Sie atmete tief durch, und schluckte die Tränen der Freude herunter, als sie nach Worten rang – und behalf sich eines verlegenen Lachens. Was sollte Belinda Bencic, 22, auch sagen, so kurz nach ihrem Einzug in die Halbfinals der US Open, ihrem ersten bei einem Grand-Slam-Turnier nach dem 7:6, 6:3 gegen die Kroatin Donna Vekic (WTA 23).
Vor fünf Jahren hatte sie in New York 17-jährig mit ihrem Vorstoss in die Viertelfinals ein erstes Mal auf sich aufmerksam gemacht und nicht wenige gingen danach davon aus, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Bencic ihren ersten Grand-Slam-Titel feiert.
Kurz vor ihrem 18. Geburtstag kletterte sie auf Rang 7 der Weltrangliste. Belinda Bencic, mit Wurzeln in der Slowakei, aufgewachsen im beschaulichen Uzwil in der Ostschweiz, war die Zukunft des Frauen-Tennis. Das war der Plan. So sah es das Drehbuch vor, das schon geschrieben worden war, als sie noch ein Kind war. Doch das Leben hält sich selten an Drehbücher.
Hinter der 22-Jährigen liegen turbulente Jahre, in denen ihre Karriere an einem seidenen Faden hing. Ihr Körper rebellierte: Einmal stoppe sie das Steissbein, dann das Handgelenk, schliesslich der Fuss. Sie geriet in einen Teufelskreis. War eine Verletzung ausgeheilt, kam die nächste. «Es war ein Albtraum. Ich dachte, das Universum hasst mich», sagte sie einmal zur «Schweiz am Wochenende».
Nach einer Operation fiel sie 2017 für fünf Monate aus und in der Weltrangliste bis auf Position 318 zurück. Ihr Stern, so schien es, war bereits verglüht. In jenem Jahr, als sie die Welt zu erobern schien. 2014, als Teenager-Sensation bei den US Open. Abgeworfen von einem Karussell, das ständig neue Gesichter und Heldengeschichten im Schaufenster der Öffentlichkeit präsentiert. Und sich nicht darum schert, was mit jenen passiert, die im Dreck landen.
Heute steht Belinda Bencic an einem anderen Punkt in der Karriere. Obwohl immer noch jung, hat sie bereits viele Rückschläge erlitten. Sie kämpfte mit den Erwartungen – den eigenen, aber auch mit denen, die ihr Umfeld in sie setzte. In der Zeit, in der Bencic ohne Vater Ivan unterwegs war, wirkte sie zuweilen verloren. Sie wechselte Trainer aus, von denen sie Wochen zuvor noch in den höchsten Tönen geschwärmt hatte, machte am einen Tag Pläne und warf sie am nächsten über Bord.
Die Selbstfindung endete erst, als Bencic im Herbst 2018 entschied, wieder mit ihrem Vater zu arbeiten. Ihre Beziehung hat sich verändert, sie lassen sich die nötigen Freiräume. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass Bencic mit ihrem slowakischen Fitnesstrainer und Freund Martin Hromkovic ihr eigenes Leben aufgebaut hat.
Es ist eines zwischen Wollerau und Slowakei, zwischen Monte Carlo und New York. «Ein Nomadenleben», wie sie sagt. Aber eines, das sie bewusst gewählt hat. Die harten Zeiten haben ihre Perspektive verändert. Sie schätze es mehr als damals. «Auf den grossen Plätzen zu spielen, war schon als Kind mein Traum», sagt Bencic, die stets mit Martina Hingis verglichen worden war, die 2001 als letzte Schweizerin die Halbfinals der US Open erreicht hatte.
Für Bencic ein Meilenstein, aber nicht Schlusspunkt. «Ich fühle mich bereit für einen Grand-Slam-Sieg», sagte sie im Juli. Ihre Gegnerin in den Halbfinals ist die Kanadierin Bianca Andreescu (WTA 15). Bencic ist auch gegen sie die Favoritin.
The last women's SF is set...
— US Open Tennis (@usopen) September 5, 2019
Belinda Bencic vs. Bianca Andreescu. Who's advancing to the final?#USOpen pic.twitter.com/qkYVw0fDEC
Gegen Vekic erbrachte die 22-Jährige nun den Nachweis, dass sie sich inzwischen auch in diese Rolle hineingeben kann. Auch das ist so ein Resultat ihres Reifeprozesses. Fünf Jahre nach ihrer ersten New Yorker Sternstunde ist Belinda Bencic nicht mehr die Zukunft des Frauen-Tennis. Sondern das Gesicht der Gegenwart.