Der Champ trägt einen Ledermantel und ausgelatschte Militärstiefel, als er im Hotel Atlantis Sheraton die Treppe hinuterkommt. Im Foyer wartet der Fotograf Eric Bachmann, unterwegs im Auftrag der Ringier-Zeitschrift «Sie+Er». Er will Muhammad Ali bei seinem morgendlichen Trainingslauf begleiten. Das berüchtigte Grossmaul erweist sich als unkompliziert. «Ali war freundlich, keine Spur überheblich», erinnert sich Bachmann.
Ali rennt los über die verschneiten Hänge des Üetlibergs, mit Bachmann im Schlepptau. Dieser hält mit der Kamera drauf und macht über Tage hinweg unzählige Fotos. Während Jahrzehnten verstauben sie in seinem Archiv. Mittlerweile kann man sie bestaunen, im Bildband Muhammad Ali, Zürich, 26.12.1971. An jenem Stefanstag kämpft der Superstar aus den USA im Hallenstadion gegen den Hamburger Jürgen Blin.
Wie ist es zum einzigen Auftritt der Boxlegende in der Schweiz gekommen? Die Story liest sich wie ein Krimi. Ausgangspunkt ist eine Wette in der Playboy-Bar an der Badenerstrasse. Der Promoter Hansruedi Jaggi wettet mit dem «Blick»-Klatschreporter Jack Stark um eine Flasche Ballantine's, dass er Cassius Clay – so der Geburtsname des zum Islam konvertierten Boxers – nach Zürich bringen könne.
Jaggi, 30 Jahre alt und knapp 1,60 Meter gross, ist eine schillernde Figur. Er stammt aus einfachsten Verhältnissen und hat sich mit der Organisation zweier legendärer Konzerte einen Namen gemacht: 1967 holt er die Rolling Stones ins Hallenstadion – das Publikum randaliert und schlägt alles kurz und klein. Ein Jahr später lässt er Jimi Hendrix am gleichen Ort auftreten – es folgen die Globus-Krawalle, die Zürcher Variante der 68er-Revolte.
Die Verpflichtung Alis ist eine schwierige Angelegenheit. Erst durch Vermittlung von Jaggis Freund Rock Brynner, Sohn des glatzköpfigen Hollywoodstars Yul Brynner mit Schweizer Vorfahren und Bürgerrecht von Möriken-Wildegg (AG), klappt es. Ali befindet sich damals an einem schwierigen Punkt seiner Karriere. Er hat eine mehrjährige Sperre wegen Militärdienstverweigerung hinter sich und im März den «Kampf des Jahrhunderts» gegen Weltmeister Joe Frazier verloren.
Am 15. Dezember 1971 landen der Champ und seine Familie samt rund 50-köpfigem Anhang in Kloten. Er wohnt wie erwähnt im Atlantis Sheraton und trainiert im Hotel Limmathaus, wo ihm im Theatersaal ein Boxring eingerichtet wird. Nach dem Lauf am Üetliberg entscheidet er spontan, Ersatz für seine kaputten Stiefel zu kaufen – er hatte sich im Schnee nasse Füsse geholt.
Im kleinen Datsun von Fotograf Eric Bachmann fahren der Boxer und sein Coach Angelo Dundee an die Langstrasse zum Schuhgeschäft Schönbächler. In Alis Grösse 47 gibt es nur ein Paar beige Wanderschuhe der Marke Raichle. Er kauft sie, ebenso eine Fellmütze, oder vielmehr nimmt er sie mit. Der grosse Muhammad Ali hat kein Geld dabei. Der Ringier-Verlag, der Bachmanns Bilder exklusiv druckt, bezahlt später die Rechnung.
Geld ist ohnehin ein grosses Thema. Anfangs ist Hansruedi Jaggi für seine Idee belächelt worden. Als es plötzlich klappt, machen alle die hohle Hand. Mit den Einnahmen aber hapert es. Jaggi will Muhammad Ali als Werbeträger vermarkten, doch viel mehr als zwei Autogrammstunden in Basel und im neu eröffneten Shoppingcenter Spreitenbach schauen nicht heraus.
