Es ist ein bisschen wie bei «Groundhog Day», diesem Klassiker mit Bill Murray, der als Wettermann den gleichen Tag in einer Endlosschlaufe immer und immer wieder erlebt. So muss sich jedenfalls für den Rest der National Football League (NFL) anfühlen, dass sich über Tom Brady schon wieder ein Konfettiregen ergossen hat, in der Nacht auf Montag, in Tampa, Florida. Brady feierte seinen siebten Titel - und vielleicht war es der bedeutsamste.
2020 hatte sich Brady nach 20 Jahren von den New England Patriots verabschiedet. Mit 43, als ältester Spieler der Liga. Inmitten einer Pandemie, die stark einschränkte, wie oft man als Team trainieren konnte. Es war egal: Am Ende waren Brady und die Buccaneers nicht zu stoppen, in der Nacht auf Montag demontierten sie im 55. Superbowl den Titelhalter Kansas City Chiefs, 31:9. Es war ein Auftritt wie eine Demonstration.
Brady, das ist der grosse Unterschied zu den letzten Jahren seines Wirkens bei den Patriots, brauchte nicht einmal überragend zu spielen – er warf für nur 201 Yards Raumgewinn. Aber das genügte, weil die Defensive der Buccaneers den Chiefs, der kreativsten und explosivsten Offensivabteilung der Liga um den Quarterback Patrick Mahomes, so überlegen war, dass sie nicht einen einzigen Touchdown zuliess. Brady dagegen warf deren drei; zwei davon fing Rob Gronkowski, sein alter Freund aus gemeinsamen Patriots-Tagen, den er im letzten Frühjahr zum Rücktritt vom Rücktritt überredet hatte.
Gronkowski ist einer der faszinierendsten NFL-Profis, er weigert sich auch mit 31 standhaft, erwachsen zu werden. Vor einigen Jahren organisierte er für seine Fans eine Kreuzfahrt auf die Bahamas, bei der so exzessiv gefeiert wurde, dass es keine zweite Auflage gab. Nach seinem Rücktritt 2019 hatte er sich die Zeit mit Profi-Wrestling und einem Auftritt bei der amerikanischen Version von «The Masked Singer» vertrieben. Nach einem Jahr im Ruhestand entschied er den Superbowl.
Brady erreicht mit seinem Triumph noch einmal neue Sphären – um seine einzigartige Karriere angemessen zu würdigen, bedarf es Superlativen, die erst noch erfunden werden müssen. Sie lässt sich womöglich am meisten mit diesem Fakt einordnen: Der erste Superbowl wurde 1967 ausgetragen, kein Team hat die Trophäe mehr als sechs Mal gewonnen. Brady steht bei deren sieben. Er hat punkto Titel im Quervergleich nun auch die Basketballikone Michael Jordan überflügelt.
Es ist Bradys Lohn für seinen enormen Ehrgeiz, für seine Disziplin, seinen unstillbaren Erfolgshunger, seine Entbehrungen. Er hält sich an eine rigide Diät, geht selten nach 20.30 Uhr zu Bett und scheint auch sonst kaum den Versuchungen des Lebens zu erliegen. Eine Ausnahme macht Brady dann, das verbürgen Teamkollegen, wenn es darum geht, wer am schnellsten ein Bier herunterstürzen kann. Er hasst Niederlagen so sehr, dass er selbst darin der Beste sein muss. Aus seiner Zeit bei den Patriots heisst es zudem, es sei vorgekommen, dass er im Zorn seinen Schläger zertrümmert habe, wenn er in der Kabine eine Tischtennispartie verlor.
Brady ist ein Nimmersatt, er ernährt sich von Erfolgen – und kriegt nie genug. Es wäre für ihn jetzt ein Leichtes, nun in den Sonnenuntergang zu reiten, in Florida sind diese ja besonders schön. Einen kitschigeren, würdevolleren Karriereschlusspunkt als den Gewinn des Superbowls gibt es nicht. Doch noch während auf dem Siegerpodium die Konfettifetzen auf ihn niederregneten, kündigte Brady an, weiterzuspielen. «Groundhog Day» ist für die bemitleidenswerte Konkurrenz in der NFL noch nicht zu Ende.