Als Aussenseiter wurde er geboren, schwach auf der Brust und mit offensichtlicher anatomischer Deformation. Als Flügelspieler kam er zu höchsten Weihen, er dribbelte, raste auf der rechten Aussenbahn, schoss in seiner Karriere hunderte Tore. Zu einem Torerfolg reicht es Mané Garrincha im Vorrundenspiel der WM 1958 gegen die UdSSR zwar nicht. Bei dieser in Schweden ausgetragenen WM-Endrunde aber, meisselt Manuel Francisco dos Santos, so sein bürgerlicher Name, mit seinen Flügelläufen kräftig an seinem Denkmal.
Über 50'000 Zuschauer werden in Göteborg Zeuge, wie Garrincha bei den elf Kickern der Sowjetunion tiefe Sorgenfalten verursacht. Zu schnell ist er, zu wendig, und, vor allen Dingen: zu verwirrend der Anblick des mit 1,69 Metern eher kleingewachsenen Brasilianers mit offensichtlicher Deformation im Rückgrat und unterschiedlich langen Beinen. Sein linkes Bein: sechs Zentimeter kürzer als sein rechtes und o-förmig. Sein rechtes Bein: x-förmig. Die Tore schiessen andere in diesen 90 Minuten gegen die UdSSR. Garrincha aber, Garrincha wird zum Liebling einer ganzen Nation.
Schon früh litt Klein-Garrincha unter seinen körperlichen Restriktionen. Was lag da näher im fussballbegeisterten Brasilien, als sich im Spiel mit dem Ball zu versuchen und sich so zu kräftigen.
Sein Talent wurde schnell offenbar, seine Beine aber standen weiterhin quer in der Landschaft. Irgendwann nannten ihn alle nur noch «Mané», in Brasilien eine geläufige Kurzform für geistig Behinderte. Oder eben: «Garrincha», Zaunkönig. Aber der Frohmut der anderen war nicht der Frohmut des Zaunkönigs. Er litt unter chronischen Schmerzen seiner Deformationen wegen und soll bereits ab dem zehnten Lebensjahr dem Alkohol zugeneigt gewesen sein.
Dann kamen die Verkehrsunfälle, gleich mehrere, sie waren dem Alkohol geschuldet und wurden zu einer der wenigen Konstanten in seinem Leben. Einmal kam es zu einem Zusammenstoss mit einem LKW, seine Schwiegermutter überlebte den Crash nicht.
Ein schwerer Schlag für den Ausnahmefussballer und seine Frau, die Fabrikarbeiterin Nair Marques. Acht Kinder brachte die Ehe hervor, die 13 Jahre hielt. Dann ehelichte Garrincha eine berühmte Sambasängerin. Frass aber, wie in der Vergangenheit schon, weiterhin gerne unter dem Zaun hindurch und unterhielt zahllose Liebeleien. Das beeindruckende Gesamtwerk: 15 Kinder.
Auf dem Platz war Garrincha nicht nur auffälliger Flügelflitzer, sondern auch treffsicher. Satte 232 Tore markierte er für seinen Stammverein Botafogo in 581 Spielen. In fünfzig Partien für die Seleçao waren's immerhin 12 Tore. Auf drei Weltmeisterschaften brachte er es (1958, 1962, 1966) und er läutete zusammen mit einem weiteren Jungstar, dem zunächst noch weitgehend unbekannten Pelé, ein goldenes Zeitalter in Brasiliens Fussball ein.
Dass er 1958 überhaupt antreten konnte, verdankte er einer glücklichen Fügung. Denn eigentlich hatte Seleçao-Trainer Feoloa einen Psychologen beauftragt, das Kader vor der Nominierung unter die Lupe zu nehmen. Dessen vernichtende Empfehlung zu Garrincha: Daheimlassen! Er sei geistig so entwickelt wie ein Acht- bis Zwölfjähriger.
Schon vor der Weltmeisterschaft 1966 begann sein Stern zu sinken und folgerichtig gab Garrincha bei der 1:3-Niederlage gegen Ungarn seinen Abschied aus dem Nationalkader. Noch einige Jahre wirkte er im Profifussball, an seine früheren Leistungen konnte er aber nicht mehr anknüpfen. Zu sehr hatten Bänder und Sehnen während seiner langen Karriere gelitten. Man schuf ihm ein Denkmal. Dem Fussballstadion in Brasilia gab man seinen Namen.
Im Alter von nur 49 Jahren starb Garrincha. Vereinsamt und verarmt. Nach seiner Abkehr von der grossen Fussballbühne war der mediale Lichtstrahl schnell weitergezogen. Garrincha aber blieb zurück, und mit ihm der Alkohol. Sinnigerweise macht ihm eine Leberzirrhose den Garaus.
In gleich zwei Filmwerken wurde Garrincha verewigt. Der erste Film wurde auf dem Höhepunkt seiner Karriere gedreht. Tituliert mit: «Freude des Volkes». Der andere 2003. Lange Jahre nach seinem Ableben also. Er hiess: «Einsamer Stern». (tat)