Es ist das ewige Duell dieser Ära. Auf der einen Seite Roger Federer, der Rasenkönig mit fünf Wimbledon-Titeln in Serie in der Tasche. Der feingliedrige Künstler mit der virtuosen Technik. Auf der anderen Seite Rafael Nadal, der Sandkönig mit vier French-Open-Titeln in Serie in der Tasche. Der muskelbebackte Kämpfer mit dem unbändigen Willen.
Vor ihrem 18. Duell sind die Rollen klar verteilt. Federer liegt gegen seinen Erzrivalen im Head-to-Head zwar 6:11 zurück und hatte im French-Open-Final mit 1:6, 3:6, 0:6 gerade seine bitterste Niederlage gegen Nadal kassiert, aber auf Rasen – da sind sich alle sicher – ist Federer wieder der grosse Favorit.
Zweimal hatte der «Maestro» gegen Nadal in Wimbledon im Final bereits gewonnen: 2006 in vier, ein Jahr später in fünf Sätzen. Der «Stier aus Manacor» rüttelte auf dem stets langsamer gewordenen «Heiligen Rasen» zwar immer etwas mehr an Federers Thron, doch stürzen konnte er den Rasenkönig nicht.
Federer stürmt in seinem «Wohnzimmer» ohne Satzverlust in den Final und gewinnt gegen Dominik Hrbaty, Robin Söderling, Marc Gicquel, Lleyton Hewitt, Mario Ancic und Marat Safin seine Rasen-Matches Nummer 60 bis 65 in Serie. Doch auch Nadal ist in Topform, nur in der 2. Runde gegen Ernests Gulbis gibt er einen Satz ab.
Der ganze Druck liegt vor dem Final jedoch bei Federer. Ein Sieg fehlt ihm zum sechsten Wimbledon-Sieg in Folge. Das ist vor ihm noch keinem gelungen. Björn Borg gewann von 1976 bis 1981 ebenfalls fünfmal in Serie. Nun ist der Schwede extra an die «Church Road» gereist, um zu sehen, wie Federer den gemeinsamen Rekord übertrifft.
Vor dem Match liegt die Spannung förmlich in der Luft. Wegen eines kleinen Regengusses betreten Federer und Nadal erst kurz vor 14.30 Uhr den prestigeträchtigen Centre Court von Wimbledon, wenig später beginnt dieses epische, wohl beste Tennis-Match aller Zeiten.
Nadal erwischt den besseren Start, schafft im ersten Satz ein frühes Break und gewinnt den Durchgang mit 6:4, weil Federer seine Chancen immer wieder liegen lässt. Im zweiten Satz kann der Favorit vorlegen: Federer zieht auf 4:1 davon, doch dann reisst der Faden. Nadal holt fünf Games in Folge und gewinnt auch den zweiten Durchgang mit 6:4.
Im dritten Satz stürzt Nadal früh und muss sich behandeln lassen, aber die Federer-Fans hoffen vergebens auf einen Einbruch des Mallorquiners. Doch plötzlich ziehen dunkle Wolken über dem Himmel auf, beim Stand von 5:4 für Federer muss das Match schliesslich unterbrochen werden. Ein Segen für den Schweizer, wie sich später erweisen sollte.
Ehefrau Mirka hält ihrem Roger in den Katakomben des Centre Courts eine Standpauke, die den «Maestro» aufweckt. Nach Wiederaufnahme der Partie wirkt Federer deutlich fokussierter und holt sich den dritten Durchgang im Tiebreak.
Auch den vierten Satz muss das Tiebreak entscheiden. Nadal führt schnell 5:2 und vergibt wenig später zwei Matchbälle (einen bei eigenem Aufschlag), ehe Künstler Federer für einmal Tennis «arbeiten» muss und seine Kämpferqualitäten zeigt, zurückschlägt und das Tiebreak noch mit 10:8 für sich entscheidet. Der Satzausgleich, der sechste Wimbledon-Titel in Folge ist immer noch möglich, was für eine Spannung!
