Was hat der Prophet Mose mit dem Konflikt im Gazastreifen zu tun?
Theologen und Historiker versuchen seit Jahrzehnten, Geschichten und Erzählungen in der Bibel historisch oder wissenschaftlich nachzuweisen. Sie wollen belegen, dass die biblischen Erzählungen nicht nur religionshistorisch bedeutungsvoll sind, sondern einen geschichtlich authentischen Hintergrund haben. Also mehr sind als Metaphern, die aus religiösen Motiven und Sehnsüchten entstanden sind.
Ein Klassiker bei der Beschaffung von biblischen Zeugnissen ist die Suche nach Überresten der Arche Noah beim Berg Ararat in der Türkei. Kreationisten und Evangelikale haben schiffsähnliche Gesteinsformationen und Holzteile in Gletscherspalten entdeckt, die sie der Arche zuschreiben.
Man muss ziemlich verblendet sein, um zu glauben, dass der gute Noah ein Monsterschiff bauen konnte. Ein Schiff, auf dem von allen Tieren ein Paar Platz gefunden haben soll. Simple Gedankenspiele und Fragen zeigen, wie absurd die Idee von der Sintflut ist.
Hat Noah die Löwen, Giraffen und Elefanten eigenhändig und auf allen Kontinenten eingefangen? Was hat er den Fleischfressern verfüttert? Haben die Kinder von Noah so viele Nachkommen gezeugt, dass wieder eine Bevölkerung entstand? Gab es kein Inzestproblem? Und wie verhält es sich mit den ethisch-moralischen Aspekten? Hatte Gott keine Skrupel, weite Teile der Bevölkerung erbärmlich ertrinken zu lassen, weil sie angeblich seine Gesetze nicht eingehalten hatten? Inklusive unschuldiger Kinder?
Oder nehmen wir die urväterliche Figur Mose. Er war nicht nur ein bedeutender Prophet, der auch im Koran und der Thora eine zentrale Rolle spielt, sondern auch ein politischer Anführer.
Für die Juden ist Mose sogar der Religionsstifter schlechthin. Er soll von Gott die Zehn Gebote empfangen und die Israeliten in einem langen Marsch durch die Wüste von der ägyptischen Sklaverei befreit haben. Ziel des monströsen Auszugs war das gelobte Land.
Man sollte meinen, dass die damaligen Historiker das politische Grossereignis wahrgenommen und vermerkt haben. Doch man sucht vergeblich nach geschichtlichen Quellen. Ausserdem ist die Geschichte des angeblichen Exodus voll von kuriosen Ereignissen und Episoden.
So soll der Marsch durch die Wüste 40 Jahre gedauert und 600’000 Israeliten umfasst haben. Da stellt sich die Frage, wie die vielen Leute den langen Exodus durch die Einöde überlebt haben. Das Alte Testament liefert folgende wundersame Erklärung. Als das Volk murrte, weil es zu wenig Wasser hatte, sagte Gott zu Mose und seinem Bruder Aaron, sie sollten mit einem Stock gegen einen Felsen schlagen. Die beiden Brüder zweifelten den Hinweis Gottes an. Schliesslich gehorchten sie doch, und es sprudelte Wasser hervor.
Trotzdem reagierte Gott zornig und rächte sich an Mose und Aaron, wie das Alte Testament (AT) erzählt: «Ihr habt mir nicht vertraut und wolltet mir keine Gelegenheit geben, mich vor den Leuten von Israel als der heilige und mächtige Gott zu erweisen. Darum könnt ihr dieses Volk nicht bis in das Land führen, das ich ihnen versprochen habe.» (Num 20,7-11)
Konkret: Gott sorgte dafür, dass Aaron und sein Prophet Mose wegen einer Nichtigkeit sterben mussten, bevor sie das Gelobte Land oder den Ort der Verheissung erreichen würden. Ungeachtet des Umstandes, dass Mose seinem Gott Zeit seines Lebens untertänigst gedient hatte.
Die Bibel hält in knappen Worten fest, dass Gott höchstpersönlich Mose nach seinem Tod im Land Moab begrub. Immerhin, könnte man meinen. Doch wie muss man sich das konkret vorstellen?
Ins Reich der Mythen und Legenden gehört auch die biblische Erklärung, wie 600’000 Menschen ernährt werden konnten. Laut AT ist 40 Jahren lang das göttliche Brot Manna vom Himmel gefallen.
Wunder über Wunder. Da fragt man sich, weshalb es solche nur in der Bibel gibt und heute nicht mehr stattfinden.
Es finden sich auch handfeste Argumente, weshalb die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten ein religiöses Märchen ist.
Es gibt zum Beispiel keine ägyptischen Quellen, die bestätigen, dass Hunderttausende von Israeliten in Ägypten lebten. Heute sind sich Historiker auch einig, dass es den in der Bibel beschriebene Exodus nicht gegeben hat.
Die Angaben zu den chronologischen Ereignissen und der Wanderroute können nicht stimmen. Ausserdem liessen sich keine entsprechenden archeologischen Nachweise erbringen. Selbst Mose scheint eine Kunstfigur zu sein, ist er doch historisch nirgends erfasst.
Trotzdem kommt der angebliche Exodus sogar in den Zehn Geboten vor, die Gott seinem Propheten Mose auf dem Berg Sinai übergeben haben soll. Wörlich heisst es im 1. Gebot: «Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.»
Mit anderen Worten: Gott selbst setzte die Mär vom Massenexodus in die Welt. Und dies im vielleicht wichtigsten religiösen Vermächtnis.
An die fragwürdige Geschichte von Mose und dem Exodus seines Volkes aus Ägypten glauben vermutlich nur noch christliche Fundamentalisten. Die Idee vom auserwählten Volk und dem Gelobten Land entfaltet aber bis heute eine eminente politische Wirkung. Und zwar eine unheilvolle, wie die wechselhafte Geschichte, die aktuelle Politik in Israel und die Zerstörung des Gazastreifens zeigt.
Dabei wird einmal mehr deutlich, dass Religionen und Glaubensgemeinschaften manchmal einen unheilvollen politischen Einflusss mit grosser Sprengkraft bewirken. Schliesslich haben auch heute noch viele kriegerische Konflikte einen religiösen Hintergrund.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.
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