Schauen Sie sich zunächst ganz unbefangen dieses kurze Video an. Es zeigt einen Sturz des kanadischen Radprofis Ryder Hesjedal:
Ist Ihnen etwas aufgefallen? Nein? Dann schauen Sie sich den Ausschnitt aus der 7. Etappe der Vuelta noch einmal an. Hesjedals Velo liegt am Boden und ist scheinbar zum Stillstand gekommen. Aber plötzlich gibt das Hinterrad Schub, das Velo «wandert», dreht sich um den Lenker.
«Klar», schiesst es wohl den meisten Betrachtern durch den Kopf, «er war ja auch schnell in dieser Abfahrt und das Rad drehte sich im Leerlauf noch weiter. Deshalb wohl diese Bewegung.» Diejenigen, die im Physik-Unterricht gut aufgepasst haben, erinnern sich noch an die Lehre der Trägheit.
«Unglaublich!», entfährt es hingegen anderen Fans, die die Szene sehen und sofort hauen sie in Internetforen in die Tasten: «Da muss ein Motor im Spiel sein! Anders lässt sich das nicht erklären.» Spanische Medien greifen das Thema auf, die Debatte ist wieder einmal lanciert. Denn schliesslich gibt es bereits E-Rennvelos im Handel, denen man nicht ansieht, dass sie über einen zusätzlichen Antrieb verfügen:
Mit dem Slogan «Von Profis getestet» wirbt der Hersteller für sein Produkt. Da kann es ja gut sein, dass zu diesen Profis auch Ryder Hesjedal gehört, so die Überlegung der Verschwörungstheoretiker. Vielleicht hat der 33-Jährige aus Victoria auf Vancouver Island ja deshalb den Giro d'Italia 2012 gewonnen.
Der Haken an dieser Theorie: Bei Hesjedals Velo ist nirgends ein Akku sichtbar, der die nötige Energie liefert. Das Gegenargument der Ungläubigen: Die Technik macht Fortschritte, auch ein Akku wird immer kleiner und kann ebenfalls im Innern des Velos versorgt werden.
Hinzu kommt: Veloprofis glaubt sowieso fast keiner mehr. Zuviel wurde schon gedopt, getrickst, gelogen. Wer mit allerhand Chemie experimentiert, wer Medizinstudenten die Bluttransfusion erklären kann und beim Apotheker um die Ecke der beste Kunde ist, der schreckt bestimmt auch nicht davor zurück, sein Velo zu dopen.
Die Diskussionen über Motoren im Velo tauchen seit einigen Jahren immer wieder auf, erstmals als Fabian Cancellara im Frühling 2010 die Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix dominierte. Der Berner habe bei seinen Siegen Kraft sparen können, weil er einen Motor im Velo gehabt habe, hiess es kurze Zeit später. «Ich habe einen Motor und der ist in meinem Körper», antwortete Cancellara.
Dass das Thema durchaus ernst genommen wird, zeigt eine Episode von der Radquer-WM im Februar 2014. Der Weltverband UCI liess die Velos bei der technischen Kontrolle explizit auch daraufhin untersuchen, ob sie über einen zusätzlichen Motor verfügen. Der lebenslänglich gesperrte Dopingsünder Danilo Di Luca hatte zuvor in einem Interview behauptet, es gäbe «ein sehr kleines Gerät, das im Rahmen versteckt wird und 150 Watt leistet.» Er wisse, sagte Di Luca, dass es im Profifeld Fahrer gäbe, die diesen Motor einsetzen.
Nachgewiesen wurde das Velo-Doping bislang noch niemandem. Die wiederkehrenden Verschwörungstheorien sagen deshalb vor allem eines aus: wie absolut gering das Vertrauen in Veloprofis ist.