Wer als Tourist auf dem Provinzflughafen «Durham Tees Valley» landet, um im nahegelegenen Middlesbrough ein paar aufregende Tage zu verbringen, der hat sich im Vorfeld vermutlich nicht sehr gründlich informiert. Von einer rostigen Metallbrücke können sich Adrenalin-Junkies hier am Bungee-Seil in die Tiefe stürzen und am Pubtresen werden die Pints im Akkord vernichtet – aber damit ist das Unterhaltungsprogramm der tristen Industriestadt auch schon ausgeschöpft.
Glücklicherweise ist die Delegation des FC Basels nicht zum Spass in den Nordosten Englands gejettet. Die Mannschaft von Christian Gross will Schweizer Fussballgeschichte schreiben. Dank Toren von Matias Delgado und David Degen konnten die Basler das Hinspiel gegen den FC Middlesbrough als 2:0-Erfolg abbuchen. Jetzt steht die Tür zum Halbfinal der Europa League erstmals in der 113-jährigen Klubgeschichte sperrangelweit offen.
Nur drei Schweizer Teams ist dieser Exploit zuvor gelungen: YB (1959 gegen Reims), dem FC Zürich (1964 gegen Real Madrid und 1977 gegen Liverpool) und den Grasshoppers (1978 gegen Bastia). 28 Jahre nach Raimonde Pontes entscheidendem Penaltytor für die Hoppers gegen Eintracht Frankfurt kann sich der FCB in diese illustre Runde einschreiben.
Für Trainer Christian Gross hat die Partie eine ganz spezielle Note. Der Höngger will sich in England für sein missglücktes Tottenham-Abenteuer und einhergehende Häme revanchieren. Für ihn ist klar, wie seine Mannschaft den Coup schaffen kann: «Wir müssen ins Spiel, als stünde es noch 0:0. Erste Priorität hat für uns ein Auswärtstor.»
Und diese Forderung setzen die Basler vor 24'521 Zuschauern im Riverside Stadium mit Nachdruck um. In der 23. Minute wird Matias Delgado, damals noch ein Zauberkünstler am Ball, im Mittelfeld umgeholzt. Den fälligen Freistoss schlenzt Mladen Petric auf Boris Smiljanic, der mit dem Kopf Eduardo bedient. Aus drei Metern haut der Brasilianer den Ball mit Karacho ins Netz.
Middlesbrough braucht jetzt vier Tore. Entsprechend frostig ist die Stimmung im Rest des Stadions, während die Gästefans aus Basel schon ausgelassen den Halbfinaleinzug feiern.
Was dann folgt, ist Geschichte. Grausame Geschichte. Der Australier Mark Viduka schenkt Pascal Zuberbühler bis zur 57. Minute zwei Treffer ein. Die Heimfans erwachen aus ihrer Schockstarre.
Während sich der FCB nun in der eigenen Hälfte einigelt, packt Steve McClaren die Brechstange aus. Der Middlesbrough-Manager, der am Ende der Saison die englische Nationalmannschaft übernehmen wird, bringt mit Jimmy Floyd Hasselbaink und Massimo Maccarone die Stürmer Nummer drei und vier.
Angepeitscht von ihren Fans setzen die Engländer alles auf die Abteilung Attacke. Ein Sturmlauf nach dem anderen rollt über den Rasen. Matias Delgado könnte jetzt seinen Rosenkranz gebrauchen, den ihm der Schiedsrichter vor der Partie abgenommen hat.
Der FCB stemmt sich mit aller Macht gegen den entfesselten Gegner aus der Premier League. Und er hält dicht, bis der sonst so coole Innenverteidiger Daniel Majstorovic in der 73. Minute eine Riesendummheit begeht. Obwohl schon mit Gelb vorbelastet, greift er Georg Boateng bei einem Handgemenge ins Gesicht – Gelb-Rot, Platzverweis.
Jimmy Floyd Hasselbaink haut den Ball zehn Minuten vor dem Ende aus 22 Metern in den Winkel. Zuberbühler schaut machtlos zu und das Stadion steht jetzt endgültig Kopf. Noch ein Tor fehlt Middlesbrough zu einem der grössten Comebacks der europäischen Fussballgeschichte.
Am Ende ist es ein Italiener, der dem FC Basel in der Nachspielzeit den Gnadenstoss versetzt. Massimo Maccarone erbt den Abpraller nach einem Distanzkracher von Mark Viduka. Pascal Zuberbühler boxt den Nachschuss von Maccarone ins eigene Netz.
Während im Basler Fansektor die Tränen fliessen, drehen die Engländer vor Freude völlig durch. «Es war eine Nacht für Helden», schwärmt McClaren nach dem Match euphorisch.
Es sollte nicht die letzte magische Nacht gewesen sein. Denn McClarens Team wiederholt das Wunder auch im Halbfinal. Wieder liegt «Boro» im Rückspiel gegen Steaua Bukarest mit insgesamt drei Toren scheinbar hoffnungslos hinten und wieder setzen sich die Engländer am Ende mit dem Gesamtskore von 4:3 durch. Erst im Final von Eindhoven endet das Fussballmärchen mit einer 0:4-Klatsche gegen Sevilla.
Während der FC Basel den Tiefschlag von 2006 verdaut hat und seither von einem europäischen Erfolg zum nächsten eilt, kann Middlesbrough von internationalen Spielen bloss träumen. Unter Trainer-Grünschnabel Gareth Southgate stieg die Mannschaft 2009 in die zweite Liga ab.