Die Ausgangslage hatte für Henrik Kristoffersen gesprochen – und er liess sich die Chance nicht nehmen, die kleine Kugel für den Sieg in der Disziplinen-Wertung zum ersten Mal seit drei Jahren wieder zu gewinnen. 47 Punkte Vorsprung auf seinen ersten Verfolger Loïc Meillard hatte der Norweger als Führender in diesem Klassement mit in die USA genommen. Da war Rang 4 gut genug, zumal der Romand vorab im ersten Durchgang nicht imstande war, an seine zuletzt grossartigen Vorstellungen anzuknüpfen.
1,68 Sekunden Rückstand auf die Bestzeit von Haugan hatte sich Meillard eingehandelt, Kristoffersen war 1,54 Sekunden schneller. Dem Weltmeister blieb also nur noch die Hoffnung – die sich nicht erfüllen sollte, auch wenn er sich im zweiten Durchgang deutlich steigern und sich dank Bestzeit um drei Ränge auf Platz 5 verbessern konnte. «Im 1. Lauf habe ich falsch eingeschätzt, wie ich fahren muss», sagte Meillard im SRF. «Ich bin froh, konnte ich im 2. Lauf eine Reaktion zeigen.»
Die Entscheidung um den Tagessieg war eine ganz knappe. Haugan war bei seinem vierten Weltcup-Sieg drei Hundertstel schneller als der Franzose Clément Noël. Der Österreicher Fabio Gstrein sicherte sich mit Rang 3 seine zweite Klassierung unter den ersten drei im Weltcup.
Die vierte Slalom-Trophäe ist einer von vielen Beweisen dafür, dass Kristoffersen in der zu Ende gegangenen Saison wieder der «Alte» war, dass es ihm gelungen war, die richtigen Lehren aus dem vergangenen Winter zu ziehen, in dem es ihm nicht nach Wunsch gelaufen war. Den Abstimmungsproblemen beim Material, das er seit drei Jahren von Marcel Hirschers Unternehmen bezieht, wurden Kristoffersen und sein (Privat-)Team nie richtig Herr. Die Folge davon war unter anderem, dass der Norweger ohne Weltcup-Sieg blieb und ihm damit etwas widerfuhr, was ihm in den zehn Saisons zuvor und seit seinem Vorstoss an die Spitze nie passiert war.
Kristoffersen ist nach wie vor ein Heisssporn, der sein Temperament nicht immer zu zügeln weiss. «Fluchen, Hände verwerfen oder Skistöcke wegwerfen, das gibt es bei mir immer.» Gleichwohl macht er in seinem Benehmen «Fortschritte» aus. Er sei entspannter geworden, habe seine Emotionen besser im Griff. «Ich kann meinen Frust nach ‹Niederlagen› eher kontrollieren.» Freundlich sagte er in die Kamera des Schweizer Fernsehens: «Tschuldigung Schweiz, dass ihr nicht alle Kugeln gewonnen habt. Aber Chapeau an das Schweizer Team, das war eine unglaubliche Saison.»
Der Grund für die Veränderung ist wohl im privaten Bereich zu finden. Kristoffersen ist seit anderthalb Jahren Vater von Söhnchen Emil. In diesem Sommer folgt die Heirat mit seiner Verlobten Tonje Barkenes. Zu den geladenen Gästen wird unter anderen auch Loïc Meillard gehören. «Er kann die WM-Goldmedaille mitnehmen und ich diese Kugel», flachste Kristoffersen.
Im SRF-Interview kokettierte er zudem mit Rücktrittsgedanken. «Schaun mer», antwortete er auf die Frage, ob man ihn nächste Saison noch im Weltcup sehe. Der Kopf sei nach den vielen Jahren an der Weltspitze leer. Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt glaubt jedoch, dass Kristoffersen zumindest im nächsten Winter noch sein Konkurrent im Riesenslalom sein wird. «Ich rechne schon mit ihm, denn es ist eine Saison mit Olympischen Spielen.» (ram/sda)