«Das war eine Dummheit», sagt Tony Rominger und lacht, wenn er von seiner ersten Annäherung an den Stundenweltrekord erzählt. Er sei mit einem gewöhnlichen Strassenrennvelo auf die Bahn gegangen und habe schon in der ersten Kurve mit dem Pedal den Untergrund berührt – ein Sturz war die Folge.
Als diese Anfangsschwierigkeit aus dem Weg geräumt war, war der Weg frei für den begnadeten Zeitfahrer. Zweimal verbesserte Rominger im Oktober und November 1994 auf der Bahn von Bordeaux den Stundenweltrekord.
«Es ist der einzig wirklich messbare Rekord», weist der 52-Jährige im Gespräch mit watson auf die Bedeutung des Stundenweltrekords hin. Deshalb sei Jens Voigts Versuch auch ein aussergewöhnliches Ereignis. Weil Einflüsse wie Wind, Hitze, Regen oder Strassenbelag wegfallen, werde die Leistung vergleichbar. «Die einzige Schwierigkeit für einen Strassenprofi ist es, eine Stunde lang auf der Ideallinie zu fahren. Aber man leidet nicht mehr oder weniger als bei einem 50 Kilometer langen Zeitfahren an der Tour de France.»
Der Stundenweltrekord sei mental abwechslungsreicher, schildert Rominger, da man Runde für Runde seine Zeit sehe und sich ausrechnen könne, wo man steht. «Natürlich ist der Versuch nicht mehr ganz so lustig, wenn man Rückstand auf die Marschtabelle hat», gibt der Zuger zu.
Dass Jens Voigt in Grenchen einen neuen Weltrekord aufstellt, ist für Tony Rominger ausgemacht. «Wieso macht er das denn überhaupt?», fragt er, und gibt die Antwort gleich selber: «Weil er weiss, dass der Rekord nie mehr so einfach zu holen sein wird.» Der Weltverband UCI hat das Reglement angepasst, weshalb die Aussichten Voigts, die 49,7 Kilometer des Tschechen Ondrej Sosenka aus dem Jahr 2005 zu übertreffen, in der Tat gross sind.
«Es ist eine clevere Aktion von ihm», lobt Rominger seinen möglichen Nachfolger, der 43 Jahre alt ist und nach dem Rekordversuch wohl endgültig zurücktreten wird. «Mindestens 51 Kilometer wird er schaffen», mutmasst der dreifache Sieger der Spanien-Rundfahrt.
Rominger kam bei seinem zweiten Weltrekord 55,291 Kilometer weit. Doch wenig später wurden die technisch ausgefeilten Velos jener Zeit verboten und nur noch Rekorde akzeptiert, die mit herkömmlichen Rennvelos aufgestellt wurden. Diese Regelung wurde im Frühling erneut geändert. Seither sind Zeitfahrvelos, Triathlonlenker und Scheibenräder erlaubt, Rekordversuche gab es jedoch noch nicht.
Doch Rominger glaubt, dass der Stundenweltrekord nun neue Popularität erhalten wird. Olympiasieger Fabian Cancellara, Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins oder Tony Martin, der überragende Zeitfahrer der letzten Jahre, haben alle mehr oder weniger offen über einen Rekordversuch gesprochen. «Das sind Fahrer, die in einer Stunde 55, 56 oder 57 Kilometer weit kommen», sagt Tony Rominger. Er ist deshalb davon überzeugt, dass Jens Voigts allfälliger Weltrekord nicht lange halten wird.