Für die Liebe schippt sie täglich 50 Kilo Mist und Dung. Für die Liebe schneidet sie Gras, wenn die Sonne vom Himmel brennt. Für die Liebe erträgt sie die Fliegen und den Staub, der in den Augen juckt. Für die Liebe stellt sie sich unter den Tamarindenbaum, an den die blinde Elefantenkuh Lam Duan gebunden ist, und singt Hymnen, Operetten, Arien und was ihr sonst noch einfällt aus der Zeit, als sie in Seattle Musik studierte. «Ich muss immer weitersingen», sagt sie. Lam Duan mag keine Pausen.
Die Japanerin Natsuyo Jaeke, 57, füllt ihre Tage vor allem damit, herauszufinden, was die Elefantenkuh mag. Wenn sie es schafft, Lam Duan glücklich zu machen, so glaubt sie, kann sich zwischen ihnen das enge Band entspinnen, das einen Mahut und seinen Elefanten zusammenhält. Dafür löste sie vor drei Jahren ihr Leben in den USA auf und kam nach Thailand. Die Bank, in der sie als Buchhalterin arbeitete, baute Stellen ab und hatte ihr gerade gekündigt. So war Natsuyo Jaeke frei, einen Elefanten zu suchen, den sie lieben durfte.
Sie hatte versucht, Menschen zu lieben. «Ich bin oft hintergangen worden», sagt sie. Wenn sie erzählt, stockt manchmal ihre Stimme. Von der Ehe, die vor 20 Jahren zerbrach, blieb ihr nur der Nachname.
Sie hatte versucht, Hunde zu lieben. «Die Liebe eines Tiers ist reiner als die Liebe eines Menschen», sagt sie. Tiere täuschen und betrügen nicht, doch die Zuneigung eines Haustiers war nicht genug.
Es ist viereinhalb Jahre her, dass Natsuyo Jaeke die Werbebroschüre einer christlichen Organisation durchblätterte und auf einen Artikel über die innige Beziehung zwischen indischen Mahuts und ihre Elefanten stiess, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Sie fuhr in den Zoo in Seattle, doch dort liess man sie nicht nah genug an die Tiere heran. Sie begann, Fotos von Zooelefanten auf der ganzen Welt zu sammeln wie junge Mädchen Poster von Popstars. Schliesslich flog sie in das Land, dessen Umrisse auf der Landkarte an einen Elefantenkopf mit Rüssel erinnern: Thailand.
Es dauerte einige Monate, bis sie bei der Hilfsorganisation Elephant's World in der Provinz Kanchanaburi die Elefantendame Lam Duan kennenlernte, die früher Holzstämme und später Touristen schleppte und dabei ihr Augenlicht verlor, vielleicht bei einem Unfall, niemand weiss es genau. «Wir sind etwa gleich alt», sagt Natsuyo Jaeke und wirkt ein bisschen stolz. Sie lächelt. In der Auffangstation für ausgediente Arbeitselefanten haben die einsame Frau und das blinde Tier Obdach gefunden.
Natsuyo Jaeke dient ihrem Elefanten, so gut sie kann. Sie legt Blätter, Früchte und Klebreiskugeln unter Lam Duans Baum und tätschelt ihr eilig den Rüssel, plappert dabei nette Worte, die andere zu einer Katze sagen. Das Haar hat sie unter einem Kopftuch verborgen, ihre zerbrechlich schmalen Beine ragen aus einem Paar Gummischuhe. Die Elefantenpflegerin wiegt fast 50 Kilo. Der Elefant wiegt fast 2000 Kilo.
Lam Duans früherem Besitzer hat Natsuyo Jaeke das Versprechen gegeben, den Eisenhaken nicht zu benutzen, mit dem die Mahuts ihre Elefanten lenken wie mit Zügeln. Und für die kehligen Kommandos, die die Mahuts den Tieren geben, ist Natsuyo Jaekes Stimme viel zu hoch und leise. Einmal hat sie ihre Stimme verstellt. Sie wollte harsch und tief klingen, damit Lam Duan auf sie hören würde. Doch der Elefant durchschaute sie.
Auf dem Weg vom Futterplatz zu ihrem Baum trottet Lam Duan an einem Schlammloch vorbei. Der Elefant steuert darauf zu, Jaeke will ihn am Ohr davon wegziehen, vergebens. Als sich Lam Duan den ersten Schlamm über den Kopf spritzt, springt Jaeke gerade noch rechtzeitig zur Seite. Ihre Hemden und Hosen haben genug Flecken, von den Bananenbäumen, sagt sie und rümpft leicht die Nase.
Sie reitet nicht gern auf ihrem Elefanten, und sie badet ihn auch nicht gern im Fluss. Dort ist es tief, das ist ihr unheimlich. Sie steht am Ufer, während ein Mahut ihren Elefanten wäscht, sie hat dabei die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Oberkörper nach vorn geneigt, als würde sie am Gartentor darauf warten, dass ihr Mann von der Arbeit zurückkehrt.
Natsuyo Jaeke wohnt in der Nähe und radelt jeden Tag zum Lager am Fluss. Sie bekommt kein Gehalt für ihre Arbeit. Sie lebt von dem Geld, das sie gespart hat, als sie noch eine Bankangestellte in den USA war, und hofft, dass ihr die Firma bald eine Rente zahlt. Sie weiss, dass sie nie ein echter Mahut sein wird. Trotzdem ist sie glücklicher als früher.
«Ich habe mich in einen Elefanten verliebt», sagt Natsuyo Jaeke. Sie sagt es nüchtern, sachlich, und ihre Worte klingen kindlich, aber nicht albern. Sie wüsste gern, ob ihre Liebe erwidert wird. Doch so etwas brauche Zeit, um zu wachsen. «Wir haben noch einen langen Weg vor uns», sagt die Elefantenhüterin. Auch morgen wird sie wieder im Unterstand neben Lam Duans Tamarindenbaum sitzen und nach Zeichen der Zuneigung in den blinden Elefantenaugen suchen, in denen sich die Gefühle so schwer lesen lassen.