Es gibt einige Geschichten über die Alkohol-Exzesse während des Spengler Cups. Einige mögen ins Reich der Legende gehören. Aber nicht alle. 1996 hätte eine der feuchtfröhlichen Überzeiten in den einschlägigen Bars beinahe tödlich geendet.
Die Begebenheit ist amtlich dokumentiert und wird in der offiziellen Spengler-Cup-Chronik («Zauberformel») von Werner Schweizer erwähnt und in allen Einzelheiten ausgebreitet.
Juha Lind ist eines der zahlreichen Talente, die das finnische Eishockey in den 1990er-Jahren produziert. Die Saison 1996/97 wird vorerst seine letzte in Finnland sein. Er wird temporär Karriere in der NHL machen (in drei Jahren 148 Spiele/66 Punkte). Der hochbegabte Mittelstürmer macht in der letzten Partie des Spengler Cups 1996 mit Jokerit Helsinki gegen die Rochester Americans (AHL) Werbung in eigener Sache: Er erzielt beim 2:2 den ersten Treffer und assistiert den zweiten.
Danach hat er die Spengler-Cup-Pflicht erfüllt. Er stürzt sich ins Nachtleben. Das Bett im finnischen Mannschaftshotel sieht er nicht.
Am nächsten Morgen begibt er sich direkt von der Express Bar, wo sich die Nachtschwärmer traditionell zum Frühschoppen treffen, in ein nahes Sportgeschäft und mietet eine komplette Skiausrüstung. Er will die Skikünste, die er in der Nacht zuvor zum Gaudi seiner Teamkollegen in der Piano Bar des Hotels Europe als Trockenübung vorgeführt hat, am Berg im Schnee testen. Warum das Personal im Sportgeschäft dem offensichtlich betrunkenen Juha Lind eine Skiausrüstung vermietet, ist heute noch ein Rätsel.
Mit der Gondelbahn fährt der Finne zur Mittelstation des Jakobshorns, von dort mit dem Schlepplift weiter auf den Brämabüel. Das Warnschild vor dem steilen Schlusshang («Hier aussteigen, letztes Stück nur für geübte Skifahrer») ignoriert er. Möglicherweise hat er es nicht gesehen. Oder nicht verstanden. Und wenn er es doch gesehen oder verstanden haben sollte, beeindruckt es ihn in seinem Zustand nicht.
Als sich Stunden später das Team von Jokerit Helsinki im Mannschaftshotel versammelt, um mit dem Bus zum Flughafen nach Kloten zu fahren, fehlt Juha Lind. Die Suche nach dem Stürmer beginnt. Ein paar seiner Trinkkumpanen vom Vorabend erinnern sich an seine Pläne, den letzten Tag in Davos zum Skifahren zu nutzen. Der entscheidende Hinweis, der Lind wahrscheinlich das Leben rettet, kommt von einem Skifahrer, dessen Lebenspartnerin ein paar Jahre zuvor mit einem Deltasegler praktisch an derselben Stelle tödlich verunfallt war, an der man den Finnen schliesslich finden wird. Der Mann will am letzten Tag des Jahres die Unfallstelle besuchen.
Der alarmierte Pistendienst rückt aus. Die Spuren, die Juha Lind im Schnee hinterlassen hat, sind zum Teil bereits zugeweht. Nach einigen hundert Metern sehen die Retter eine erste zertretene Stelle und finden dort einen Skistock und eine leere Wodkaflasche. Ein paar hundert Meter weiter unten, wo der junge Hockeystar augenscheinlich erneut stürzte, entdecken sie den zweiten Skistock und eine abgebrochene Skispitze. Von da aus gibt es eine Spur im Schnee, die von einem Menschen stammen muss, der auf allen Vieren den Hang hinuntergerutscht ist.
Wenig später wird Juha Lind gefunden. Er steckt kopfüber in einem Schneebrett und kann sich in seinem Rausch nicht mehr aus eigener Kraft befreien. Er trägt keine Handschuhe mehr, weint hysterisch und ist nicht mehr ansprechbar. Er wird mit dem Rettungshubschrauber ins Spital von Davos geflogen, wo die Ärzte schwere Erfrierungen diagnostizieren. Aber sein Leben ist gerettet.
Nun beginnt der Kampf um seinen Ruf und gegen den Skandal. Harry Harkimo, der Besitzer von Jokerit Helsinki, steht bereits Minuten, nachdem sein Star im Spital eingeliefert worden ist, im Zimmer des behandelnden Arztes und drängt darauf, den halb erfrorenen Spieler mit zum Flughafen und zurück nach Helsinki zu nehmen. Er befürchtet zu Recht einen landesweiten Skandal. Juha Linds Vater Arvi ist Starmoderator der Abendnachrichten beim damals grössten finnischen TV-Sender YLE und eine nationale Berühmtheit.
Der Arzt weigert sich zuerst, Juha Lind in die Obhut von Harry Harkimo zu geben. Erst als Jokerits Teamarzt unterschreibt, die volle Verantwortung zu übernehmen, geben sie den schlotternden und immer noch betrunkenen Patienten frei.
Juha Lind wird im Frühjahr 1997 zum dritten Mal nach 1994 und 1996 finnischer Meister. Niemand in Finnland erfährt von der Geschichte. Es ist Harry Harkimo gelungen, die Sache geheim zu halten.
Oder doch nicht? Juha Lind wird ein paar Wochen später während der Heim-WM 1997 in Helsinki unverhofft noch einmal von der Geschichte eingeholt. Ein vorwitziger Schweizer Chronist, dessen Name dem Autor nach all den Jahren entfallen ist, ruft ihm während des Trainings zu: «Sind Sie nicht der berühmte finnische Skifahrer?»
Juha Lind beendet seine Karriere 2010 bei Jokerit Helsinki. 2013 wird er in die Ruhmeshalle des finnischen Eishockeys aufgenommen.
... Erst ein verlorener Stock, dann die leere Vodka Flasche, dann die abgebrochene Ski Spitze.... ,Spuren auf allen Vieren..
Dieses Fahrt hätte ich sehen wollen 🤭