere an einem seidenen Faden hing. Ihr Körper rebellierte immer heftiger gegen die Belastungen: Einmal stoppte sie das Steissbein, dann das Handgelenk, schliesslich der Fuss. «Ich geriet in einen Teufelskreis. War eine Verletzung ausgeheilt, kam die nächste. Es war ein Albtraum. Ich dachte, das Universum hasst mich», sagte sie zur «Schweiz am Wochenende». Nach einer Operation fiel sie 2017 für fünf Monate aus und in der Weltrangliste bis auf Position 318 zurück. Ihr Stern, so schien es, war schon am Verglühen.
Belinda Bencic hatte nie eine Wahl, ihr Weg war vorgezeichnet. Zwar wehrt sich Vater Ivan Bencic gegen die Version, er habe Belindas Karriere als Tennisspielerin schon vor ihrer Geburt geplant. Doch er überliess auch nichts dem Zufall. Als ihm Martina Hingis’ Mutter Melanie Molitor beschieden hatte, die Tochter sei für ihr Alter schon sehr weit, wurde Bencic zum Projekt. Am 10. Mai 2004, als sie sieben Jahre alt war, gründete Marcel Niederer, einst ein Freund von Vater Ivan aus gemeinsamen Zeiten als Eishockey-Spieler, die Kollektivgesellschaft Bencic & Partner.
Rund eine Million Franken dürfte er in die Karriere investiert haben. Im Gegenzug amtete Niederer als Manager und liess sich eine Partizipation am allfälligen finanziellen Erfolg zusichern. Er ermöglichte Ivan Bencic, seine Arbeit aufzugeben. Er reiste mit der Tochter um die Welt. Sie hausten in billigen Hotels, schliefen im gleichen Zimmer, um das Budget zu schonen, und assen notfalls bei McDonald’s, «weil du dort wenigstens weisst, was drin ist und nichts befürchten musst.»
Der Plan der beiden Männer ging lange auf, doch die Unabwägbarkeiten eines Lebens lassen sich nicht in einem Businessplan abbilden. Vor zwei Jahren beschloss Bencic, sich vom Elternhaus abnabeln zu wollen. Sie reiste alleine zu den Turnieren, genoss das privilegierte Leben. Vielleicht liess sie sich eine Weile lang blenden von der verheissungsvoll glitzernden Fassade des Tennis-Eldorados, hinter der sich zermürbende Routine verbirgt: dieselben Flughäfen, dieselben Hotels, dieselben Termine mit Sponsoren und Medien, dazwischen Massagen und Physiotherapie. Es ist ein Leben voller Entbehrungen und Kompromisse. Eines, das jede Woche nur einen Sieger kennt – und viele namenlose Verlierer.
Die lange Pause nach der Operation gab Bencic die Möglichkeit, ihr Leben neu zu ordnen. Zum ersten Mal hatte sie eine echte Wahl. Und sie entschied sich zum ersten Mal bewusst für das Tennis. «Es wäre nichts für mich, eine Lehre zu machen und ein normales Leben zu führen.» Doch als sie zurückkehrte, wirkte sie oft verloren, wechselte mehrfach den Trainer. Halt fand sie erst im Schoss der Familie: Ende 2018, als ihr Vater Ivan als Trainer zurückkehrte. Ihre Beziehung sei immer gut gewesen», sagte er jüngst zur «SonntagsZeitung». Sie hätten sich beide weiterentwickelt, bestätigt Belinda.
Bencics Erfolge sind auch der Tatsache geschuldet, dass sie körperlich in Bestform ist. Seit Sommer 2018 gehört Ex-Fussballer Martin Hromkovic, 36, zu ihrer Entourage. Der Slowake ist inzwischen auch ihr Freund. Bencic mag ihre Unbekümmertheit verloren haben, dafür hat sie an Reife gewonnen. Die Perspektiven hätten sich verändert. «Ich war jung, unbeschwert, natürlich. Seither habe ich viel gelernt.» Heute sei es so: «Gewinnt man, ist es unglaublich; wenn nicht, ist es normal. Und irgendwann misst man sich nur noch an den guten Momenten.»
Nach Monaten am Abgrund steht sie wieder auf der Sonnenseite des Lebens. «Belinda gehört nicht in die Region um Position 50, das weiss sie selber auch», sagte Roger Federer in Australien. Wichtig sei nun ein stabiles Umfeld und dass sie ohne Verletzungen bleibe. Bencic ist immer noch erst 22 Jahre alt. Doch sie ist nicht mehr die Zukunft des Frauentennis. Sie ist die Gegenwart.