Am 17. Dezember 1988 debütierte Noriaki Kasai im Skisprung-Weltcup. 20 Tage später bestieg Kaiser Akihito in der Heimat Japan den Thron. In diesem Jahr dankte der 85-jährige Akihito als erster Monarch in der Geschichte Japans freiwillig ab. Kasai hingegen denkt nicht daran, abzutreten. Der 47-Jährige ist der erste japanische Sportler, der einen Kaiser überdauert.
Beim Saisonauftakt im polnischen Wisla am Wochenende wird sich Kasai zum 567. Mal im Rahmen des Weltcups von der Schanze in die Tiefe stürzen. 17 Springen hat er in den 31 Jahren seiner internationalen Karriere gewonnen. Viele der aktuellen Konkurrenten waren noch nicht geboren, als der Japaner erstmals vom Podest winkte. Kasai, Vater einer dreijährigen Tochter, ist eine lebende Legende und ein fliegendes Rekordbuch.
Achtmal vertrat er sein Land an Olympischen Spielen – so oft wie kein anderer Wintersportler weltweit. Im November 2014 gewann er als mit Abstand ältester Skispringer der Geschichte einen Weltcup. Und selbst wenn die Topleistungen überschaubarer geworden sind, ist er noch immer für einen Exploit gut. 2017 flog er mit 241,5 Metern so weit wie nie zuvor. Und auch im letzten Winter holte er im Weltcup einen Top-10-Platz.
Kasai passte sich den vielen Umwälzungen in seinem Sport stets an. Bei seinem ersten Weltcup-Einsatz sprang er noch mit paralleler Skiführung. Gewonnen wurde jener Wettkampf vom Schweden Jan Boklöv, dem Erfinder des V-Stils. Während Boklöv schnell wieder von der Bildfläche verschwand, blieb Kasai. Meistens lächelnd, aber gegen aussen stets wortkarg.
Es ist ein neckisches Detail, dass Kasai bei seinem bisher letzten Weltcupsieg 2014 in Kuusamo mit dem punktgleichen Simon Ammann zuoberst auf dem Podest stand. Nicht nur war es auch Ammanns letzter Erfolg und ist der 38-jährige Toggenburger hinter Kasai der zweitälteste Springer im Starterfeld. Die beiden Konkurrenten mögen sich auch persönlich.
«Simon und Noriaki sind zwei sehr ähnliche Menschen, die stets respektvoll mit anderen umgehen», sagt der Schweizer Skisprungchef Berni Schödler. Und wie Ammann kann auch der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Kasai durchaus ein spassiger und extrovertierter Typ sein. «Wir Schweizer duellieren uns ab und zu mit den Japanern im Volleyball. Noriaki ist nicht nur ein sauguter Spieler, er ist eine wahre Stimmungskanone», verrät Schödler.
Er sieht zwei Gründe, wieso Kasai jegliche Logik des Leistungssports ausser Kraft setzt. «Skispringen ist ein spezieller Sport. Es kann zu einer Sucht werden. Und die japanischen Athleten profitieren von ihrem einzigartigen System, dass alle bei einer Firma angestellt sind.» Noriaki Kasai trete folglich nicht zurück, «er wird als Skispringer pensioniert». Wobei er das fast schon wörtlich nimmt. Bis zu den Olympischen Spielen 2022 will er springen. Und dann mit 50 Jahren aufhören – vielleicht.