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Die fehlerhafte Revolution

Die fehlerhafte Revolution

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Ein Jahr nach den Schüssen auf dem Maidan
Ein Jahr nach den Schüssen auf dem Maidan ist es Zeit für eine Bilanz: Kiew und der Westen haben es dem russischen Aggressor zu leicht gemacht. Ihre Fehler spielten dem Kreml in die Hände.
22.02.2015, 21:5623.02.2015, 10:51
Benjamin Bidder / spiegel online
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Eine Bitte: Denken Sie nicht an Skat, wenn an dieser Stelle die Rede ist von Spieltheorie. Denken Sie an den englischen Begriff «Game», wie in «Great Game». Das war die Bezeichnung für das Ringen zwischen dem imperialen Russland und dem englischen Empire um die Vorherrschaft in Zentralasien.

Die Spieltheorie analysiert, wie sich Gegner in Konfliktsituationen verhalten, ähnlich wie bei einem Schachspiel. Wenn Seite A einen Zug macht, wie wird Seite B reagieren? Wenn A Fehler macht, wie wird er ausgeschlachtet? Die Spieltheorie hatte eine Blüte im Kalten Krieg. Der Westen wollte sie nutzen, um das Verhalten der Sowjets zu simulieren. Sie ist emotionslos, eine Kunst kalter Berechnung.

Gedenkveranstaltung am 19. Februar 2015 zu Ehren der Toten der Maidan-Revolution.
Gedenkveranstaltung am 19. Februar 2015 zu Ehren der Toten der Maidan-Revolution.Bild: ROMAN PILIPEY/EPA/KEYSTONE

Das hat sie zuletzt in Verruf gebracht, als Disziplin gefühlsloser Neoliberaler und Kalter Krieger. Grundkenntnisse der Spieltheorie würden in der Ukraine-Krise allerdings nicht schaden. Schliesslich sitzt mit Wladimir Putin auf der anderen Seite ein Mann, bei dem man nur schwer sagen kann, ob er nun einen neuen Kalten Krieg anzetteln will, oder einfach nur den alten nicht für beendet hält.

Die Maidan-Revolution wurde zum Ausgangspunkt des Kriegs. Er wurde von Russland in die Ukraine getragen. Rückblickend offenbaren sich aber auch Fehler und Fehlkalkulationen Kiews und des Westens. Sie haben der russischen Aggression in die Hände gespielt. Die Krise ist auch Resultat mangelnder Weitsicht und von verhängnisvoller Naivität.

Die Fehler des Westens

Startpunkt der Krise war das Scheitern des EU-Assoziierungsabkommens im November 2013. Weil auch Präsident Wiktor Janukowytsch ein Gegengewicht zum russischen Einfluss wollte, flirtete er intensiv mit Brüssel. Drei Jahre lang. Am Ende scheiterte das Abkommen auch daran, weil die EU Wiktor Janukowytschs Wesen nicht erkannte. Oder nicht sehen wollte.

Janukowytsch hat seine Amtszeit genutzt, um Geld in die Taschen von Freunden und Familie zu schaufeln. Von Reformen nahm er Abstand. Sohn Alexander Janukowytsch stieg zu einem der reichsten «Geschäftsleute» des Landes auf. Julija Tymoschenko landete im Gefängnis, nicht wegen ihrer Vergehen, sondern weil sie eine Rivalin und persönliche Feindin war.

Wiktor Janukowytsch. 
Wiktor Janukowytsch. Bild:

2015 standen Wahlen an, aber die Staatskasse war leer, die Wirtschaft am Boden, Janukowytschs Umfrage-Werte im Keller. Der Präsident kämpfte um sein politisches Überleben. Er flirtete mit der EU und dem Kreml. Europa bestand auf der Freilassung von Tymoschenko, forderte Reformen im Gegenzug für eine etwas diffus anmutende europäische Perspektive. Der Kreml bot Geld, 15 Milliarden Dollar. Janukowytsch entschied sich für das Geld. Das war nicht überraschend.

Der angeblich «faschistische Putsch»

Doch die Verhandlungen mit der EU hatten Hoffnungen in der Bevölkerung geweckt. Die Enttäuschung entlud sich auf dem Maidan. Aussenminister und hochrangige Diplomaten aus dem Westen eilten auf den Platz und solidarisierten sich mit den Demonstranten. Sie lieferten damit die Munition, die Russland für seine Propaganda von einem vermeintlich aus dem Ausland orchestrierten Putsch brauchte.

«Slawa Ukrainy – Ruhm der Ukraine» war der Schlachtruf, der über den Maidan donnerte. «Slawa Ukrainy» war während des Zweiten Weltkriegs auch der Kampfruf von Kampfverbänden ukrainischer Nationalisten, die zeitweise mit den Nazis kollaborierten.

Maidan-Revolution

Für die Kreml-Propaganda war er ein gefundenes Fressen. Es war bekannt, dass dieser Slogan für viele Menschen in Russland – zu Recht oder zu Unrecht – ein rotes Tuch ist, und auch für viele auf der Krim und in der Ostukraine. Russische Sender hetzten von Anfang an gegen den angeblich «faschistischen Putsch». Dabei skandierten auf dem Maidan viele «Slawa Ukrainy», die selbst viel besser russisch sprechen als ukrainisch. Entscheidend für die Wirkung war aber nicht, wie dieser Ruf gemeint war. Sondern wie er ankam.

Angriff auf das Russische?

Der Maidan hatte gerade gesiegt, da schickte sich das Parlament in Kiew an, den Status der russischen Sprache in der Ukraine zu beschneiden. Russland konstruierte daraus erst eine «Beeinträchtigung von Russen», später wurde daraus der «Genozid an der russischen Bevölkerung». Der ukrainische Präsident legte dann zwar sein Veto ein. Auch Premier Arsenij Jazenjuk beteuerte im Fernsehen, niemand gehe gegen das Russische vor, auch seine eigene Frau spreche es vornehmlich im Alltag. Das war im April, als die Krim längst verloren war.

Der Premier hätte auch mehr tun können, damit seine Botschaft ankommt: Er begann die Ansprache auf Ukrainisch. Bevor er ins Russische, wechselte hatten in Donezk und Luhansk viele schon wieder ausgeschaltet.

Jetzt auf

Maidan-Revolution 2014

Vor einem Jahr fielen die Schüsse auf dem Maidan. Wo die Demonstranten starben, sind die sonst weissen Strassenlaternen mit roter Folie überklebt und verbreiten gespenstisches Licht. Es geht nicht darum, die Verantwortung für den Krieg umzuverteilen. Der Maidan war – daran gibt es keinen Zweifel – der Aufstand eines tapferen Volkes gegen den Kleptokraten Wiktor Janukowytsch. Es geht darum, Lehren zu ziehen aus den Fehlern der Vergangenheit. Im Kreml sitzt schliesslich noch immer der gleiche Mann. Er handelt kalt und berechnend.

Um die Ukraine zu stabilisieren werden Kiew und Europa langen Atem brauchen. Die EU-Assoziierung und der Aufstand gegen Janukowytschs Räuberregime entsprangen guten Absichten. Das hat aber weder die EU, noch die Ukraine vor schweren Fehlern bewahrt. Sie haben zu selten vorausschauend gehandelt. Wer Moskaus Pläne erfolgreich durchkreuzen will, muss sie erst einmal nüchtern analysieren.

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