Sommer 2004: Ganz Griechenland freut sich auf die Rückkehr der Olympischen Spiele nach Athen. Kein Wunder: Schliesslich hat der Gastgeber auch ein paar heisse Medaillenanwärter in den eigenen Reihen. Unter anderem die beiden Sprinter Konstantinos Kenteris, Olympiasieger über 200 Meter in Sydney 2000, und Ekatarina Thanou, die in Sydney über 100 Meter Silber gewonnen hatte.
Natürlich wollen die beiden Trainingspartner erneut aufs Podest. Der Hype um die Hoffnungsträger, die in Griechenland Superstar-Status haben, ist riesig. Kenteris hätte gemäss Gerüchten gar der letzte Fackelläufer sein sollen – im letzten Moment wurde er ersetzt – und das Olympiastadion ist für den 200-m-Final der Männer als erster Wettkampf überhaupt bis auf den letzten Platz ausverkauft.
Doch dann kommt die Nacht vor der Eröffnungsfeier. Thanou und Kenteris sind gerade auf dem Weg zurück ins olympische Dorf, als sie der griechische Sportfunktionär Manolis Kolybadis abfängt und vor einer unangekündigten Dopingkontrolle warnt. Kenteris und Thanou drehen auf dem Absatz um und flüchten: Das Drama nimmt seinen Lauf.
Zur Dopingkontrolle tauchen sie nicht auf, weil sie auf dem Nachhauseweg seien. Sie hätten «persönliche Sachen» abholen müssen, lautet die offizielle Begründung. Kein Problem: Der Test könne in zwei Stunden nachgeholt werden. Doch auch da erscheinen die beiden Sprinter nicht. Die Ausrede diesmal: ein Motorradunfall.
Kenteris und Thanou werden ins Spital eingeliefert – mit Schleudertrauma und Beinverletzungen, wie das Krankenhaus mitteilt. Aber bald werden Ungereimtheiten bekannt: Der Kioskbetreiber in unmittelbarer Nähe der angeblichen Unfallstelle hat nichts mitbekommen, bei der Polizei geht keine Unfallmeldung ein und das Spital, in das Kenteris und Thanou eingeliefert werden, liegt weit weg von der Unfallstelle am anderen Ende der Stadt.
Ziemlich schnell wird klar: Die beiden Schützlinge von Trainer Trainer Christos Tzekos wollten die Dopingkontrolle unbedingt umgehen. Ähnliches hatte Kenteris übrigens schon im Training vor den Spielen in Chicago gemacht. Doch als dort eine Kontrolle angekündigt wird, meldet sich der Grieche ab. Er befinde sich bereits auf dem Heimweg, so die Begründung. Andere Quellen sagen, der Olympiasieger von 2000 sei gar nie in den USA gewesen.
Das griechische olympische Komitee suspendiert seine beiden Superstars am 14. August vorläufig bis zu deren Anhörung zwei Tage später. In der Zwischenzeit plaudert Funktionär Kolybadis. Die beiden seien nach seiner Warnung in Panik geraten und wie «aufgescheuchte Tauben» geflüchtet. Die Einvernahme wird auf den 18. August verschoben, was Kenteris einen Tag zuvor nutzte um anzukündigen, dass er vor der IOC-Kommission alle Vorwürfe widerlegen könne und zu seinem Wettkampf starten werde.
Doch daraus wird nichts. Einen Tag später sagt er: «Aus Verantwortungsbewusstsein» wolle er auf einen Start verzichten. Auch Thanou gibt ihre Akkreditierung für die Spiele am selben Tag zurück. Wenig später werden beide für zwei Jahre gesperrt. Sieben Monate nach dem Skandal sprach ein fünfköpfigen Schiedsgericht des griechischen Leichtathletik-Verbands Kenteris und Thanou dann aber völlig überraschend frei.
Stattdessen wird Trainer Tzekos für vier Jahre gesperrt. Bei einer Razzia in seinen Geschäftsräumen werden rund 1500 Ampullen mit verbotenen Substanzen gefunden. Er sei ausserdem über die Dopingkontrollen unterrichtet gewesen und hätte es versäumt, dafür zu sorgen, dass seine Schützlinge dort auch erscheinen. Der Motorradunfall des Duos am betreffenden Abend bleibt in der Erklärung des Schiedsgerichts seltsamerweise unkommentiert.
Der Skandal ist damit allerdings längst nicht ausgestanden. Im Gegenteil: Der Weltverband IAAF akzeptiert die Urteilsbegründung nicht und geht beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Berufung. Kenteris und Katerina Thanou räumen im Juni 2006 schliesslich ein, drei Dopingkontrollen im Zeitraum vom 27. Juni bis 12. August 2004, versäumt zu haben. Damit wird die zweijährige Sperre bis Dezember 2006 doch noch bestätigt
Doch die Schlammschlacht dauert an: Thanou gibt nach zweijähriger Wettkampfsperre ihr Comeback und qualifiziert sich für Peking 2008. Kurz vor den Spielen in China verweigert das IOC der Griechin aber die Akkreditierung, weil sie mit ihrem Verhalten «die olympische Bewegung in Misskredit» gebracht habe. Kenteris tritt bereits früher zurück.
Im Mai 2011 findet schliesslich doch noch der finale Prozess statt. Kenteris und Thanou werden dabei vor einem griechischen Gericht wegen Meineides zu 31 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Trainer Tzekos bekommt sogar 33 Monate. Sechs Ärzte, die die beiden Topsprinter nach ihrem angeblichen Motorradunfall behandelt haben wollen, kassieren Bewährungsstrafen von sechs bis acht Monaten.
Vier Monate später werden jedoch beide wieder freigesprochen. Ein Athener Berufungsgericht sieht es nicht als erwiesen an, dass die beiden Sprinter einen Meineid geleistet haben.