Mit den Fernsehrechten läuft es nicht besser. Alis blonder Gegner Jürgen Blin ist in den USA ein Nobody. Kein amerikanischer Sender will deshalb den Kampf übertragen. Die Deutschen wollen ihrem Publikum am zweiten Weihnachtsfeiertag kein Boxspektakel zumuten. Das Schweizer Fernsehen redet sich damit heraus, wegen dem Spengler-Cup in Davos keine freien Kapazitäten zu haben. Am Ende überträgt nur der britische Privatsender ITV den Kampf live, für 11'000 Pfund.
Der Kartenverkauf ist ebenfalls ein Flop. Zwar sitzen am 26. Dezember, einem Sonntagabend, Sportpromis wie Bernhard Russi, Clay Regazzoni, Ferdi Kübler und Schwingerkönig Ruedi Hunsperger am Ring. TV-Liebling Mäni Weber führt durch das Programm. Doch nur 6361 Tickets werden abgesetzt, das Hallenstadion ist knapp halbvoll.
Der Kampf selbst verläuft wie erwartet einseitig. Jürgen Blin versucht seine Unterlegenheit mit ungestümem Angriff zu kompensieren. Ali lässt die Schläge an sich abprallen. Als Blin in der siebten Runde ausgepowert ist, schickt der Champ ihn auf die Bretter.
Muhammad Ali zieht nach seinem Zürcher Gastspiel, das für ihn nur eine Fussnote ist, weiter zu neuen Erfolgen. Er wird noch zweimal Weltmeister. Für Hansruedi Jaggi dagegen endet seine «Schnapsidee» mit einem finanziellen Desaster. Der Verlust ist mit mehr als 800'000 Franken weit höher als befürchtet. Trotzdem kommt Jaggi mit einem blauen Auge davon: Der deutsche Industrielle und Boxfan Bernd Grohe deckt das Defizit stillschweigend.
Dies alles und weitere Episoden dieser abenteuerlichen Geschichte kann man in der Biographie von Hansruedi Jaggi nachlesen, der im Jahr 2000 mit erst 59 Jahren an einer unheilbaren Muskellähmung starb. Oder vielmehr könnte man, denn das vom Journalisten Eugen Sorg geschriebene Buch ist bis heute nicht erschienen, weil Jaggis Witwe Einspruch erhoben hat.
Ähnlich verworren ist die Lage beim 45-minütigen Dokumentarfilm «The Baddest Daddy in the Whole World», den der Filmemacher Ernst Bertschi während Alis Zürich-Aufenthalt gedreht hat. Das grandiose Zeitdokument wurde an der Vernissage von Eric Bachmanns Buch einem kleinen Kreis geladener Gäste gezeigt. Öffentliche Aufführungen aber sind unmöglich, denn niemand weiss, wem die Rechte an dem Film gehören.
TanookiStormtrooper
Angelo C.
Tage zuvor war ich zweimal im öffentlich zugänglichen Sparring-Training im Hotel Limmathaus anwesend, wo es doch bemerkenswert viele Zaungäste gab. Jürgen Blin sah ich dabei einmal, wie er von der sonst leeren Estrade aus Ali diskret und halb verdeckt beim Training aufmerksam zusah. Dass er nicht den Hauch einer Chance gegen Ali haben würde, war damals klares Insider-Credo.
Hansruedi Jaggi habe ich übrigens persönlich gekannt - ein unternehmerischer Freak mit unbestrittenen Talenten.
AskLee
Bei Ali hatte man das Gefühl ganz nah dran zu sein; wenn er litt oder sich freute. Mit seinen Fähigkeiten ist er Boxweltmeister geworden, seine Menschlichkeit hat ihn zur Legende werden lassen. Es tut weh über seinen Tot zu lesen. Ruhe in Frieden :'(