10-Millionen-Schweiz: Ein Gegenvorschlag sticht heraus
Seit Jahren arbeitet sich die SVP an der Zuwanderung ab, aktuell mit der Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz!». Der Nationalrat hat damit im September kurzen Prozess gemacht. Er empfiehlt sie ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung, obwohl ein solcher aus der Mitte-Partei gefordert wurde. Sie verwies vergeblich auf die Brisanz des Themas.
Eine Mehrheit will die Initiative «blanko» vors Stimmvolk bringen, und das rasch, etwa am 14. Juni 2026. Kritiker warnen vor einer solchen «All in»-Strategie, und eine am Wochenende veröffentlichte Tamedia-Umfrage zeigt, dass die Zuwanderungs-Initiative nicht chancenlos ist, obwohl sich der Ja-Anteil mit 48 Prozent in überschaubarem Rahmen hält.
Letztlich reflektiert die Umfrage den inneren Zwiespalt vieler Menschen bei diesem Thema. Sie empfinden die starke Zuwanderung der letzten Jahre als Belastung und anerkennen gleichzeitig, dass Wirtschaft und Service Public darauf angewiesen sind. Dennoch will auch die vorberatende Kommission des Ständerats nichts von einem Gegenentwurf wissen.
«Inländervorrang» beim Wohnen?
Vom Tisch ist das Thema nicht. Am nächsten Montag kommt es in der kleinen Kammer zum «Showdown». Drei Minderheitsanträge sind traktandiert. Kein Thema ist der «Inländervorrang» auf dem Immobilienmarkt, den Politgeograf Michael Hermann vorschlägt. Bei Miete oder Kauf sollen jene Leute bevorzugt werden, die mehrere Jahre im Land leben oder gelebt haben.
Weil die Nationalität keine Rolle spielt, läge kein Verstoss gegen die Personenfreizügigkeit vor. Hermann verweist darauf, dass die Zuwanderung in Umfragen als Hauptgrund für die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt genannt wird. Doch die konkrete Umsetzung wäre schwierig, auch weil viele Wohnungen und Häuser «unter der Hand» vergeben werden.
Zuwanderung soll etwas kosten
Es bleiben drei Vorschläge, über die der Ständerat abstimmen wird. Einer stammt von der Schwyzer Ständerätin und früheren FDP-Präsidentin Petra Gössi. Er verlangt, dass der Bund Massnahmen ergreift, wenn die Bevölkerung vor 2050 in drei Folgejahren jeweils um 0,8 Prozent zunimmt. Die Forderung hat faktisch den Charakter einer Schutzklausel.
Gleichzeitig wirkt sie technokratisch. Es scheint fraglich, dass man das Stimmvolk damit überzeugen kann. Einleuchtender ist der Antrag der Urner Ständerätin Heidi Z’graggen (Mitte). Sie will dem Bund ermöglichen, eine Zuwanderungsabgabe zu erheben. Die Idee ist nicht neu, sie wird etwa von Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger propagiert.
Konflikt mit der EU
Der in letzter Zeit omnipräsente Milliardär Alfred Gantner spricht sich ebenfalls dafür aus. Seine Partners Group könnte sich diese Abgabe problemlos leisten. Fraglich ist, ob dies auch für KMU gilt. Kritiker warnen zudem, die Schweiz werde unattraktiver für Fachkräfte, und das in einer Zeit, in der sie europaweit wegen der Demografie umworben sind.
Eine Zuwanderungsabgabe könnte auch das Freizügigkeitsabkommen verletzen und einen Konflikt mit der EU provozieren, selbst wenn sie allgemein gilt, also auch für Zuwanderer aus Drittstaaten. Dem Antrag von Heidi Z’graggen dürfte somit im Ständerat das gleiche Schicksal blühen wie jenem von Petra Gössi: Eine Ablehnung ist nahezu programmiert.
Zweite Abstimmung als Notbremse
Bleibt der dritte, vom Innerrhoder Mitte-Ständerat Daniel Fässler initiierte Minderheitsantrag. Und der wäre eine nähere Betrachtung wert. Er zielt darauf ab, dass das Stimmvolk noch einmal darüber abstimmen kann, ob es die Personenfreizügigkeit mit der EU wirklich aufkündigen will, falls der Schwellenwert von 10 Millionen Einwohnern vor 2050 erreicht wird.
Die SVP verlangt eine automatische Kündigung nach einer Wartefrist von zwei Jahren. Der Antrag Fässler würde quasi eine «Notbremse» einbauen und die Initiative damit entschärfen. Ein mit dem Dossier vertrauter Vertreter des Bundes zeigte im informellen Gespräch Sympathie für die Idee, denn sie würde einen Konflikt mit Brüssel vermeiden.
Sind 10 Millionen realistisch?
Es gibt auch Einwände. So sollen Bundesrat und Parlament Massnahmen im Asylbereich und beim Familiennachzug ergreifen, wenn die Wohnbevölkerung auf über 9,5 Millionen ansteigt. Vorläufig Aufgenommene sollen keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung mehr erhalten, was unter dem Aspekt von Völker- und Menschenrechten schwierig wäre.
Dennoch könnte der Antrag Fässler einen tauglichen Gegenvorschlag darstellen. Es bleibt aber fraglich, ob sich der Ständerat darauf einlassen wird. Das Geschäft ginge in diesem Fall zurück in den Nationalrat, und die Abstimmung wäre erst in der zweiten Hälfte 2026 möglich. Derzeit scheint der Wille zu dominieren, die Initiative rasch «abzutischen».
Es wäre eine riskante Strategie. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die Schweiz jemals die 10-Millionen-Marke erreichen wird. Die europäischen Länder bemühen sich wegen der sinkenden Geburtenraten, ihre Fachkräfte im Land zu halten. Und die Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt durch Künstliche Intelligenz (KI) sind erst in Ansätzen erkennbar.