Das Momentum scheint jetzt auf Federers Seite zu liegen, doch Nadal trauert den verlorenen Chancen nicht nach und spielt weiter, als wäre nichts gewesen. Um 19.53 Uhr Lokalzeit – beim Stand von 2:2 im 5. Satz – setzt nochmals Regen ein, das Ende am selben Abend scheint kaum noch möglich. Onkel Toni macht sich auf den Weg in die Garderobe, er will seinen Schützling aufbauen.
Doch Rafa braucht keine Motivationsrede, er hält sie nämlich gleich selbst. Wohlwissend, dass Federer im gleichen Raum nur wenige Meter neben ihm sitzt. «Ich sagte zu Toni: ‹Ich werde dieses Spiel nicht verlieren. Es kann sein, dass Roger gewinnt. Aber es wird nicht sein, weil ich es verliere.›»
Um 20.23 Uhr geht es schliesslich weiter, nach menschlichem Ermessen bleibt noch etwa eine halbe Stunde Tageslicht. Ein Dach oder einen Scheinwerfer gibt es auf dem Centre Court von Wimbledon noch nicht.
Es ist dann aber 21.10 Uhr, als Nadal das erste Break zum 8:7 im fünften Satz gelingt. Die Leute vor dem Fernseher können nicht ahnen, wie dunkel es in London schon ist, erst Bilder von der Siegerehrung mit dem Blitzlicht der Fotografen machen klar, dass kaum eine Minute länger hätte gespielt werden können. Bei 8:8 wäre die Fortsetzung auf Montag verschoben worden. Es wäre irgendwie ein unbefriedigendes Ende gewesen – ausser vielleicht für Federer.
Doch wenig später schlägt der Schweizer bei Nadals viertem Matchball einen einfachen Angriffsball ins Netz und das Drama nimmt ein plötzliches Ende. Der Spanier liegt rücklings auf dem Boden, streckt alle Viere von sich. Dann läuft er zum Netz und versucht, den entthronten Champion zu trösten. «Ich denke sonst nie, ich gewinne, aber bei diesem Matchball habe ich gedacht: Das ist es, ich gewinne Wimbledon», erzählt Nadal später. Bei fast totaler Dunkelheit wird ihm schliesslich der Pokal mit der goldenen Ananas überreicht.
«Das ist wahrscheinlich meine härteste Niederlage», sagt der damals 26-jährige Schweizer nach der Partie – und sieht das auch später noch so.
Aber Federer weiss längst auch den Wert dieser Niederlage einzuschätzen. «Ich brauchte ein paar Wochen, um zu realisieren, dass es ein grossartiges Spiel war. Und die Niederlage machte mich vielleicht irgendwie menschlicher. Ich glaube, wir werden in vielen Jahren noch im Schaukelstuhl davon erzählen.» Tatsächlich bekamen die Tennisfans Qualitäten des «Mr. Perfect» zu sehen, die er in den Jahren zuvor kaum je gebraucht hatte: Kampfgeist, Entschlossenheit und den Willen, nie aufzugeben.
Selbst John McEnroe, sonst nie um einen Spruch verlegen, fehlten nach dem Matchball für einmal die Worte. «Dieses Spiel spricht für sich selbst, da muss man nichts mehr sagen», meinte der dreifache Wimbledonsieger als Kommentator des amerikanischen TV-Senders ESPN.
Die Partie hatte alles, was ein Klassiker braucht. Drama mit zwei Regenunterbrechungen, fantastisches Tennis, ein Favorit, der sich nach klarem Rückstand zurückkämpft und schliesslich der Underdog, der bei einbrechender Dunkelheit endlich den Titel holt, von dem er schon als Kind geträumt hatte. Kein Wunder spricht man noch heute vom besten Tennis-Match aller Zeiten.
Federer wird Wimbledon noch weitere drei Male gewinnen und auch Nadal triumphiert zwei Jahre später noch einmal an der Church Road. 23 weitere Male haben sich die beiden Erzrivalen seit ihrem denkwürdigen Wimbledon-Final duelliert, zu einer Neuauflage auf Rasen kommt es 2019 im Halbfinal in Wimbledon. Dieses Mal hat wieder Federer die Oberhand. Zur grossen Revanche ist es aber bereits 2017 beim Australian Open gekommen, als Federer Nadal im 13. Versuch endlich zum dritten Mal in einem Grand-Slam-Final bezwingen konnte.