Ach, Liebeslieder. Geschrieben vor allem für die Glücklichen, gehört dann doch meist von den Unglücklichen. Aber wer braucht denn bitteschön Lieder, die einem erzählen, wie gut es den anderen geht? Dann doch lieber ein Anti-Liebeslied wie «But not for Me» von Ira und George Gershwin, das im zarten Moll davon handelt, schmachtenden Gesängen zuzuhören, während man selbst mutterseelenallein den Mond anheult.
In einer wunderschön montierten Sequenz sehen wir im neuen «Tatort» aus Köln eine Reihe verlassener, betrogener und bestohlener Frauen in ihren, wie man so sagt, besten Jahren, die zur gehauchten Neuinterpretation des Gershwin-Klassikers sehnsuchtsvoll ins Nirgendwo starren. So als würde der tolle Kerl auf sie warten, der sie doch allesamt ausgenommen hat wie Weihnachtsgänse.
All die Gänse haben an den Algorithmus geglaubt, alle wurden vom Algorithmus verraten. Also von dem Computerprogramm, mit dem ein Kölner Dating-Portal mit dem Namen «Lovecast» vorgibt, für jeden Menschen das perfekte Gegenstück zu finden. Hat bei den gelinkten Liebesanwärterinnen aber eben nicht geklappt. Dass die als «Liebes-Päpstin» gefeierte Geschäftsführerin der Partneragentur erschlagen in ihrem Büro gefunden wird, kann die um ihre Liebe Betrogenen nicht wirklich erschüttern.
Dieses ewige Finden und Verlieren
Mord und Melancholie, das liegt in diesem «Tatort» (Buch: Maxim Leo, Regie: André Erkau) eng beisammen. Als Krimi funktioniert die Folge «Wahre Liebe» nur mässig, als Studie über die Sehnsucht mittelalter Grossstadtbewohner umso besser. So wird bald auch das Ermittlerteam in das ewige Suchen, Finden und Verlieren gezogen.
Das hat allerdings problematische Folgen für den Krimi-Plot: Wer dauernd mit wässrigen Augen in die Ferne starrt, übersieht nun mal leicht wichtige Beweise, die direkt vor ihm liegen.
So blind waren die Kölner Ermittler-Bären jedenfalls lange nicht mehr. Freddy Schenk (Dietmar Bär) spielt sich hier zwar als ausgebuffter, über alle Beziehungszweifel erhabener Langzeit-Ehemann auf, kann es aber trotzdem nicht lassen, bei den Untersuchungen unter attraktiven Mittvierzigerinnen verschwitzte Blicke durch den Raum zu schicken. Einmal spricht er heiter mit der Chefin einer Escort-Agentur, und als die ihm schöne Augen macht, flötet das Ermittler-Bärchen mit Oliver-Hardy-artiger, gespielter Empörung: «Ich bin glücklich verheiratet!» Antwort: «Waren wir das nicht alle einmal?»
Ballauf, das Single-Sorgenkind
Kollege Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) hat indes eine Wiederbegegnung mit der Psychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler, «Zwei Leben»). Die traf der Single-Kommissar, der in Sachen soziale Kontrolle das Sorgenkind unter den «Tatort»-Ermittlern darstellt, das erste Mal in der Säufer-Episode «Mit ruhiger Hand» aus dem Jahr 2009. Damals stand Ballauf, der seine Abende ja meist allein am Tresen verbringt, unter dem Verdacht, in den Alkoholismus abzugleiten. Frau Doktor Rosenberg sollte ihm gut zureden, begann dann aber eine kurze, unkonstruktive Beziehung mit ihm.
Heute begegnen sich die beiden vorwurfsvoll, manchmal gehen sie aber immer noch miteinander ins Bett. Sie klagt, er würde nur zu ihr kommen, wenn er Probleme hätte. Er jammert, sie sei lediglich dann zur Stelle, wenn sie Sex brauche. Dabei würde er doch gerne kuscheln und am Morgen zusammen frühstücken. Ballauf, die Klette.
Ein bisschen aus Groll, ein bisschen aus Neugier probiert er es deshalb auch mit der angeblich perfekten Liebe bei Lovecast. Unter all dem Gezicke und Gebalze leidet aber eben die Arbeit. So wird die neue Assistentin (Kathie Angerer) bei einem Undercover-Einsatz im Dating-Milieu entführt, ohne dass das die abgelenkten Kollegen mitbekommen.
Der Hormonpegel ist bei diesem «Tatort» hoch, der Spannungspegel eher niedrig. Wir gehen trotzdem mit. Schon wegen der wunderbaren Dialoge zwischen den beiden Ermittler-Sensibelchen. Etwa als Ballauf sich von Schenk nach typisch Kölner Art mal wieder das Thema erklären lässt. Da fragt Single Max Ballauf so nachdenklich und feierlich, als spreche er das grösste Rätsel der Menschheit an: «Wie erkennt man eigentlich eine gute Beziehung? Da wird immer so getan, als sei das ganz klar.» Ehe-Profi Freddy Schenk, rheinisch-pragmatisch: «Meine Frau und ich schlafen zum Beispiel beide gerne bei offenem Fenster.»
Wer so die Liebe erklärt - ist er glücklich oder unglücklich zu nennen?